Winsen/Visselhövede. Zahl der Betriebe seit 2016 fast verdoppelt. Welche Pflanze die Diva ist – und wo Experten das größte Potenzial sehen.

Der Ökologische Landbau ist im Landkreis Harburg deutlich gewachsen. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Anzahl der Bio-Höfe annähernd verdoppelt, von 53 Betrieben in 2016 auf aktuell 103 Betriebe. „Das ist eine sehr schöne Entwicklung“, sagt Carolin Grieshop, Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Ökolandbau Niedersachsen (KÖN) in Visselhövede. Das Zentrum berät Landwirte zum Ökoanbau, koordiniert Forschungsprojekte, sammelt und veröffentlicht Daten und Fakten zum Biolandbau.

„Neue Biobetriebe entstehen dort, wo die Abnahmesituation gut ist, wo es Verarbeitungsbetriebe und Kundschaft gibt“, sagt Grieshop. Wie in der Metropolregion Hamburg. Ein weiterer entscheidender Faktor seien allerdings die Pachtpreise. Im Landkreis stieg mit den neuen Betrieben auch die ökologisch bewirtschaftete Fläche stark an, von 2462 Hektar (2016) auf 5008 Hektar (2022). Der Anteil an Ökofläche liegt mit 9,3 Prozent deutlich höher als im niedersächsischen Durchschnitt (5,6 Prozent), jedoch unter dem Bundesschnitt (10,9 Prozent).

Das Wendland ist die Pionierregion des Ökolandbaus

Überdurchschnittlich viel ökologisch geackert wird in den Landkreisen Lüchow-Dannenberg (Anteil der Ökoflächen: 18,8 Prozent), Lüneburg (14,4 Prozent) und im Heidekreis (14,1 Prozent). Sie sind die niedersächsischen Spitzenreiter. „Das Wendland ist die Pionierregion, hier ist der Ökolandbau entstanden. Deshalb liegt der Landkreis Lüchow-Dannenberg immer ganz vorn“, sagt die gelernte Bäckerin und studierte Politikwissenschaftlerin. Rund um Lüneburg wirke sich das alternative, studentische Milieu der Stadt aus, und im Heidekreis treibe der Tütsberghof den Anteil hoch. Grieshop: „Er hat gut 1000 Hektar Fläche, macht aber hauptsächlich Schafhaltung auf Naturschutzflächen. Deshalb ist er nicht repräsentativ für den Ökolandbau.“

Auf der Abnehmerseite haben Öko-Produkte im Vergleich zum Corona-Boom-Jahr 2021 in Niedersachsen sieben Prozent eingebüßt (konventionelle Lebensmittel: minus sechs Prozent). „Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Lage“, sagt Grieshop. „Die Direktvermarkter und Naturkosthändler haben seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine enorme Einbußen, während der Umsatz von Bio-Lebensmitteln bei den Discountern steigt.“ Angesichts der Inflation und hoher Energiepreise sparten die Menschen zu allererst bei den Lebensmitteln, bedauert Grieshop. Das treffe sowohl konventionelle als auch Bio-Ware. Unter dem Strich stehe aber ein deutliches Plus von fast 30 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019.

Soja ist eine Diva, sagt die Leiterin des Zentrums

Wie auch im konventionellen Bereich erobern neue Warensortimente die Ladenregale. „Fleischersatzprodukte und pflanzliche Milchprodukte nehmen deutlich zu. Hier liegt ein enormes Potenzial, das weiter wachsen wird“, so die 42-Jährige. Als Folge werden in Niedersachsen vermehrt Eiweißpflanzen angebaut, etwa Kichererbsen, Hafer und Lupine, auch Öllein und Soja. Wobei letztere nicht so recht zu Norddeutschland passt: „Soja ist eine Diva“, sagt Grieshop.

Auch die niedersächsischen Legehennen, die mehr als 40 Prozent aller deutschen Bio-Eier produzieren, benötigen verstärkt eiweißhaltiges Veggie-Futter aus heimischem Anbau. Zumal neben den Masthähnchen nun auch die Bruderhähne der Legehennen mit durchgefüttert werden. Das Geflügel bekommt Ölpresskuchen, also die Reststoffe aus der Speiseölherstellung, vorgesetzt. Die wichtigste Proteinquelle ist der Sojakuchen, ergänzt durch Pressrückstände aus Raps und Sonnenblumenkernen.

Die niedersächsischen Bio-Betriebe haben schnell auf die Mangellage reagiert

Das Hauptanbaugebiet für Soja und Sonnenblumen ist die Ukraine. Sie konnte in diesem Jahr die benötigten Mengen nicht liefern. Die niedersächsischen Bio-Betriebe haben im Frühjahr schnell auf die Mangellage reagiert. Sie säten 60 Prozent mehr Soja aus (Anbaufläche 2022: gut 1000 Hektar) und verdoppelten die Anbaufläche für Sonnenblumen auf 615 Hektar. Auch im Landkreis Harburg gab es einige Sonnenblumenfelder (fünf Hektar); im Heidekreis waren es 14 Hektar.

Noch ist der Flächenanteil des Ökolandbaus in Niedersachsen eher niedrig. Bis 2025 soll er von gut fünf auf zehn Prozent, bis 2030 auf 15 Prozent wachsen. So will es der „Niedersächsische Weg“, eine bundesweit einmalige Vereinbarung zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Politik. Sie verpflichtet die Akteure, konkrete Maßnahmen für mehr Natur-, Arten- und Gewässerschutz zu ergreifen. Das Land Niedersachsen habe ein Bündel von Maßnahmen erarbeitet, um die gesetzten Ziele im Ökolandbau zu erreichen, sagt Grieshop.

Rund 600 landwirtschaftliche Betriebe geben in Niedersachsen jedes Jahr auf

Seit zehn Jahren leitet sie das KÖN. „Wir sind auf dem Weg“, sagt sie und hofft, dass die „Geiz ist geil“-Haltung gegenüber Lebensmitteln 2023 wieder nachlässt. Ein anderes Problem treibt sie noch stärker um: „Meine größte Sorge ist, dass wir weiterhin Landwirte verlieren – das Höfesterben.“ Rund 600 landwirtschaftliche Betriebe geben in Niedersachsen jedes Jahr auf, umgerechnet 1,6 Betriebe pro Tag. 2021 gab es um die 34.000 Bauernhöfe und Agrarbetriebe in Niedersachsen.