Glüsingen. Geplante Bahnstrecke Hamburg-Hannover sorgt für Protest: Drei Männer aus Seevetal erzählen, was die Trasse für sie bedeuten würde.

Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß. Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet.

Teil 6: Kurt Wille,

Fritz-Peter Behrends und Adolf Wübbe

Sie haben sich angepasst. Rotwild und Fasan, Hasen, Kaninchen und Rebhühner. Haben sich ihre Lebensräume in der Gemeinde Seevetal gesucht zwischen Autobahnknotenpunkten und einem gigantischen Rangierbahnhof, vielbefahrenen Kreisstraßen, Siedlungen und zahlreichen Buslinien. Die Tiere haben sich eingerichtet in einer der am meisten durch Verkehr und Lärm belasteten Kommunen Niedersachsens. Denn es gibt sie auch dort noch, die Gebiete, die ihnen einen geschützten Lebensraum bieten: die Seeve und ihre Niederung, künstlich angelegte Baggerseen und wertvolle Moorgebiete wie das Helmstorfer und Lindhorster Moor. Doch für den Wildbestand könnte es eng werden in Seevetal.

Die Trassenplanung der Deutschen Bahn durch den Landkreis: Hier leben die Betroffenen.
Die Trassenplanung der Deutschen Bahn durch den Landkreis: Hier leben die Betroffenen. © HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse | . HasseFrank Hasse

Was die Tiere nicht wissen, treibt Fritz-Peter Behrends die Sorgenfalten in die Stirn. Er ist Jagdpächter in der 44.000-Seelen-Gemeinde, kümmert sich um Hege und Pflege des Wildes und das Gleichgewicht von Wild, Wald und Natur. Er ist stolz darauf, dass trotz der Autobahnen der Bestand auf seinen Flächen konstant ist. Und dass die Tiere auf diesen kleinen grünen Inseln der einwohnerstarken Gemeinde am südlichen Rande von Hamburg ihre Nischen gesucht und gefunden haben. Er möchte, dass das so bleibt. Er möchte nicht, dass die Bahn hier baut.

Die Männer wollen gemeinsam in den Kampf gegen die Deutsche Bahn ziehen

Deshalb hat er sich an diesem Vormittag mit Kurt Wille und Adolf Wübbe getroffen. Die drei Männer sind seit mehr als 70 Jahren befreundet, gemeinsam in Seevetal aufgewachsen, zur Schule gegangen. Sie haben ihre Kindheit und Jugend hier verbracht, eigene Familien gegründet, Familientraditionen weitergeführt und das Gemeindeleben mitgestaltet. Adolf Wübbe zum Beispiel, den im Dorf alle nur Alf nennen, war 18 Jahre stellvertretender Ortsbrandmeister der Freiwilligen Feuerwehr Glüsingen, gründete als Zwölfjähriger im Schützenverein des Dorfes die Jugendabteilung und ist seit 18 Jahren erster Vereinsvorsitzender.

Seit 1889 leben die Wübbes in der Gemeinde. „Unsere Familie ist hier fest verwurzelt“, sagt der 74-Jährige. Und genau deshalb hat er sich mit seinen alten Freunden getroffen. Sie wollen gemeinsam in den Kampf ziehen. Ihr Gegner: die Deutsche Bahn.

Horster Dreieck, das Maschener Kreuz und der größte Rangierbahnhof Europas

Wie berichtet, will die Bahn im Zuge des Deutschlandtakts die Strecke zwischen Hamburg und Hannover ausbauen. Vier Streckenverläufe hat sie ausgearbeitet und im Bundesverkehrsministerium eingereicht. Neben dem Ausbau der Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle gibt es Pläne zum Bau einer neuen Trasse entlang der A 7 durch den Landkreis Harburg. „Die neue Trasse würde quer über unsere Felder laufen auf einem 20 Meter hohen und 70 Meter breiten Damm“, sagt Fritz-Peter Behrends. „Sie würde unsere Heimat zerstören.“

Schon jetzt sei die Gemeinde Seevetal beim Thema Verkehr gebeutelt, es gebe die Autobahnkreuze Horster Dreieck und Maschener Kreuz, die bis heute die am meisten befahrenen Autobahnabschnitte der Bundesrepublik seien. „Darüber hinaus haben wir in Maschen den größten Rangierbahnhof Europas“, so Behrends. „Wir sind schon jetzt eine der lautesten Gemeinden der Republik. Wir brauchen nicht noch mehr Lärm.“

Als auf dem Weg von Glüsingen nach Meckelfeld noch die Pferdewagen fuhren

„Kudl“, „Alf“ und Fritz, 73, 74 und 75 Jahre alt, haben die Veränderungen in ihrer Gemeinde miterlebt. Den Bau von Kreisstraßen, Siedlungen und Hochhäusern, die Zunahme von Pendlern und die Versiegelung der Landschaft. „Als wir Kinder waren, gab es das alles hier nicht“, sagt Fritz-Peter Behrends. „Damals führte von Glüsingen nach Meckelfeld zur Schule ein Weg, auf dem die Pferdewagen mit Eisenbereifung fuhren.“ Vieles sei in Jahrzehnten darauf im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums an Straßen und Häusern gebaut worden, ohne Rücksicht auf die Natur. Heute wisse er, dass das ein Fehler war.

So breit wie dieser gemähte Streifen auf dem Acker in Glüsingen soll die Neubautrasse  werden.
So breit wie dieser gemähte Streifen auf dem Acker in Glüsingen soll die Neubautrasse werden. © HA | Hanna Kastendieck

Aber damals? „Damals haben wir den Bau von Straßen, Häusern, Infrastruktur gar nicht hinterfragt“, räumt Behrends ein. „Wir hatten nicht das Bewusstsein für das, was verloren geht.“ Doch mit dem Wissen von heute müsse man anders handeln, verantwortungsvoll mit den noch vorhandenen Ressourcen umgehen und bei Großprojekten genau hinschauen, was das für die nachfolgenden Generationen bedeute.

Eine Neubautrasse auf einem 20 Meter hohen Damm – passt das in diese Zeit?

Natürlich sei man nicht gegen die Bahn, nicht gegen eine ökologisch sinnvolle Verkehrswende. Aber eine Neubautrasse, auf einem 20 Meter hohen Damm – die müsse nun wirklich nicht gebaut werden, finden sie. Weil so ein Megabauvorhaben nicht mehr in die Zeit passe, es schonendere Alternativen gebe. „Allein die Bauarbeiten“, sagt Kurt Will und runzelt die Stirn. Welche Massen da bewegt werden müssten, habe die Bürgermeisterin mal ausrechnet. Die Kolonne an Lkw würde von Hittfeld nach Italien reichen.

Fritz-Peter Behrend findet, dass dieser gigantische Aufwand nicht im Verhältnis zum Ergebnis stehe. „Weit über 100 Kilometer unberührte Landschaft zu zerschneiden, damit man ein paar Minuten schneller in Hannover ist als bisher. Völliger Blödsinn ist das!“, sagt er. Und: Die Zeitersparnis könne darüber hinaus gar nicht funktionieren, solange es das Nadelöhr Hamburger Hauptbahnhof gebe.

Die Unsicherheit in der Region wird von Tag zu Tag größer

Die Männer glauben, dass der Deutschlandtakt nur ein Vorwand für den Bau ist. „In Wirklichkeit wird das hier eine Logistikstrecke für den Hamburger Hafen“, vermutet Kurt Wille. Er hat die detaillierten Pläne der neuen Trasse genau studiert und sich anschließend gefragt, warum die Bahn alle acht Kilometer einen Überholbahnhof eingeplant habe, aber nicht einen einzigen Halt für die Menschen an der Strecke? „Was steckt wirklich hinter den Planungen?“, fragt er. Gern hätte er darauf eine Antwort. Doch diese kommt weder von der Bahn, noch vom Bund. „Die hüllen sich in Schweigen, versuchen, die Bürger auszuhebeln“, ärgert sich Wille. „Und das nennt sich Demokratie.“

Die Unsicherheit in der Region wird von Tag zu Tag größer, Gerüchte und Spekulationen machen die Runde. Und die Bürger sind zunehmend besorgt, dass die Bahn die Gemeinde nicht nur bei den Planungen, sondern auch bei der Durchführung vor vollendete Tatsachen stellen wird.

„Ich fürchte, die Bahn haut das Thema kurzfristig durch den Bundestag – und wir bleiben auf der Strecke“, sagt Fritz-Peter Behrends. Ein perfides Spiel sei das. „Man versucht, die Menschen in der Region gegeneinander auszuspielen. Und wenn wir alle zerstritten sind, legen sie los.“