Garlstorf. Pferdewirt Dirk Zobel lebt mit seiner Familie an der geplanten Strecke Hamburg-Hannover. Sie würde seine Existenz vernichten.
Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß. Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet.
Deutsche Bahn: Neue ICE-Trasse würde mitten durch Pferdekoppeln laufen
Das Leben der Zobels ist ein bisschen so wie in Astrid Lindgrens Geschichten von Bullerbü. Ein großer Hof mitten in den Wiesen, rundherum Wald und Felder. Auf dem Hof leben acht Katzen und ein Hund, sieben Geschwister und ihre Eltern sowie 60 Pferde. Mittags kocht Oma Lea für die ganze Familie. Und meistens setzen sich spontan noch ein paar Freunde mit an den großen Esstisch. Sie alle wissen, dass dieser Ort etwas ganz Besonderes ist. Ein Ruhepol in dieser schnellen und lauten Zeit.
Dirk Zobel hätte nie gedacht, dass sich das so plötzlich ändern könnte. Und dass ausgerechnet auf seinen Ländereien eines der ganz großen Bahnprojekte umgesetzt werden könnte. Wie berichtet, hat die Bahn vom Bundesverkehrsministerium den Auftrag erhalten, Pläne für den Ausbau der Strecke zwischen Hamburg und Hannover zu erarbeiten. Vier Streckenverläufe wurden im Dezember im Berliner Ministerium eingereicht.
Neben dem Ausbau der Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle gibt es Pläne zum Bau einer neuen Trasse entlang der A7 durch den Landkreis Harburg. Sie würde nur 50 Meter vom Pferdehof der Zobels entfernt laufen und die Koppeln in der Mitte zerschneiden. Für den Landwirt und seine Familie, für die Pferde und ihre Halter und für die Menschen, die eine der Wohnungen auf dem Hof bewohnen, wäre dann hier Schluss.
Für Dirk Zobel kam die Nachricht der neuen Trasse im Sommer 2022 völlig unerwartet
„Die Riesenstrecke und das kleine Garlstorf passen doch überhaupt nicht zusammen“, findet Dirk Zobel, der schon vor 30 Jahren in der Jugendfeuerwehr gegen die damaligen Pläne für eine Y-Trasse demonstriert hat und seitdem das Thema Bahnstrecke stetig verfolgt. Als sich 2015 Bund, Bahn und Kommunen darauf verständigten, für eine bessere Zugverbindung zwischen Hamburg und Hannover die Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle auszubauen, dachte er, das Thema sei nun endlich geklärt. Doch dann sprach ihn einer aus dem Nachbardorf an. „Du, Dirk“, sagte er. „Die Bahn soll hier durch.“
Für den 46-Jährigen, der den Hof 2004 von seinem Vater übernommen hat, kam die Nachricht im Sommer 2022 völlig unerwartet. „Selbst der Bürgermeister im Ort wusste von nichts“, sagt er. „Die Bahn hatte die Pläne wohlweislich unter Verschluss gehalten.“ Erst auf massiven Druck der Kommunalpolitik habe sie schließlich Informationen über die Neubaustrecke herausgegeben.
„Wir hatten uns doch auf Alpha-E geeinigt. Warum will die Bahn jetzt etwas anderes?“
Die Nachricht von der Schnelltrasse mit Überholbahnhöfen im Landkreis Harburg verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Zur ersten Protestveranstaltung im September kamen 1600 Leute. Bürgerinitiativen schossen aus dem Boden, Whats-App-Gruppen bildeten sich. Auch in Garlstorf gibt es eine. Sie nennt sich „Keine Trasse Garlstorf“ und hat 169 Mitglieder.
Der Gedanke an die Zukunft lässt den siebenfachen Vater schlecht schlafen. Es gebe Freunde, die ihm rieten, das große Ganze zu sehen, dass die Bahn besser werden müsse in Deutschland, zuverlässiger, schneller – für den Klimaschutz, für die Zukunft seiner Kinder.
Und dann gebe es seine innere Stimme, die ihn immer wieder daran erinnert, dass es doch eine Lösung für den Streckenausbau gab. Eine, die alle gemeinsam, Bahn, Bund und Kommunen, 2015 erarbeitet hatten. „Wir hatten uns doch auf Alpha-E geeinigt. Warum will die Bahn jetzt etwas anderes?“, fragt er sich. „Ich weiß gar nicht, wie ich mit meinen Gefühlen umgehen soll.“
Dirk Zobel fühlt sich „verarscht von Bund und Bahn“, die etwas völlig anderes planten als abgemacht
Wut, Ohnmacht, Traurigkeit wechseln sich ab. Wut – weil er sich verarscht fühle von Bund und Bahn, die etwas völlig anderes planten als abgemacht. Und das Ganze auch noch hinter verschlossenen Türen, so dass keine der betroffenen Gemeinden mitgestalten konnte. „Die Bahn hätte mit uns sprechen müssen, ihre Pläne kommunizieren und gemeinsame Lösungen suchen müssen“, findet er.
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Ohnmacht – weil er weiß, dass er kaum Möglichkeiten haben wird, die Trassenpläne zu stoppen, sollte sich der Bundestag für die Neubaustrecke entscheiden. „Die werden ihre Pläne umsetzen – ob ich das möchte oder nicht“, sagt er.
Traurigkeit – weil er alles verlieren wird, was ihm wichtig ist, sollte die Strecke so gebaut werden, wie sie auf den Plänen festgehalten ist. „Die Pferde, der Hof, die Ställe, Reithalle und die Wohnungen sowie das eigene Haus – all das käme dann weg“, sagt er. „Meine Kinder würden ihr Zuhause verlieren, ihre unbeschwerte Kindheit und auch die Chance, diesen Betrieb eines Tages zu übernehmen.“
Die Familie würde ihre Heimat verlieren – und ihre Existenz
Und schließlich würde auch er seine Heimat verlieren und seine Existenz. Auf dem Hof seiner Eltern hat er vor über 30 Jahren seine Frau Helene kennengelernt, ein Stadtkind, dessen Eltern an den Wochenenden in den Zobelschen Hofladen kamen, um einzukaufen. Aus Kunden wurden enge Freunde. Irgendwann zog Helene zu Dirk auf den Hof. Gemeinsam bauten sie die Pferdepension auf. Hier wollten sie alt werden.
Dirk Zobel kann sich nicht vorstellen, hier wegzugehen. Er lebt eng verknüpft mit seinem Dorf, ist seit über 30 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv, hat den Faslamsclub mitgegründet und ist ehrenamtlich im Gemeinderat engagiert. „Undenkbar“, sagt er, „dass es hier für mich keinen Platz mehr geben soll.“
Er weiß, dass er stark sein muss, auch für die Kinder. Ihnen Mut machen muss, dass es weitergehen wird, wenn nicht hier, dann woanders. Aber innerlich könnte er heulen, weil seine Welt zusammenzubrechen droht. In solchen Momenten ist er froh, dass er Helene hat. Sie ist es, die ihn immer wieder aus dem Tief herausholt. Die ihn aufmuntert, wenn er zweifelt. Ihn in den Arm nimmt und tröstet. Und die ihm Mut macht: „Wenn das wirklich kommt“, sagt sie, „werden wir gemeinsam einen Plan B finden.“
Diese Serie möchte Betroffenen eine Stimme geben. Welche Folgen hätte der Bau einer neuen Trasse für die Menschen, die dort leben? Was würde der Ausbau der bestehenden Strecke für die Anwohner bedeuten? Was halten Pendler, Geschäftsreisende, Touristen und Eisenbahner von den Plänen?
Wer dem Abendblatt seine Geschichte erzählen möchte, wendet sich per Mail an: harburg-abendblatt@funkemedien.de