Dierkshausen. Julian Bellut bringt neues Leben in das alte Landhaus Dierkshausen. In seinem Restaurant holen sich Gäste ihr Essen selbst aus der Küche

Dort, wo sich in den 60er Jahren noch das ganze Dorf traf, wo Hochzeiten gefeiert wurden und Trauergemeinden zusammenkamen, wo im Clubzimmer so mancher Geschäftsabschluss getätigt wurde und auf der Kegelbahn die Kugel rollte, war schon lange nichts mehr los: Das Landhaus in Dierkshausen bei Hanstedt, mitten in der Heide gelegen, schien am Ende. So wie landauf, landab, immer mehr Landgasthöfe. Bis ein junger, ehrgeiziger Meisterkoch an dem verwaisten Haus vorbeifuhr und wusste: Das will ich haben.

Julian Bellut hat mit seinem Privatrestaurant in Dierkshausen ein neues Gastronomiekonzept geschaffen, das immer mehr Freunde gewinnt. Schon als Kind ging der gebürtige Jesteburger Julian Bellut (29) seinem Vater Kai-Uwe, einem begeisterten Hobbykoch, in der Küche zur Hand. „Mit 13 Jahren habe ich mein erstes Huhn zerlegt“, erinnert er sich. Dem Beruf seines Vaters, der Radio- und Fernsehtechniker ist und in Buchholz ein großes Fachgeschäft betreibt, konnte Julian dagegen wenig abgewinnen. „Mit Technik habe ich nichts am Hut“, sagt der junge Mann.

 Kai-Uwe Bellut serviert Cremant    
Kai-Uwe Bellut serviert Cremant     © HA | nanette franke

Mit 16 Jahren startete er seine Kochkarriere. Im Jesteburger Hof lernte er, was eine Grundsauce und was eine Brühe ist und wie man Rotkohl zubereitet. Den Feinschliff holte er sich in der Sterneküche, im Louis C. Jacob und auf dem Süllberg in Blankenese, segelte als Koch auf dem exklusiven Kreuzfahrtschiff Sea Cloud 2 und kehrte schließlich zurück in den Landkreis Harburg, um sich dort 2016 als Privatkoch selbstständig zu machen: Er fährt zu Kunden nach Hause, um dort mit seinem Profi-Equipment Wunschmenüs zu zaubern. Und hat sich inzwischen einen illustren Kundenstamm erarbeitet. Privatkoch ist Julian Bellut immer noch. Jetzt aber hat er auch ein Privatrestaurant.

Der Titel ist bewusst plakativ und provokant gewählt. Die Idee dahinter: Bellut öffnet sein Restaurant nur für vorher angemeldete Gäste. In die Verwirklichung seiner Idee hat Bellut viel Geld und Arbeit gesteckt und seine Familie eingespannt. Fünf Monate haben die Belluts während der ausgehenden Corona-Pandemie daran gearbeitet, dass aus dem Landhaus Dierkshausen das Privatrestaurant Bellut wurde. Auch viel Überzeugungskraft war nötig, denn: Der Besitzer des Anwesens, Hans Pauls, der den Gasthof 1975 von seinem Großvater August Heuer übernommen und Ende 2011 aus Altersgründen geschlossen hatte, wollte eigentlich gar nicht verpachten.

Doch heute freut er sich, dass er es getan hat. Denn Bellut hat frischen Wind in das Haus gebracht, ohne den Charakter der niedersächsischen Gaststube zu zerstören. Die Räume wirken hell, einladend und stilvoll. Details wie Strohballen mitten im Saal und ein Motorrad, das als Anrichte dient, sind originelle Hingucker. Der hölzerne Tresen aus alter Zeit ist geblieben, ebenso der aus dem Jahre 1911 stammende Bierzapfhahn und die Registrierkasse, in der sogar noch D-Mark und Pfennige klimpern.

Sebastian Ritter rollt mit mediativer Ruhe Gurkenscheiben auf.   
Sebastian Ritter rollt mit mediativer Ruhe Gurkenscheiben auf.    © HA | nanette franke

Er kauft immer nur das Beste, saisonal und aus der Region

Während in der herkömmlichen Gastronomie Getränke die Haupteinnahmequelle für die Betreiber sind und die Gäste für ein Glas mittelklassigen Rotwein inzwischen oft Preise über zehn Euro zahlen müssen, hat Bellut den Spieß umgedreht. „Ich verdiene am Essen“, sagt er. Zwei Tage vor dem Event beginnt er mit den Vorbereitungen. Er kauft ein, immer nur das Beste, möglichst saisonal und möglichst bei Anbietern aus der Region. Als passionierter Jäger nimmt er gern Wild in die Angebotskarte. Sein Grundsatz: Alles wird frisch zubereitet. Ohne Fertigextrakte, ohne künstliche Aromastoffe. Seine Art zu kochen beschreibt er als „gehoben französisch“, daran will er sich messen lassen.

Die Getränke, speziell die ausgesuchten Weine, sind ebenso exquisit, doch: Auch wer einen ganzen Abend in Dierkshausen zu Gast ist, wird selten mehr als 20 Euro für Brause, Wasser, Wein oder Bier ausgeben. Am heutigen Sonnabend kocht Julian Bellut für Elisabeth Ahrens aus Schwiederstorf. Sie ist seine Großtante und hat zum 90. Geburtstag geladen. Nach und nach treffen die 30 Gäste ein. Bellut und seine rechte Hand Sebastian Ritter, ein gebürtiger Berliner, aus dem jetzt ein glücklicher Nordheidjer geworden ist, geben eine kurze Einweisung: Die Gäste dürfen sich hier wie zu Hause fühlen, Getränke aus dem Kühlschrank nehmen, Bier zapfen, Musik auflegen. Und sich ihr Essen selbst holen. Denn eine Bedienung gibt es hier nicht. Alle spielen mit.

Als Bellut-Vater Kai-Uwe auf dem Tablett Gläser mit feinstem Cremant zum Sektempfang serviert, geht ein Strahlen über die Gesichter der älteren Damen. Julian Bellut und sein Kollege ziehen sich jetzt in die Küche zurück. Die beiden lieben es, neue Gerichte zu kreieren, zu tüfteln, zu testen. Doch heute läuft die Uhr und alles muss klappen.

Aus dem Landhaus Dierkshausen wurde das Privatrestaurant Bellut     
Aus dem Landhaus Dierkshausen wurde das Privatrestaurant Bellut     © HA | nanette franke

Mit zarter Hand rollt Sebastian Ritter hauchdünne Gurkenscheiben, setzt sie auf ein Blech, sodass sie aussehen wie filigrane Kunstwerke. Julian Bellut hackt frische Kresse, die er als Topping für eine Mischung aus Avocado und Grapefruit verwenden will. Die Gäste zu überraschen, ihnen altbekannte Zutaten in völlig neuer Zubereitung zu servieren ist der Ehrgeiz des Kochteams. Auch Vegetarier und Veganer wissen die einfallsreichen Zwei zu verwöhnen. Zum Beispiel mit saftiger „Ente“ aus gehackten Pilzen.

Im Gänsemarsch macht sich die Festgesellschaft auf den Weg in die Küche

Es duftet. Nach frischgebackenem Brot. Nach Kräutern, nach frischem Fisch, nach gebratenem Maishähnchen. Die Spannung steigt und dann ist die langerwartete Vorspeise angerichtet. Im Gänsemarsch macht sich die Festgesellschaft auf den Weg in die Küche. Dort, wo in „normalen“ Restaurants nur das Personal Zutritt hat, ist hier jeder willkommen. Insgesamt sechs Mal setzen sich die Geburtstagsgäste an diesem genussvollen Nachmittag in Bewegung, um sich sechs Gänge abzuholen.

Sechs Stunden wird getafelt, geredet, gelacht. Ein Familientreffen wie aus dem Bilderbuch. Die ungezwungene Atmosphäre macht den Charme des Privatrestaurants aus. Hier ist man unter sich. Gespräche können vertraulich geführt werden, nichts dringt nach außen.

Für Wirt Julian Bellut ist das Konzept auch wirtschaftlich von Vorteil: Während die meisten Landgasthöfe auf gut Glück Lebensmittel bevorraten müssen, ohne wirklich zu wissen, ob und wann wie viel Gäste kommen, kann er die Menge des Einkaufs genau berechnen. Und seinen Gästen so täglich Spitzenqualität bieten. Werbung hat Bellut bisher nicht gemacht. Doch schon viele Stammkunden gewonnen.

Die ersten Stammgäste haben schon für Weihnachten gebucht

„Die ersten haben schon für Weihnachten gebucht“, berichtet er. Für kleine Gruppen und Paare gibt es open events: Die Gäste reservieren sich etwa eine Woche vor dem Essen einen Tisch für eine feste Personenzahl und Zeit, wählen die Menüfolge aus und bezahlen im Voraus. Julian Bellut besorgt dann die Zutaten und Getränke. Und beide Seiten sind zufrieden.

Später Nachmittag. Als die letzten Gäste „satt, müde und sehr glücklich“ den historischen Gasthof verlassen, beginnt für Julian Bellut und Sebastian Ritter eine weitere Pflicht: Putzen und aufräumen. Auch hier überlassen die beiden Perfektionisten nichts dem Zufall. Sie wienern und wischen, bis alles wieder blitzt.

Denn wer seine Küche den Gästen vorzeigen will, der muss auch hier sein Bestes geben.