Harburg/Moisburg. Sie sind ein Harburger Original: Die motorisierten Dreiräder des Tempo-Werks in Bostelbek. Ihr Siegeszug führte bis nach Indien.

Abgasstark, dafür leistungsarm – und auch noch laut: Ein Fahrzeug der Harburger Marke Tempo widerspricht fast allen Anforderungen an ein Auto der heutigen Zeit. Und trotzdem erinnern sich noch viele an die urigen Gefährte aus Harburg, die auf drei Rädern über die Straßen knatterten.

Am Mühlenmuseum in Moisburg gab es jetzt die Gelegenheit, die Dreiräder und weitere Modelle zu erleben und genau unter die Lupe zu nehmen – Modelle des Harburger Originals, das zunächst nur im Vidal & Sohn Tempo-Werk in Bostelbek produziert und später weiterentwickelt wurde.

Altes Tempowerk Harburg: Heute befindet sich hier ein Mercedes-Werk

Wer wollte, erfuhr viel Wissenswertes über die Geschichte des Harburger Autoherstellers, dessen robuste Fahrzeuge beim Wiederaufbau in der Nachkriegszeit besonders gefragt waren. Sie wurden einst an dem Ort hergestellt, an dem sich heute das Werk der Mercedes Benz AG in Bostelbek befindet.

Wie in alten Zeiten: Vor der Moisburger Amtsmühle wird ein Tempo Hanseat mit Schrot-Säcken beladen. 
Wie in alten Zeiten: Vor der Moisburger Amtsmühle wird ein Tempo Hanseat mit Schrot-Säcken beladen.  © HA | Sabine Lepél

Aus der dort im Jahr 1935 gegründeten Vidal & Sohn Tempo-Werk GmbH wurde in den 1970er-Jahren ein Standort der damaligen Daimler-Benz AG.

Es gab Zeiten, da war ein Wagen von Tempo ähnlich populär wie heute das Auto mit dem Stern. Der Kohlenhändler hatte einen, der Gemüsehändler auch. Die Milch wurde mit dem Dreirad ausgefahren und manchmal sogar Kinder transportiert: „Wir wurden damit zum Fußball kutschiert“, erinnert sich Wilhelm Prigge.

Tempo-Fahrzeuge aus Harburg: „Damals konnte man alles noch selbst reparieren“

Der Moisburger gehört zu den Besuchern der Veranstaltung „Drei Räder und ein Wasserrad – Tempos am Mühlenmuseum Moisburg“, die das Freilichtmuseum am Kiekeberg am vergangenen Sonntag in Prigges Heimatort organisiert hatte.

Der ehemalige Kfz-Meister Günter Wegener ist angetan von der Einfachheit des Tempo-Motors. 
Der ehemalige Kfz-Meister Günter Wegener ist angetan von der Einfachheit des Tempo-Motors.  © HA | Sabine Lepél

Auch Günter Wegener ist fasziniert von den Fahrzeugen, die Mitglieder der Interessenvereinigung Tempo-Dienst Deutschland nach Moisburg gebracht hatten. Wegener war bis zur Rente KFZ-Meister. „Das ist ja alles sehr übersichtlich“, sagt er beim Blick in den Motor eines Tempo aus dem Jahr 1952. „Damals konnte man wirklich noch alles selbst reparieren.“

Ein lautes Knattern unterbricht die angeregte Unterhaltung unter den Tempo-Fans: Ein Tempo Hanseat tuckert zur Moisburger Wassermühle, wo die Ladefläche mit Säcken voller gemahlenen Schrot für den Weitertransport in die Backstube beladen wird.

Tempo-Fahrzeuge aus Harburg: Vielseitig, zuverlässig und zählebig

Auch Roland Toll beobachtet das Spektakel. „Es ist eine Herausforderung, so ein Fahrzeug zu fahren“, sagt der Mann aus dem Leitungsteam des Tempo-Dienstes: „Die Fahrzeuge können schnell umkippen.“ Etwa, wenn man zu rasant in die Kurve geht – falls von Rasanz bei einer Höchstgeschwindigkeit von etwa 50 km/h gesprochen werden kann.

Ziemlich spartanisch: ein Tempo Hanseat von innen. 
Ziemlich spartanisch: ein Tempo Hanseat von innen.  © HA | Sabine Lepél

„Vor einer Kurve muss der Fahrer unbedingt vom Gas gehen, sonst endet man schnell im Graben“, rät Toll, der als Beifahrer tatsächlich einmal mit einem Tempo Hanseat auf der Seite gelandet ist. Aber: „Nichts passiert“, sagt er. Das Fahrzeug wurde einfach wieder auf die Räder gestellt, lediglich der Außenspiegel war kaputtgegangen. Vielseitig, zuverlässig und zählebig sei so ein Tempo. Mit diesen Eigenschaften wurden die Fahrzeuge zu einem Symbol des Wirtschaftswunders.

Die Firodia-Gruppe in Indien produziert bis heute Tempo-Transporter

Roland Toll ist mit seinem „Harburger Transporter“ nach Moisburg gekommen. Der Bus mit Baujahr 1977 trägt einen Mercedes-Stern und vereinigt gleich mehrere Etappen der Tempo-Geschichte in sich. Die zu Grunde liegende Konstruktion wurde im Tempo-Werk in Bostelbek für den ab 1949 vertriebenen Tempo Matador erstellt.

Die Konstruktion blieb bei der Übernahme des Tempo-Werks durch die Hannoversche Maschinenbau AG (Hanomag) im Jahr 1965 und auch 1971 nach dem Übergang an Mercedes-Benz weitgehend erhalten. „Bis 1977 wurden diese Transporter in Hamburg und Bremen gebaut“, weiß Toll. „Und auf Basis ihrer Konstruktion werden bis heute bei Firoda, dem indischen Kooperationspartner von Mercedes-Benz, Fahrzeuge gefertigt.“

Ein aus Indien importierter Hanseat – gerettet aus einer Glaserei in Horn

Apropos Indien: In Deutschland ist die Marke Tempo längst Geschichte, doch in Indien stellte das Unternehmen Bajaj-Tempo die Dreirad-Lieferwagen noch von 1962 bis 2000 in Lizenz her. Deshalb kann Kai-Uwe Wahl, Schriftführer beim Tempo-Dienst, vor dem Amtshaus in Moisburg ein Dreirad mit dem überraschenden Baujahr 1989 präsentieren.

Vor dem Moisburger Amtshaus drängen sich Besucher um einen Tempo aus den 1950er-Jahren. 
Vor dem Moisburger Amtshaus drängen sich Besucher um einen Tempo aus den 1950er-Jahren.  © HA | Sabine Lepél

Seinen aus Indien importierten Hanseat – ein-Zylinder-Dieselmotor, zehn PS, 454 Kubikzentimeter Hubraum – hat er von einer Glaserei in Hamburg-Horn erworben. „Da stand er irgendwann nur noch im Weg herum“, sagt Wahl. „Er sollte weg. Das war mein Glück.“

Wahl kennt die Geschichte der einst so populären Automarke aus Harburg aus dem Effeff. „Die ersten Fahrzeuge entstanden noch in Wandsbek“, weiß Wahl. Ursprünglich seien die Firmengründer im Kohlen- und Brennstoffhandel tätig gewesen. „Max Vidal und sein Sohn Oscar stiegen dann aber in den wachsenden Markt der Dreirad-Lieferwagen ein“, berichtet Wahl.

Kultauto Tempo aus Harburg: Steuerfrei und ohne Führerschein zu fahren

Der erste Tempo lief 1928 vom Band. Schon bald gab es eine große Nachfrage nach den dreirädrigen Lieferfahrzeugen. Ein Grund: Damals durften Kraftfahrzeuge mit weniger als vier Rädern und einem Hubraum von weniger als 200 Kubikzentimetern ohne Führerschein gefahren werden und waren steuerfrei. Die praktischen und robusten Fahrzeuge hatten einen guten Ruf, der Bedarf wuchs, und die alte Fabrik in Wandsbek reichte nicht mehr aus.

Roland Tolls „Harburger Transporter“ von 1977 ist ein Campingfahrzeug. Es trägt zwar einen Mercedes-Stern, hat aber viel Tempo-Geschichte in sich. 
Roland Tolls „Harburger Transporter“ von 1977 ist ein Campingfahrzeug. Es trägt zwar einen Mercedes-Stern, hat aber viel Tempo-Geschichte in sich.  © HA | Sabine Lepél

Deshalb erwarben die Tempo-Gründer Max und Oskar Vidal ein 60.000 Quadratmeter großes Gelände mit Montagehallen und Verwaltungsgebäude in Harburg und verlagerten 1935 die Fertigung von Wandsbek nach Bostelbek. Wo eine Erfolgsgeschichte begann: „In den 1930er-Jahren kam der meistgekaufte Kleinlaster der Welt aus dem Harburger Tempo-Werk“, weiß Wahl. Damals galt der Werbespruch „Ob Nordlandeis, ob Wüstensand: Tempo-Wagen – Weltbekannt“.

Anfang Oktober 1955 verließ der letzte „Hanseat“ die Werkhallen in Harburg

Bis 1955 war das Tempo-Werk Vidal Sohn in Deutschland die einzige, noch im Privatbesitz befindliche Automobilfabrik. Aber die Konkurrenz war groß und stark geworden. Nur die kapitalstarken Unternehmen konnten sich erfolgreich am Markt behaupten und immer wieder Innovationen bieten.

Das Tempo-Werk erreichte eine Krise, 2000 Arbeitsplätze in Harburg-Bostelbek standen auf dem Spiel. Deshalb entschloss sich Oscar Vidal, die Rheinstahl Hanomag AG mit 50 Prozent als Partner aufzunehmen. Aber auch der weltberühmte Dreiradwagen war nun nicht mehr angesagt. Anfang Oktober 1955 verließ der letzte „Hanseat“ die Werkhallen in Harburg.

Weltweit könnten noch etwa 1000 Tempo-Fahrzeuge unterwegs sein

Das Harburger Tempo-Werk wurde 1969 Teil der Hanomag-Henschel Fahrzeugwerke GmbH, die ihrerseits 1971 von der Daimler-Benz AG übernommen wurde. Wahl schätzt, dass weltweit noch etwa 1000 Fahrzeuge des Autoherstellers aus Harburg unterwegs sind.

Mitte der 1950er-Jahre waren noch 101.000 dreirädrige Tempo-Fahrzeuge zum Verkehr zugelassen. 2008 gab es nur noch 87 zum Verkehr zugelassene Dreiräder aus Harburg. Der Firmenslogan von einst hat sich somit längst bewahrheitet: „Hast Du keinen Tempo-Wagen, wird die Konkurrenz Dich schlagen.“