Brackel. Susanne Ulber und Jens Lübberstedt wohnen an der möglichen ICE-Trasse Hamburg-Hannover. Die Baustelle würde ihr Leben zerstören.

  • Die neue ICE-Trasse zwischen Hamburg und Hannover ist wichtiger Bestandteil der Pläne der Deutschen Bahn für den Deutschland-Takt
  • Doch für diejenigen, die direkt an der geplanten Trasse wohnen, ist die Strecke ein Albtraum
  • Dorfbewohner wehren sich gegen die Pläne der Bahn

Sollte die Bahn eine neue ICE- und Gütertrasse von Hamburg nach Hannover durch den Landkreis Harburg bauen, bleiben Menschen und Betriebe, Dörfer und wertvolle Naturräume auf der Strecke. Die Sorge der Betroffenen, die in diesem Korridor leben, ist groß. Werden sie ihre Häuser verlieren? Eines Tages an einem 20 Meter hohen Bahndamm wohnen? Werden sie ihre Felder nicht mehr erreichen können und ihre Dörfer inselartig eingeschlossen sein? Das Abendblatt hat Betroffene an der geplanten Strecke besucht und sie gefragt, was die Trasse für sie bedeutet.

Deutsche Bahn: ICE-Trasse Hamburg-Hannover droht, Häuser "aufzufressen"

Bis vor ein paar Monaten noch ging der Blick von Susanne Ulbers Garten über die Felder. Jetzt schaut die 56-Jährige auf ein 75 Meter breites Banner mit der Aufschrift „Trassenbreite“. Sollte das, was hier in Brackel, am Rande des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide, alle befürchten, Wirklichkeit werden, schauen Susanne Ulber und ihr Mann Jens Lübberstedt spätestens in sieben, acht Jahren auf eine riesengroße Baustelle, die die Landschaft zerschneiden und auch ihr Haus „auffressen“ wird.

Das Banner haben Jens und Susanne gemeinsam mit anderen engagierten Dorfbewohnern in der Feuerwehrhalle mit Buchstaben beklebt. Jetzt steht es kurz vor dem Ortseingang an der Thieshoper Straße. Dort, wo die Bahn den Korridor für die mögliche neue ICE-Schnelltrasse durch den Landkreis Harburg geplant hat.

Das Backsteinhaus, seit den 1950er-Jahren im Familienbesitz, müsste weg

Susanne Ulber und Jens Lübberstedt haben nichts gegen die Bahn. Aber gegen diese Trasse haben sie gewaltig etwas. Denn das viergleisige Bauwerk würde den Plänen nach über ihren Hof laufen. Das Backsteinhaus, das seit den 1950er-Jahren im Familienbesitz ist, die Gartensauna, Holzschuppen und Werkstatt, Gänsewiese und Wald, all das müsste dann weg.

„Ein Albtraum“, sagt Susanne Ulber und schüttelt den Kopf. Sie will einfach nicht glauben, dass es so weit kommen könnte und der Bund sich für diese Neubaustrecke entscheidet. „Ich kann mir nicht vorstellen, hier wegzugehen.“

Wie berichtet, hat die Bahn vom Bundesverkehrsministerium den Auftrag erhalten, Pläne für den Ausbau der Strecke zwischen Hamburg und Hannover zu erarbeiten. Vier Streckenverläufe wurden im Dezember im Berliner Ministerium eingereicht. Neben dem Ausbau der Bestandsstrecke über Lüneburg, Uelzen und Celle gibt es Pläne zum Bau einer neuen Trasse entlang der A7 durch den Landkreis Harburg. „Die neue Trasse würde über unser Grundstück gehen und kurz vor Garlstorf die Autobahn queren“, sagt Jens Lübberstedt. „Für uns ist dann definitiv hier Schluss.“

ICE-Trasse: Jens Lübberstedt sammelt Unterschriften für eine Petition

Er und seine Frau, die Schwiegereltern, die im Erdgeschoss leben, müssten sich eine neue Bleibe suchen. Für Susanne Ulber eine Vorstellung, die ihr weh tut. Sie ist hier mit Eltern und Großeltern aufgewachsen, kennt jeden Baum im angrenzenden Wald, hat nebenan im Sportverein Faustball gespielt und mit Pferd und Wagen aus dem Wald Holz geholt. Sie ist hier fest verwurzelt.

Und sie will sich nicht verpflanzen lassen. Also kämpft sie mit ihrem Mann gegen das, was kommen könnte, hat sich der Bürgerinitiative im Ort angeschlossen, Schilder aufgestellt, Mahnfeuer gezündet. Seit Wochen sammelt Jens Lübberstedt im Nachbarort Thieshope Unterschriften für eine Petition ge­gen die neue Trasse. Der 61-Jährige ist von Haustür zu Haustür gegangen. 120 Unterschriften hat er zusammen. Es sei schwierig, die Menschen für den Protest zu motivieren, erzählt er.

Y-Trasse: Vor acht Jahren gab es einen Aufschrei in der Bevölkerung

Aber gerade jetzt müsse man sich zeigen, findet er, möglichst breit und geschlossen über die Landesgrenzen hinweg deutlich machen, dass diese Trassenpläne hier keiner wolle. Und dass es andere Möglichkeiten gebe für die Strecke nach Hannover, Pläne, auf die man sich vor acht Jahren geeinigt habe. Jens Lübberstedt holt sein Handy raus, zeigt Fotos von damals. Darauf Menschen, die sich auf einem Feld zu einem „Y“ formieren, ein Treckerkorso durch das Dorf, Protestbanner gegen die Pläne der Bahn.

Mit Schildern wie diesen demonstrieren die Menschen in Brackel gegen eine mögliche Neubautrasse der Bahn in ihrer Region.
Mit Schildern wie diesen demonstrieren die Menschen in Brackel gegen eine mögliche Neubautrasse der Bahn in ihrer Region. © HA | Hanna Kastendieck

„Damals haben sich Bahn, Bund, Land, Kommunen und Bürgerinitiativen in einem Dialogforum zusammengesetzt und gemeinsam einen Konsens erarbeitet“, sagt er. Acht Monate habe der Prozess gedauert. Am Ende sei man sich einig gewesen, dass die Strecke über Lüneburg, Uelzen und Celle ausgebaut werden solle. „Wir haben das richtig gefeiert, alles, was der Bürgerinitiative gehörte, zugunsten der Feuerwehr und der Schule versteigert“, erinnert sich Lübberstedt. „Die Bäcker haben Brote in Y-Form gebacken zugunsten der Spendenkasse.“ Dieser Tag sei ein guter Tag für den Ort gewesen. Das Kapitel schien erledigt.

Bekannter sprach ihn beim Gassigehen an: „Euer Haus muss ja weg!“

Solange, bis im Mai 2022 die Planungen für eine Neubautrasse durchsickerten. Es gab eine öffentliche Sitzung in der Festhalle. Doch konkret wurde das Thema für Jens Lübberstedt erst, als ihn ein Bekannter beim Gassigehen mit den Hunden ansprach. „Euer Haus muss ja weg!“, sagte dieser.

Erst vier Monate später, im September 2022, durfte die Gemeinde die ersten Pläne veröffentlichen, nachdem der Landkreis massiven Druck auf die Bahn ausgeübt hatte. „Freiwillig hätten die uns nie etwas gesagt“, glaubt Jens Lübberstedt. Die Bahn könne doch nicht im Geheimen etwas planen, das in so massiver Weise Mensch und Natur betreffe. Und auch jetzt hüllten sich das Unternehmen als Auftragnehmer und der Bund als Auftraggeber in Schweigen.

Bahn als Auftragnehmer und Bund als Auftraggeber hüllen sich in Schweigen

„So kann man mit den betroffenen Menschen nicht umgehen“, findet Jens Lübberstedt, der alles tun will, um die Umsetzung der Pläne so kompliziert wie möglich zu machen. Schließlich könne das, was ihm das Haus bedeute, nicht mit Ausgleichszahlungen ersetzt werden. „In diesem Haus stecken unzählige Erinnerungen“, sagt er. Jeden Stein des Anbaus, jede Fliese, jede Diele hätten er und sein Vater in der Hand gehabt. Dieser lebe nun im Pflegeheim, sei dement. Wie lange er noch durchhalten wird, Jens Lübberstedt weiß es nicht. Auch deshalb bedeutet ihm das Haus so viel.

Neuerdings werden Jens und Susanne im Dorf angesprochen, ob sie sich schon nach einer neuen Immobilie umgesehen hätten. Sie finden das geschmacklos. Im vergangenen Jahr haben sie ihre Rechtsschutzversicherung auf ihr Grundstück und Haus erweitert. Sie wollen kämpfen bis zum Schluss.

Deutsche Bahn: Sind Sie von den Plänen für die ICE-Trasse Hamburg-Hannover betroffen?

Die Bahn hat drei Grundvarianten – bestandsnaher Ausbau, bestandsnaher Ausbau mit Ortsumfahrungen sowie bestandsferner Neubau – untersucht. Die Streckenverläufe wurden im Dezember an das Bundesverkehrsministerium übergeben.

Eine Neubaustrecke durch den Landkreis Harburg hätte große Auswirkungen für die Menschen, die an der geplanten Trasse leben. Wer dem Abendblatt seine Geschichte erzählen möchte, wendet sich per E-Mail an: hanna.kastendieck@abendblatt.de