Garlstorf. Protest gegen geplante Bahnstrecke Hamburg–Hannover: Familie aus dem Landkreis Harburg erzählt, was die Trasse für sie bedeuten würde.

Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß.

Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet. Diesmal: Susanne Torge-Reinking aus Garlstorf

Deutsche Bahn plant Trasse am Rande ihres Dorfes

Sie weiß gar nicht genau, ob sie als „betroffen“ gilt. Ob sie ein Recht darauf hat, sich zu äußern. Und ob sie sich beschweren darf, wenn die Bahn am Rande ihres Dorfes eine neue ICE-Schnelltrasse plant.

Schließlich ist es so, dass Susanne Torge-Reinking, ihr Mann Heinrich und Tochter Anna Lena zwar in der Nähe, aber nicht direkt auf der geplanten Neubautrasse zwischen Hamburg und Hannover wohnen. Sondern ein paar Hundert Meter davon entfernt. Das gemütliche Einfamilienhaus, das die Bankkauffrau vor 28 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann im Heidedorf Garlstorf gebaut hat, wäre damit nicht unmittelbar von möglichen Trassenplänen betroffen. Das Haus müsste weder abgerissen werden, noch müsste die Familie ausziehen. Ihre Immobilie würde lediglich an Wert verlieren. Genauso wie das Leben, das die drei hier führen.

Wenn der Wind aus Osten kommt, herrscht in Garlstorf eine himmlische Stille

Unterm Walnussbaum im Garten hat Susanne Torge-Reinking ihr kleines Refugium geschaffen. Eine Bank direkt am Teich. An Sommerabenden sitzt sie hier mit einem Glas Wein und einem guten Buch. Sie liebt diesen Platz am Rande der Felder. Er ist ihr Kraftort. Vor allem an Tagen, wo der Wind aus Osten kommt. Denn dann herrscht in Garlstorf eine himmlische Stille.

Hier wohnen die Betroffenen, die in der großen Abendblatt-Serie zu Wort kommen.
Hier wohnen die Betroffenen, die in der großen Abendblatt-Serie zu Wort kommen. © HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse | F. HasseFrank Hasse

„Aber wenn Westwind weht, wird es hier laut“, sagt Susanne Torge-Reinking. „Denn im Westen, da liegt die Autobahn.“ Ein guter Kilometer ist es bis zur A 7. Die Garlstorfer haben sich mit dem Dauerrauschen der Laster und Pkw arrangiert. Was sie nicht hinnehmen wollen, ist, dass es hier noch lauter wird. „Wir befürchten, dass mit dem Bau einer neuen Bahntrasse für ICE und Güterzüge im Osten eine weitere Lärmquelle hinzukommt“, sagt Heinrich Reinking. Dann könne man hier im Grunde nicht mehr wohnen.

Die neue Trasse würde in 20 Metern Höhe durch die Gemeinde Seevetal laufen

Wie berichtet, soll die Fahrzeit des ICE zwischen Hamburg und Hannover im Rahmen des geplanten Deutschlandtakts auf 59 Minuten gesenkt werden. Dafür hat die Bahn mögliche Streckenvarianten geprüft, darunter auch eine Neubautrasse durch den Landkreis Harburg. Diese würde auf einem rund 20 Meter hohen Bahndamm durch die Gemeinde Seevetal laufen, vorbei an Meckelfeld, Glüsingen, Hittfeld, Ramelsloh und weiter über Brackel, Garlstorf und Evendorf in die Lüneburger Heide bis hinunter nach Celle. Die Pläne sorgen in der gesamten Region für massive Proteste.

Auch das Ehepaar Reinking gehören zu den Gegnern der Neubautrasse. Weil sie davon überzeugt sind, dass es auch anders gehen kann mit dem Deutschlandtakt. So, wie es 2015 die Kommunen mit Bahn und Bund beschlossen haben. „Damals einigte man sich auf Alpha-E, auf den Ausbau der bestehenden Strecke über Lüneburg, Uelzen und Celle“, sagt Susanne Torge-Reinking. Mit der Lösung waren alle zufrieden. „Warum hat die Bahn nun etwas völlig anderes geplant?“, fragt sie sich. Eine Frage, die viele im Dorf, in der Gemeinde und im Landkreis umtreibt. Um als starke Gemeinschaft auftreten zu können, haben sie eine Whats-App-Protestgruppe gegründet, über die sie Aktionen organisieren und schnell reagieren können, sollte es Neuigkeiten von der Bahn geben. Doch bislang hören sie nichts.

Wie könne die Bahn so ein wichtiges Projekt hinter verschlossenen Türen gestalten?

„Mit uns hat seit 2015 keiner mehr über das Thema Alpha-E geredet“, sagt Heinrich Reinking. Verstehen könne er das nicht. „Warum“, fragt er, „plant ein Staatsunternehmen wie die Deutsche Bahn ein so wichtiges Projekt wie den Deutschlandtakt, bei dem so viele Menschen betroffen sein werden, hinter verschlossenen Türen, anstatt den Prozess offen, transparent und gemeinsam zu gestalten? Vielleicht hätte die Bahn erstmal das Abkommen von 2015 aufkündigen und erklären sollen, warum der Ausbau über Lüneburg nicht durchführbar ist.“ Man hätte das Dialogforum wieder aufleben lassen können. Wütend ist er, weil die Sorgen der Bevölkerung einfach ignoriert würden, Fragen unbeantwortet blieben. Das sei einfach dumm von der Bahn. Denn so könne man in Deutschland keine großen Projekte mehr durchsetzen.

Im Sommer demonstrierten in Garlstorf 1600 Anwohner gegen einen mögliche Bahn-Neubaustrecke im Landkreis Harburg. 120 Traktorfahrer waren mit dem Protestzeichen Rot-Gelber Kreuze in einem Konvoi dabei und parkten auf dem möglichen Streckenabschnitt in Garlstorf.
Im Sommer demonstrierten in Garlstorf 1600 Anwohner gegen einen mögliche Bahn-Neubaustrecke im Landkreis Harburg. 120 Traktorfahrer waren mit dem Protestzeichen Rot-Gelber Kreuze in einem Konvoi dabei und parkten auf dem möglichen Streckenabschnitt in Garlstorf. © JOTO | Joto

Wütend ist aber auch, weil er all das, was er als Beamter der Stadt Hamburg in unzähligen Berufsjahren erarbeitet hat, plötzlich nichts mehr wert sein könnte. „Wir haben viel Geld in das Haus gesteckt“, sagt der 67-Jährige. „Wenn die Neubaustrecke kommt, ist unsere Immobilie wertlos. Wer will schon in ein Dorf ziehen, das von Autobahn und ICE-Schnelltrasse eingekesselt ist wie eine Insel?“

„Wir haben dann links vom Dorf die Autobahn und rechts den Bahndamm“

Erst im vergangenen Sommer erfuhr das Dorf von den Bahnplänen. „Es hieß damals, die Bahn habe eine Neubaustrecke entlang der A7 geplant“, sagt Susanne Torge-Reinking. „Die Wahrheit aber ist, dass die Trasse oft kilometerweit von der Autobahn entfernt verlaufen würde.“ Und zwar mitten über die Felder, am Waldrand entlang. „Wir haben dann links vom Dorf die Autobahn und rechts den Bahndamm.“

Im September trafen sich die Garlstorfer auf dem Feld, dort, wo die neue Trasse verlaufen würde. Der Eigentümer hatte auf den Acker einen rund 80 Meter breiten Streifen gemäht, der die Breite des Bahndamms deutlich machen sollte. „Erst in diesem Moment habe ich begriffen, was da tatsächlich auf uns zukommen würde“, sagt Susanne Torge-Reinking, die trotz aller Sorgen versucht, optimistisch zu bleiben. „Wir lassen uns gerade eine neue Küche einbauen“, sagt sie lächelnd. „Schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt.“

Die Bahn hat im Zuge des Trassenausbaus Hamburg – Hannover drei Grundvarianten – bestandsnaher Ausbau, bestandsnaher Ausbau mit Ortsumfahrungen und bestandsferner Neubau– untersucht.

  • Jede Variante hätte Auswirkungen – für die Menschen an der Trasse, aber auch für jene, die von einer guten Bahnverbindung profitieren würden.

  • In einer fortlaufenden Serie möchte das Abendblatt zunächst Betroffenen einer neuen Trasse eine Stimme geben. Im zweiten Teil sollen der Fokus auf den Ausbau der Bestandsstrecke und dessen Folgen gelegt werden.

  • Auch Pendler, Geschäftsreisende und Eisenbahner, die den Streckenausbau unterstützen, sollen zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge schildern.

  • Betroffene, die einen Beitrag zur Trassendiskussion leisten wollen, wenden sich per Mail an: harburg-abendblatt@funkemedien.de oder an hanna.kastendieck@abendblatt.de, Stichwort: „Alpha-E“.