Protest gegen geplante Bahnstrecke Hamburg–Hannover werden deutlich: Eine Familie aus Ramelsloh erzählt, was die Trasse für sie bedeuten würde.

  • Neue ICE-Trasse von Hamburg nach Hannover stößt auf massiven Widerstand bei den Anwohnern
  • Sorge der Anwohner ist groß: Werden sie ihre Häuser verlieren?
  • Traumgrundstück wird zum Albtraum

Ramelsloh. Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß. Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet.

Teil 9: Kai Schierhorn aus Ramelsloh erzählt, was die ICE-Trasse für ihn bedeuten würde

Er erinnert sich noch genau an den Abend, als der Suchalarm in seinem Smartphone klingelte. Es war der 9. Januar 2017, ein Montag. Kai Schierhorn und seine Frau Neetje waren mitten in den Vorbereitungen für ihre Floridareise. Fünf Wochen USA lagen vor ihnen. Elternzeit-Urlaub mit Söhnchen Jarne, der damals nur wenige Monate alt war. Zwischen Windeln, Strampelanzügen und Badehosen stehend schaute Kai Schierhorn auf sein Smartphone und las diese Immobilienanzeige, auf die er schon so lange gewartet hatte.

Fünf Grundstücke standen zum Verkauf. Eingebettet in den alten Dorfkern von Ramelsloh, nur einen Steinwurf von der Kirche entfernt. Noch am selben Abend stieg Kai Schierhorn in sein Auto und schaute sich die Flächen an. Am nächsten Morgen kontaktierte er den Makler: „Wir wollen kaufen“, sagt er. Nie zuvor hat Kai Schierhorn so schnell eine so wichtige Entscheidung getroffen.

Er glaubte, den Ort für sein Leben und seine Familie gefunden zu haben: 684 Quadratmeter Grundstück in Seevetal, abseits von Autobahnen und Zugverkehr, vom Donnern des Güterbahnhofs. Zwei Jahre dauerte es, bis das gemütliche Friesenhaus einzugsbereit war. Es sollte ein besonderes Haus werden, eins, das mit seinem Charme zum alten Dorfkern passt.

Die Trassenpläne durch den Landkreis Harburg treffen auf massiven Widerstand

Der zweifache Vater hätte nicht gedacht, dass er diesen Schritt einmal bereuen könnte. Der 40 Jahre alte Geschäftsführer eines IT-Systemhauses ist in Maschen aufgewachsen. Seine Kindheit und Jugend verbindet er mit dem Geräusch von quietschenden Bremsen der Züge am Güterbahnhof. „Ich hatte den Lärm satt“, sagt er. Das Grundstück im alten Kern von Ramelsloh schien ihm damals ein Wink des Schicksals. „Hier finde ich endlich Ruhe vor den Geräuschen der Infrastruktur“, dachte er. Dass nur wenige Jahre später das Thema Bahn noch einmal sein Leben kreuzen würde, hatte er nicht geahnt.

Wie berichtet, plant die Bahn im Zuge des Deutschlandtakts den Ausbau der Strecke zwischen Hamburg und Hannover. Neben dem Ausbau der Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle gibt es Pläne zum Bau einer neuen Trasse entlang der A 7 durch den Landkreis Harburg, die dort auf massiven Widerstand der Anwohnerinnen und Anwohner stößt. Auch Kai Schierhorn gehört zu diesen Gegnern. „Wenn die Bahn die neue Trasse baut, werden wir massiv betroffen sein“, sagt er. „Dann wird es auch hier richtig laut.“

„Das, was 2016 galt, gilt heute nicht mehr.“

Kai Schierhorn erwartet von der Deutschen Bahn, dass diese die Bürgerinnen und Bürger in die Planungen einbindet. „Ich bin davon überzeugt, dass die von der Deutschen Bahn vorgeschlagene Trassenführung nicht optimal ist“, sagt er „Und dass noch einmal ganz genau geprüft werden muss, ob die Planungsgrundlage, auf der die Neubautrasse basiert, heute noch angewendet werden kann.“

Diese basiere auf einer Hochrechnung der Güterverkehrszahlen für die kommenden Jahrzehnte. „Aber wie wir inzwischen wissen, ist der Containerumschlag im Hamburger Hafen zurückgegangen. Das Wachstum, die optimistischen Prognosen haben sich abgeschwächt. Damit wäre die Planungsgrundlage in Frage zu stellen. Das, was 2016 galt, gilt heute nicht mehr.“

Schierhorn wundert sich über die „dusselige Ausfädelung quer durch die Gemeinde Seevetal“

Ungeachtet dessen wundert sich der Ramelsloher über die „dusselige Ausfädelung quer durch die Gemeinde Seevetal“, die die Bahn für die Strecke geplant habe. „Warum lassen sie die Trasse nicht von Meckelfeld über den Maschener Rangierbahnhof laufen und zweigen zwischen Horst und Ramelsloh direkt an der A7 Richtung Süden ab?“, fragt er sich. Dort gebe es doch bereits Gleise. Ein Ausbau der Bestandsstrecke wäre augenscheinlich möglich, die Gleise könnten dann direkt an der A7 weiterführen. Damit würde die Ausquerung durch die Gemeinde Seevetal wegfallen. „Und die Aussage der Bahn, man plane eine Strecke entlang der A7, wäre damit korrekt.“

Mit Plakaten wie diesen wird im Landkreis Harburg gegen die geplante Neubaustrecke zwischen Hamburg und Hannover protestiert.
Mit Plakaten wie diesen wird im Landkreis Harburg gegen die geplante Neubaustrecke zwischen Hamburg und Hannover protestiert. © HA | Hanna Kastendieck

Selbstverständlich gäbe es auch hier „bauliche Raumwiderstände, insbesondere im Bereich der Autobahn Auf- und Abfahrten“, aber „die Akzeptanz einer solchen Verbindung direkt an der A7 wäre wohl um ein Vielfaches höher“. Und: „Die Bündelung der Lärmbelastung von Autobahn und Eisenbahn an einer unmittelbar parallel verlaufenden Strecke kommt den Anwohnern aller betroffenen Gemeinden entgegen.“

Die Deutsche Bahn habe die Politikverdrossenheit der Menschen geschürt

Sorgen bereitet der Familie zudem, dass die Bahn für die Trassenführung durch das Lindhorster und Helmstorfer Moor einen bis zu 25 Meter hohen Damm sowie eine Riesenbrücke über die Seeve und die Seevetaler Straße bauen müsste. All das stehe nicht im Verhältnis zu den Alternativen, die möglich seien, findet der 40-Jährige, der betont, dass er nicht grundsätzlich gegen eine gute Idee sei. „Aber, wenn die Idee nicht gut ist, und wenn sie zudem nicht seriös kommuniziert wird, dann ist für mich das Thema durch“, sagt er.

Die Bahn habe mit der Missachtung des 2015 im Dialogforum Schiene Nord gefundenen Konsens Alpha-E die Politikverdrossenheit der Menschen geschürt. Und auch jetzt schweige die Bahn und verunsichere damit die Bürgerinnen und Bürger. „Es ist doch klar, dass die Menschen nicht mehr mitmachen, wenn sie das Gefühl haben, dass das, was sie tun, für die Tonne ist“, sagt der Vater zweier Jungs im Alter von zwei und sechs Jahren.

Sein sechsjähriger Sohn hat ein rot-gelbes Andreaskreuz gebaut, mit dem sie ihren Protest ausdrücken wollen. Doch bei harmlosen Holzkreuzen soll es nicht bleiben.

Mit Bauernschläue könne man Großprojekte verhindern

Kai Schierhorn und die vielen engagierten Ramelsloher haben noch etliche Pfeile im Köcher. „Wir hier in Ramelsloh wissen, wie Protest geht“, sagt der Geschäftsführer. In den 1980er-Jahren habe man schon einmal ein gewaltiges Regierungsprojekt gestoppt. Damals sollte im Brackeler Grund ein Nato-Depot gebaut werden. Der Eigentümer, ein Landwirt, weigerte sich jedoch, auch nur einen Quadratzentimeter seines fünf Hektar großen Grundstücks für kriegerische Zwecke zu verscherbeln. Stattdessen konnte jeder, der wollte, Mitbesitzer des Flurstücks werden. Arbeiter, Ärzte, Bauern, Beamte, Lehrer, Politiker, Rechtsanwälte, Studenten machten mit.

Im Landkreis Harburg beteiligten sich im Januar etwa 1000 Teilnehmer an zwei Kundgebungen in Brackel und Ramelsloh.
Im Landkreis Harburg beteiligten sich im Januar etwa 1000 Teilnehmer an zwei Kundgebungen in Brackel und Ramelsloh. © JOTO | Joto

„Sogar einen prominenten Mitbesitzer aus dem Ostblock hat es damals gegeben“, erzählt Kai Schierhorn. „Michail Gorbatschow, den damaligen sowjetischen Generalsekretär.“ Und mit diesem habe sich die Deutsche Regierung nicht anlegen wollen. Das Verteidigungsministerium hisste die weiße Fahne. Kai Schierhorn ist sich sicher, dass solche Ideen auch heute noch funktionieren. „Die Ramelsloher haben damals das Projekt zum Scheitern gebracht“, sagt er. „Mit Bauernschläue kann man Großprojekte verhindern.“

Die Bahn hat im Zuge des Trassenausbaus Hamburg – Hannover drei Grundvarianten – bestandsnaher Ausbau, bestandsnaher Ausbau mit Ortsumfahrungen und bestandsferner Neubau– untersucht. Jede Variante hätte Auswirkungen – für die Menschen an der Trasse, aber auch für jene, die von einer guten Bahnverbindung profitieren würden. In einer fortlaufenden Serie möchte das Abendblatt zunächst Betroffenen einer neuen Trasse eine Stimme geben.

Im zweiten Teil sollen der Fokus auf den Ausbau der Bestandsstrecke und dessen Folgen gelegt werden. Auch Pendler, Geschäftsreisende und Eisenbahner, die den Streckenausbau unterstützen, sollen zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge schildern. Betroffene, die einen Beitrag zur Trassendiskussion leisten wollen, wenden sich per Mail an: harburg-abendblatt@funkemedien.de oder an hanna.kastendieck@abendblatt.de, Stichwort: „Alpha-E“.