Hittfeld. Das Abendblatt hat Menschen besucht, die an der möglichen ICE-Trasse durch den Landkreis wohnen und war bei Manfred Moll aus Hittfeld.
Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß. Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet.
Teil 1: Manfred Moll aus Hittfeld
Es sind nur knappe 100 Meter zwischen der Autobahn und seinem Haus. Ein schmaler Feldstreifen, auf dem im Sommer Getreide steht. Hinterm Hof, dort, wo die Sonne untergeht, beginnt der Wald. Ein paar hundert Meter Richtung Osten steht die alte Karoxbosteler Wassermühle, ein Denkmal-Ensemble von 1817. Ein paar hundert Meter Richtung Süden liegt das Kirchenschiff der St. Mauritiuskirche.
Wenn die Glocken aus dem jahrhundertealten Turm der Hittfelder Kirche den Sonntag einläuten, können Manfred Moll und seine Frau Karin den Klang bis in den Garten hören. Hier, im ehemaligen Knechtshaus des Henschen-Hofs, ist das Rentnerehepaar seit zwölf Jahren zuhause. Damals zogen sie von Wilhelmsburg in den Landkreis Harburg. Sie wollten ihren Lebensabend auf dem Land verbringen. Dort, wo die Rehe zum Frühstück in den Garten kommen.
Statt der Kirchenglocken das Rauschen der Züge im Zehn-Minuten-Takt
Genau diese Idylle aber könnte bald ein Ende haben, sollte die Bahn ihre Pläne für den Bau einer Neubautrasse durch den Landkreis Harburg umsetzen. Statt über das Feld würden die Molls dann auf einen 20 Meter hohen Bahndamm schauen. Statt der Kirchenglocken würden sie im Zehn-Minuten-Takt das Rauschen eines Zuges hören.
Wie berichtet, will die Bahn die Strecke zwischen Hamburg und Hannover ausbauen. Vier Streckenverläufe hat sie ausgearbeitet. Neben dem Ausbau der Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle gibt es Pläne zum Bau einer neuen Trasse entlang der A 7 durch den Landkreis Harburg. „Die neue Trasse soll hier die Autobahn queren. Dafür muss sie auf einem 20 Meter hohen und 70 Meter breiten Damm laufen. Das wird ein richtiges Bollwerk“, sagt Manfred Moll.
Die Bahn begann zu planen. Allerdings anders als abgemacht
So wie die Gemeinde Seevetal, in der Manfred Moll zu Hause ist, fordert auch er die Umsetzung der in einem fundierten Prozess gefundenen und in der Region breit getragenen Lösung Alpha-E. Diese sieht den Ausbau der Bestandsstrecke zwischen Hamburg und Hannover über Lüneburg, Uelzen und Celle vor und wurde 2015 von Bürgern, Bund, Land und Bahn im „Dialogforum Schiene Nord“ gemeinsam erarbeitet. Das Ergebnis ging in den Bundesverkehrswegeplan ein.
Was dann passierte, bezeichnet Manfred Moll als „Betrug“. „Die Bahn begann zu planen, allerdings anders als abgemacht“, sagt er. „Die haben uns einfach nicht ernst genommen.“ Der Hittfelder steckt tief drin in der Materie – schließlich begleitet ihn der Ausbau des Schienendreiecks Bremen – Hamburg – Hannover schon seit Jahrzehnten. Immer wieder gab es Proteste gegen die sogenannte „Y-Trasse“. Bis zur Einigung 2015. „Ich dachte, damit wäre das Thema erledigt“, sagt Manfred Moll.
Von den Plänen der Bahn erfuhr Manfred Moll erst im vergangenen Jahr
So wie er dachten viele in der Region. Nicht aber die Bahn. Diese begann – entgegen aller Abmachungen – mit der Planung einer Neubaustrecke entlang der A7. Von den präzise ausgearbeiteten Bauzeichnungen der Trasse, die zum Teil 30 Kilometer von den bestehenden Gleisen verlaufen würde, erfuhren Manfred Moll und seine Frau Karin erst im Sommer vergangenen Jahres. „Die Bahn wollte uns wohl gar nicht informieren“, vermutet Manfred Moll. „Wahrscheinlich hat sich einer von denen verplappert.“
Die Nachricht schlug im Landkreis Harburg ein wie eine Bombe. Im September trafen sich die Seevetaler zum ersten großen Protest. Bürgerinitiativen bildeten sich mit dem Ziel, die Pläne der Bahn in jeder Hinsicht zu durchkreuzen.
Die Bahn hat sich doch schon für die Neubautrasse entschieden, sagt Moll
Auch Manni Moll und seine Frau Karin engagieren sich seitdem in einer Bürgerinitiative, nehmen an Protestveranstaltungen teil und haben gelb-rote Mahnkreuze in der Region aufgestellt. Weil sie finden, dass man Infrastrukturprojekte dieser Größenordnung so nicht angehen kann. „Einfach über die Köpfe hinweg zu planen, ist nicht in Ordnung“, sagt der Handwerker. „Schließlich leben wir in einer Demokratie.“ Und genau diese sieht Manni Moll mit Füßen getreten.
Die Verunsicherung ist groß. Auch, weil die Bahn viele Fragen unbeantwortet lässt. Manfred Moll vermutet dahinter Strategie. „Die haben sich doch schon für die Neubautrasse entschieden“, glaubt er.
Gebaut werde also für den Hamburger Hafen. Und welchen Vorteil hat Niedersachsen davon?
Kopfschütteln über das für ihn und seine Frau Unfassbare. Über Planungen, die aus ihrer Sicht keinen Sinn machen. „Die Strecke wird damit begründet, dass wir schneller ans Ziel kommen sollen. Und damit, dass mehr Güter auf die Schiene müssen“, sagt er. Gebaut werde also für den Hamburger Hafen. Und welchen Vorteil habe Niedersachsen davon? „Brauchen wir wirklich diese Trasse?“, fragt er sich. „Geht es nicht auch anders – ohne diese brutale Zerstörung der Natur?“
Ihm gehe es nicht um sein privates Idyll, darum, dass er sein Zuhause verlieren könnte, betont er. Sondern um das große Ganze. „Wir zerstören mit der Trasse gnadenlos die Natur, holzen jahrhundertealte Bäume ab, zerschneiden wertvolle Lebensräume. Alles nur für den Profit.“
Für Manfred Moll ist klar, dass er weiter protestieren wird. Nicht für sich. Sondern für seine drei Kinder, seine sechs Enkelkinder und die Generationen danach. „Ich werde wahrscheinlich längst unter der Erde sein, wenn die neue Trasse in 20 Jahren Betrieb geht“, sagt er. „Aber die kommenden Generationen werden mit unseren Entscheidungen leben müssen. Für sie müssen wir genau hinschauen und kritisch hinterfragen, was wir tun. Das sind wir ihnen schuldig.“