Stelle. Bau des Logistikzentrums stand jahrelang in der Kritik. Was die Gegner befürchten – und was sie erreicht haben.
Laut war der Protest, entschlossen und hartnäckig: Über mehrere Jahre haben Menschen in der Gemeinde Stelle versucht, den Bau eines neuen Aldi-Logistikzentrums in ihrer Nachbarschaft zu verhindern. Doch das Großprojekt wurde genehmigt, trotz aller Kritik. In diesen Tagen geht das Zentrallager des Discounter-Unternehmens in Betrieb.
Hat der Widerstand dennoch etwas bewirkt? Um dieser Frage nachzugehen, hilft ein Blick auf die Kritikpunkte, die im Laufe der Jahre angeführt wurden. Es ging vor allem um den Schutz von Bäumen, Insekten und Kulturgütern, aber auch um die zu erwartende Belastung durch den Lieferverkehr.
Aldi-Logistikzentrum in Stelle: Gegner wollten Hügelgrab erhalten
Die Gegner des Bauvorhaben setzten sich lange für den Erhalt eines Hügelgrabs ein. Dieser große Grabhügel aus der Bronzezeit mit einem Durchmesser von annähernd 20 Metern wurde vermutlich vor etwa 3000 bis 4000 Jahren errichtet.
„Unter solchen Hügeln begrub man herausragende Persönlichkeiten, Häuptlinge oder Könige und Königinnen“, sagte der Archäologe und Heimatforscher Jakob Möller aus Maschen im Gespräch mit dem Abendblatt. Er hatte dafür plädiert, den Hügel zu erhalten und als touristische Sehenswürdigkeit zugänglich zu machen. Ebenso historisch bedeutsam sei ein nahe gelegener Hohlweg, der einst wahrscheinlich ein überregional bedeutsamer Fernweg gewesen sei.
Kreisarchäologe stellte im Hügelgrab keine historisch bedeutsame Substanz fest
Doch am Ende musste das Hügelgrab für das Bauvorhaben weichen. Es wurde allerdings nicht einfach zerstört, sondern im Jahr 2021 abgetragen und untersucht. Dabei stellt sich heraus, dass in dem Hügel – einem von etwa 1000 noch bestehender Grabhügel im Landkreis Harburg – keine historisch bedeutsame Substanz mehr enthalten war.
Harburgs Kreisarchäologe Jochen Brandt hatte die Ausgrabungen beaufsichtigt. Er schätzte den historischen Wert als eher gering ein, da der Grabhügel bereits etwa 90 Jahre zuvor teilweise abgetragen worden war und nur noch eine Höhe von etwa 50 Zentimeter und auf der Ostseite von etwa 1,60 Meter hatte.
Naturschützer fürchteten die Zerstörung des Biotops Pennekuhle
Ein zweiter Punkt, auf den sich der Protest konzentrierte, war der Erhalt des Landschaftsschutzgebiets Pennekuhle. Der Landkreis hatte eine naturschutzrechtliche Befreiung für das Biotop - verbunden mit der Auflage, Ausgleichsflächen zu schaffen, – ausgesprochen und damit unter anderem den Weg frei gemacht für den Bau eines Verkehrskreisels nahe dem Logistikzentrum.
Begründet wurde dies mit dem öffentlichen Interesse und den zu erwartenden positiven Wirtschaftseffekten durch das Aldi-Zentrallager. Dagegen hatte der Regionalverband Elbe-Heide des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Widerspruch eingelegt. Er bezweifelte, dass das Logistiklager zusätzliche Steuereinnahmen oder weitere Arbeitsplätze mit sich bringen werde. Der Widerspruch wurde jedoch vom Lüneburger Verwaltungsgericht abgelehnt.
Die seltene Feldgrille sorgte für Verzögerung im Planungsprozess
Einen Teilerfolg erzielten die Gegner des Großprojekts, als die seltene Feldgrille in dem Gebiet gesichtet wurde. Das Insekt war im Frühjahr 2020 von Steller Bürgern entdeckt worden, nachdem die archäologischen Untersuchungen auf dem zuvor landwirtschaftlich genutzten Gelände begonnen hatten. Ein von der Gemeinde beauftragte Biologe bestätigte die Beobachtung.
Die Feldgrille ist eine Heuschreckenart und gilt in Norddeutschland als stark gefährdet. „In Niedersachsen ist sie vom Aussterben bedroht“, sagte Thomas Rieckmann von der BUND-Ortsgruppe Stelle nach Bekanntwerden des Fundes. Er schätzte die Zahl der Exemplare auf dem Areal auf etwa einhundert. „Man kann sie nicht sehen, aber sie sind deutlich zu hören.“
Planungsunterlagen für Aldi-Lager mussten mehrfach öffentlich ausgelegt werden
Nachdem das Auftauchen der Feldgrille sowie des Kranichs in den Umweltbericht aufgenommen worden war, mussten die Planungsunterlagen ein drittes Mal öffentlich ausgelegt werden, Bürger konnten erneut ihre Einwendungen einbringen.
Der überarbeitete Umweltbericht enthielt auch neue Details zu einigen Eichen auf dem Planungsgelände, die als erhaltenswert eingestuft wurden. Die teilweise mehr als hundert Jahre alten Bäume an der Kreisstraße 86 hätten nach ursprünglicher Planung gefällt werden können. Auch das wollten die Naturschützer mit eindrucksvollen Protestaktionen verhindern.
Schutz der alten Bäume an der Kreisstraße 86 wurde überdacht
Schließlich wurde der Baumbestand am sogenannten Waldsaum gesichert, zudem wurde die Zahl der Bäume erhöht, die auf dem Betriebsgelände neu gepflanzt werden mussten. Dennoch wurden mehrere Bäume für die Bauarbeiten gefällt.
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Sorge bereitet vielen Menschen in Stelle der zu erwartende Verkehr rund um das neue Logistiklager. Auf diesen Punkt hatte unter anderem die Interessengemeinschaft (IG) der Anlieger K 86 in Stelle bereits 2020 hingewiesen. Eine Verkehrszählung des Landkreises hatte demnach 70.152 Fahrzeugbewegungen innerhalb von sieben Tagen ergeben.
Dies war der IG zufolge eine Steigerung von 24 Prozent gegenüber Messungen aus dem Jahr 2015. Hinzu kämen künftig die An- und Abfahrten per Lastwagen zum Aldi-Zentrallager. Aufgrund der Bedenken wurden die Verkehrsprognose in den Unterlagen aktualisiert. Den Bau verhinderten diese Daten jedoch nicht.
Bau des Aldi-Logistiklager wurde nicht verhindert – aber Protest hat einiges angestoßen
Fest steht: Die engagierten Kritiker haben den Blick der Öffentlichkeit auf eine ganze Reihe von Dingen gelenkt, die schützenswert und besonders sind – und sie haben erreicht, dass kein Baum leichtfertig gefällt, kein Abschnitt unnötig geteert wurde.
In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob der Lieferverkehr rund um das Logistiklager neuen Protest hervorrufen wird. Der BUND geht zudem davon aus, dass es zu „erheblichen Verkehrsstörungen und Wartezeiten für Autofahrer“ an der Autobahnauffahrt Maschen kommen wird.
Weitere Vergrößerungen des Gebäudekomplexes müssen die Steller vorerst nicht befürchten. Der an den vorhabenbezogenen Bebauungsplan gekoppelte Durchführungsvertrag zwischen Gemeinde und Unternehmen schließt eine Erweiterung ohne erneuten Vertrag aus. Auch hierfür hatte sich Aldi ursprünglich die Möglichkeit offen halten wollen.