Stade. Von Rokoko bis Motto-Party: Die Staderin Angela Gottschalk näht Kostüme, die Eindruck machen. Ihre Kunstwerke gibt es auch im Verleih.
- In wenigen Wochen ist es wieder soweit: die närrischen Tage stehen vor der Tür
- Dann wird auch in Norddeutschlang Fasching, Karneval oder Faslam gefeiert
- Wer noch auf der Suche nach einem Kostüm ist – der Fundus dieser Schneiderin ist ein Geheimtipp
Dass Angela Gottschalk aus Leipzig stammt, ist nicht zu überhören. Dass auch Leipziger offenbar ein großes Faible für Karneval und historische Gewänder haben, überrascht dann doch. Denn mit Kostümen verdient Angela Gottschalk ihr Geld: Rund 1500 Kostüme umfasst ihr Fundus in ihrem Haus in Stade inzwischen – ein Gehimtipp für alle, die zum Faslam 2024 im Landkreis Harburg noch eine besondere Verkleidung suchen. Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen?
Die gelernte Stenotypistin verlor mit der Wende ihren Job – so wie viele Menschen damals in der DDR. „Das war vor etwa 30 Jahren. Da bekam mein Mann das Angebot, hier in Stade bei einer Firma zu arbeiten. Und ich dachte, es ist ja eigentlich egal, wo ich arbeitslos bin, in Leipzig oder in Stade“, erzählt Angela Gottschalk.
Faschingskostüme aus Stade: Eine gewagte Idee – aber eine, die aufging
Also brachen die Gottschalks ihre Zelte in Sachsen ab und gingen ins Alte Land. Gottschalk: „Mein Mann und ich lernten uns in Leipzig beim Karneval kennen, und im Laufe der Jahre nähte ich immer mehr Kostüme für uns beide. Man will ja nicht jedes Jahr dasselbe tragen müssen.“ Auch wenn ihre zahlreichen Jobs das nicht unbedingt nahelegen, sagt Angela Gottschalk. Sie sei immer schon ein sehr kreativer Mensch gewesen. Mit rund 150 Faschingskostümen verließ die Familie damals die alte Heimat.
In Stade blieb die Mutter dreier Kinder nicht lange arbeitslos. Zehn Jahre verdiente Angela Gottschalk ihr Geld als Tagesmutter. „Und eigentlich wollte ich die mitgebrachten Kostüme damals auf Flohmärkten verkaufen“, erinnert sie sich. Eine Nachbarin brachte sie auf die Idee mit dem Kostümverleih – eine gewagte Idee im Nordosten Niedersachsen. Die Gegend ist eher für ein etwas angespanntes Verhältnis zum Fasching bekannt. Das ist jetzt 20 Jahre her.
Venezianische Kostüme sind Angela Gottschalks Spezialität
Seitdem näht Angela Gottschalk, was das Zeug hält. Nicht nur Karnevalsverkleidung – mit Vorliebe auch historische Kostüme. Zu ihren Kunden gehören Stader Stadtführer, genauso wie Niedersachsen oder Hamburger, die jedes Jahr nach Venedig zum Karneval fahren. Venezianische Kostüme seien eine ihrer Spezialitäten, so Gottschalk. Das sei ein wahrer Kult, hier in Norddeutschland habe sich eine echte Fangemeinde der venezianischen Maskerade-Kunst etabliert, sagt sie.
Man könnte denken, die passen niemals in ein Einfamilienhaus in einer ruhigen Stader Wohngegend. Falsch gedacht: Die Kostüme passen da rein, ordentlich aufgehängt auf Kleiderständer, verteilt auf drei Kellerräume.
Ihre Kostüme werden für die venezianische Tage in Schwerin verliehen oder in Hamburg beim „Maskenzauber“ getragen, eine Hommage an den venezianischen Karneval im Februar. Angela Gottschalk näht für kleine Theater, für mittelalterliche Märkte oder für historische Veranstaltungen. Menschen, die Motto-Partys feiern, kleiden sich bei der Staderin ein. Ihre Ideen nimmt sie aus der Literatur und von historischen Gemälden. Sie besucht Ausstellungen und lässt sich in Museen von den Exponaten inspirieren.
Selbst Möbelstoffe nutzt Angela Gottschalk für ihre Kostüme
Für ihre Stoffe fährt sie auch schon mal in Möbel- oder Einrichtungshäuser. Gottschalk: „Wenn ich beispielsweise Rokoko Kleider oder Kleider aus der Renaissance nähe, nehme ich auch Stoffe, mit denen sonst Möbel bezogen werden, oder ich bekomme die entsprechenden Stoffe in Gardinen-Geschäften.“
Es gibt eigentlich keinen Anlass, für den Angela Gottschalk nicht schon ein Kostüm entworfen und in ihrer kleinen Werkstatt im Obergeschoss ihres Wohnhauses an ihrer Maschine genäht hätte. Manchmal, sagt sie, sitze sie an ihrer Nähmaschine, und es fehle ihr die zündende Idee für ein Kostüm. Dann hole sie sich ihr „Wutkostüm“ an die Maschine und nähe einfach drauf los. Schranken fallen so im Kopf, und die Ideen sprudeln wieder.
Im September fährt Angela Gottschalk zu den venezianischen Tagen in Schwerin - im Gepäck rund 50 ihrer Meisterwerke. An zwei Tagen werden dort vor historischer Kulisse Karneval Kostüme getragen und gezeigt.
60 bis 80 Stunden Arbeit stecken in einem Rokoko-Kleid
Wer sich bei Angela Gottschalk für den Karneval oder eine Motto-Party einkleiden will, muss sich schon nach Stade bequemen. „Die Kleider und Kostüme online zu verleihen oder über das Internet Auftragsarbeiten zu machen, kommt für mich auf keinen Fall in Frage“, sagte sie.
Das, was sie fertige, müsse maßgeschneidert werden, das gebe es nicht von der Stange – ob geliehen oder gekauft. „Ich brauche einfach die genauen Maße der Menschen, und jeder, der so etwas näht, misst auch anders. Und auch die Anprobe geht nur hier“, erklärt sie.
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Und so eine Anprobe kann dauern. Angela Gottschalk rechnet im Schnitt mit etwa einer Stunde, bis eine Kundin beispielsweise in einem original getreuen Rokoko-Kleid steckt. Das ist natürlich nichts im Gegensatz zu der Zeit, die es braucht, bis Gottschalk ein solches Kleid genäht hat. Das dauert rund 60 bis 80 Stunden. Und die sichtbaren Nähe sind dann natürlich mit der Hand genäht.
Nach der Zwangspause in der Corona-Pandemie surrt die Maschine wieder
Während der Pandemie blieb ihre Nähmaschine außer Betrieb. Veranstaltungen und Feste, zu denen Menschen Kostüme getragen hätten, gab es nicht mehr. Das war eine bittere Zeit für die Kostümverleiherin. Aber inzwischen surrt die Maschine in ihrer Werkstatt im Obergeschoss des Backsteinhauses in Stade wieder.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals am 26. Juni 2023 erschienen. Aus aktuellem Anlass haben wir ihn inhaltlich aktualisiert und noch einmal auf die Reise geschickt.