Evendorf. Geplante Bahnstrecke Hamburg-Hannover sorgt für Protest: Betroffene erzählen, was es für sie bedeuten würde. Heute: Gegnerin Astrid Sitarz.

Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß.

Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet. Heute: Astrid Sitarz aus Evendorf.

Pläne der Deutschen Bahn rauben Anwohnerin den Schlaf

Früher, als Astrid Sitarz ein Kind war, fuhr noch die Kleinbahn von Hützel über Evendorf nach Winsen. Die auch „Luhebahn“ genannte Strecke stellte quer durch die Lüneburger Heide eine Verbindung her. Betrieben wurde die „Kleinbahn“ von der OHE, der Osthannoverschen Eisenbahn AG. Im Volksmund wurde sie „Ohne Hast und Eile“ genannt. In den 1970er Jahren kam das Aus. Die Beförderung rentierte sich nicht mehr. Astrid Sitarz, damals ein Teenager, musste die Strecke vom Elternhaus in Evendorf zur höheren Schule in die Kreisstadt fortan mit dem Bus fahren. Noch heute verläuft das 40 Kilometer lange Gleis durch Döhle, Evendorf und Hörpel. Doch von der Verbindung profitieren die Menschen vor Ort schon lange nicht mehr.

So sieht die Trassenplanung der Bahn aus.
So sieht die Trassenplanung der Bahn aus. © HA Grafik, F. Hasse | F. HasseFrank Hasse

Astrid Sitarz, Groß- und Außenhandelskauffrau im Ruhestand, hätte nichts dagegen, wenn die Gleise wieder in Betrieb gehen würden, die Deutsche Bahn den Regionalverkehr im Landkreis Harburg ausbauen würde. Doch die Bahn hat andere Pläne. Pläne, die Astrid Sitarz den Schlaf rauben.

Wie berichtet, soll die Fahrzeit des ICE zwischen Hamburg und Hannover im Rahmen des geplanten Deutschlandtakts auf 59 Minuten gesenkt werden. Dafür hat die Bahn mögliche Streckenvarianten geprüft, darunter auch eine Neubautrasse durch den Landkreis Harburg. Diese würde auf einem rund 20 Meter hohen Bahndamm durch die Gemeinde Seevetal laufen, vorbei an Meckelfeld, Glüsingen, Hittfeld, Ramelsloh und weiter über Brackel, Garlstorf und Evendorf in die Lüneburger Heide bis runter nach Celle. Die Pläne sorgen in der Region für massive Proteste. Auch Astrid Sitarz gehört zu den Gegnern der Neubautrasse. Weil die Strecke quer über das Ackerland hinter ihrem Haus führen würde. Direkt dort, wo der Wald beginnt.

Lüneburger Heide würde zur Megabaustelle werden

Es ist weniger der Lärm der Trasse, der ihr Sorgen bereitet. Sondern vielmehr die Tatsache, dass mit dem Bau einer Neubaustrecke auch die Lüneburger Heide zur Megabaustelle werden würde. „Die Bahn spricht davon, dass die Strecke unmittelbar an der A7 entlangführen würde“, sagt Astrid Sitarz. „Die Wahrheit ist eine andere.“ Heidedörfer wie Evendorf, Lübberstedt oder Garlstorf würden inselartig zwischen Autobahn und Bahntrasse eingeschlossen. Für die Menschen, die dort leben, sei das eine Katastrophe.

Die 66-Jährige, die in der Lüneburger Heide aufgewachsen ist und heute noch das Haus bewohnt, dass einst ihr Großvater gebaut hat, befürchtet, dass eine Neubautrasse, auf der der ICE mit Höchstgeschwindigkeit durch die Heide rauscht, der Region massiv schaden werde. Nicht nur die umliegenden Dörfer seien betroffen, auch der Heidetourismus könne massiv darunter leiden. „Die Züge werden hier mit hoher Geschwindigkeit durch die Landschaft rauschen. Einen Halt, von dem die Menschen vor Ort einen Nutzen hätten, wird es nicht geben.“

Bahn hat anders geplant, als vor Ort kommuniziert

Was Astrid Sitarz besonders ärgert, ist das Planungsvorgehen der Bahn. „2015 gab es monatelange Gespräche mit betroffenen Kommunen und Bund, schließlich eine Einigung auf den Ausbau der Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle. Kaum war das Papier im Bundesverkehrswegeplan angekommen, wurde alles wieder über den Haufen geworfen.“ Die Bahn habe mit der Neubautrasse in eine völlig andere Richtung geplant. Es wäre ihre Pflicht gewesen, die betroffenen Menschen bei dieser Planung mitzunehmen. „Schließlich wissen wir, die wir hier leben, doch am besten über unsere Dörfer Bescheid. Man hätte uns einbinden müssen.“

Im September fand in Evendorf die erste große Protestveranstaltung gegen die Neubaustrecke von Hamburg nach Hanover statt.
Im September fand in Evendorf die erste große Protestveranstaltung gegen die Neubaustrecke von Hamburg nach Hanover statt. © HA | Privat

So wisse die Bahn doch gar nicht, was sie mit ihrer Trasse anrichte, sagt die Evendorferin. „Die Streckenführung geht zum Beispiel direkt über die Schießbahn des Schützenhauses. Für die Planer hat das keinen Wert. Aber für uns Evendorfer schlägt hier das Herz des Ortes“, sagt Astrid Sitarz. „Hier treffen sich die Menschen zum Sportschießen, zum Beisammensein, zum Theaterspielen. Hier kommen Generationen zusammen.“ Dann zum Beispiel, wenn sich die weit über die Landkreisgrenzen bekannte Laienspiel-Theatergruppe „De Ebendörper Immenschworm“ zum Proben und zu Aufführungen trifft. Der Verein hat über 150 Mitglieder. Ihr Ziel: die plattdeutsche Sprache zu fördern.

Neue Trasse durch die Heide: Mehrere Bürgerinitiativen aktiv

Astrid Sitarz findet, dass es wichtig ist, Traditionen zu erhalten, Kulturgut zu pflegen. Auch deshalb will sie alles tun, um die neue Trasse zu verhindern. In mehreren Bürgerinitiativen ist sie aktiv, macht Fotos und Videos von Aktionen, fährt zu Trassendemos in der Region. Und hat dennoch das Gefühl, dass all das nicht reichen könnte. „Seit über 30 Jahren beschäftigt sich unser Dorf mit dem Trassenwiderstand“, sagt sie. „Angefangen von der Transrapidplanung auf Stelzen durch die Region über die Nachfolgevariante ‚Y-Trasse‘ bis zur aktuellen Neubautrasse.“ All das habe sie mit Protest begleitet. Doch diesmal habe sie das Gefühl, dass auch dieser nichts nützen werde. „Die Sache wird bedrohlich“, sagt sie. „Es ist gefühlt fünf vor zwölf.“

Und dennoch – oder gerade deshalb – will sie weiterkämpfen. Für sich, die Natur, ihr Dorf und die Menschen, die dort zuhause sind. Sie geht ans Fenster, zeigt auf das neue Wohngebiet gleich gegenüber. „Dort haben junge Familien gebaut“, sagt sie. „Von den zehn Häusern sind sieben fertig. Was sind denn diese Immobilien noch wert, wenn nur hundert Meter weiter ein Bahndamm kommt?“, fragt sie. Gern würde sie über diese Themen einmal mit der Bahn sprechen.

Neue Bahntrasse im Landkreis Harburg: Betroffene sind wütend

Oder direkt mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Doch tief im Inneren weiß sie, dass der kleine Bürger in der großen Politik unbedeutsam ist. Und dass die Würfel fallen werden, ohne dass die Betroffenen mitspielen dürfen. Sie wird das Gefühl nicht los, dass dieser Schuss für die Entscheider in Berlin diesmal nach hinten los gehen könnte. „Die Stimmung ist gereizt“, sagt sie. „Die Menschen fühlen sich betrogen. Sie sind wütend.“ Ob der Protest friedlich bleiben werde? Sie zuckt mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“