Stelle. Der Männer-Gottesdienst des Kirchenkreises Winsen diskutiert moderne Rollenbilder – anhand eines historischen Vorbilds.
Die mit zahlreichen Kerzen erhellte Michael-Kirche in Stelle bildet einen angenehm trockenen Kontrast zum regnerisch-stürmischen Wetter, das auch Hamburgs Süden am vergangenen Freitag, den 13. Januar, nicht verschont. Die Orgel dröhnt in imposanter Lautstärke durch das Gewölbe, während die Besucher und Besucherinnen auf den Bänken Platz nehmen und Superintendent Christian Berndt die Gemeinde begrüßt. Auch die aktuellen Konfirmanden sind vor Ort und füllen die ersten Sitzreihen. Die Gäste sind hauptsächlich Männer.
„Wir wollen den Gemeinden Mut machen, neue Dinge auszuprobieren“, sagt Berndt zu diesem besonderen Gottesdienst. „Joseph – der Mann in der zweiten Reihe.“ So lautet das Thema des Männer-Gottesdienstes. Das Konzept und die Umsetzung stammen heute nicht allein von Christian Berndt. Der Männer-Arbeitsgruppe unter seiner Leitung gehören noch vier weitere Herren an, die sich in Vorbereitung auf den Gottesdienst mit einigen Fragestellungen zu Joseph befasst haben.
Landkreis Harburg: Gottesdienst nur für Männer – und mit Joseph-Poetry-Slam
Das Gedankenspiel dreht sich primär um Josephs Umgang mit der Tatsache, dass seine Verlobte ohne seinen Einfluss schwanger geworden ist. So werden verschiedene innere Monologe, Gedankengänge und mögliche Ansichten fast schon zu einer Art modernem Joseph-Poetry-Slam zusammengefügt. Die Gruppe des Kirchenkreises Winsen gibt es schon eine ganze Weile.
Der ehemalige Diakon habe die Aktion mit Männer-Gottesdiensten, Vater-Kind-Ausflügen und gemeinsamen Mahlzeiten ins Leben gerufen, erklärt Berndt: „Im Moment treffen wir uns nicht regelmäßig, das hat auch mit Corona zu tun. Aber es tut gut, auch mal geschlossen eine Männersicht einzunehmen und Schwäche zeigen zu können, ohne direkt alles beurteilen zu müssen.“
Dem stimmen auch die anderen zu: „Männern fällt es manchmal schwerer sich zu öffnen. Es kann leichter sein, wenn man unter sich ist“, erklären Peter Welchert und Thomas Burmester, Mitglieder der Arbeitsgruppe.
Auch unter den Besuchern und Besucherinnen des heutigen Gottesdienstes finden sich deutlich mehr Männer als sonst: „Unsere Zielgruppe sind neben der gesamten Gemeinde vor allem Männer im mittleren Alter“, so Burmester. Auch Sebastian Putensen – neu zu der Organisatoren-Gruppe hinzugestoßen – freut sich: „Es ist gut zu versuchen, bewusst etwas für Männer anzubieten. Schon, weil sie mit Religion häufig anders umgehen.“
„In der Kindheit sind alle von uns mal Joseph gewesen“
Joseph nimmt in der Bibel eine untergeordnete Rolle ein – doch alle Teilnehmer können sich daran erinnern, wie sich in ihrem Leben schon mit ihm identifiziert haben: als Beschützer, als Vater, als Ehemann. „In der Kindheit sind alle von uns mal Joseph gewesen“, erinnert sich Burmester. Joseph – so der Konsens der Arbeitsgruppe – entschied sich trotz seiner berechtigten Zweifel für Maria und Jesus.
In diesem Punkt scheint er im christlichen Sinne am ehesten auch heute noch als Vorbild gelten zu können. Wohl gerade im Kontrast zu den biblischen „Machern“ stilisiert die Arbeitsgruppe ein alternatives und reflektiertes Männerbild, das in der Frage mündet: „Ist Joseph der ‚neue Mann‘ wie er sein sollte? Ist er ein Vorbild?“, so Berndt.
Evangelische Kirche kann neue Männerrollen gut gebrauchen
Und neue Männerrollen kann auch die evangelische Kirche gut gebrauchen. Während vor allem die katholische Kirche mit ihren in der Öffentlichkeit stehenden Männern zu kämpfen hat, sind auch die Austrittszahlen der evangelischen Kirche seit Jahren konstant hoch.
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Modernisierungswünsche sind einer der Hauptgründe für einen Großteil dieser Austritte. Höchste Zeit das eigene Handeln zu hinterfragen. In diesem Sinne bietet der Joseph-Diskurs der Arbeitsgruppe aus Winsen eine angenehme Erfrischung: Männer, die sich reflektiert und offen miteinander austauschen, um sich weiterzuentwickeln. Dass diese Ergebnisse schlussendlich in Form des Männergottesdienstes mit der Gemeinde geteilt werden, ist umso besser.
Männer-Gottesdienst im Landkreis Harburg erhält "positive Resonanz"
Nach dem Gottesdienst resümieren die Besucher und Besucherinnen bei einigen kalten Getränken das Erlebte: „Wir fühlen hier eine sehr positive Resonanz, insofern haben wir unser Ziel erreicht“, befindet Welchert. Ein ähnliches Urteil fällt die Gemeinde: „Das war ganz toll, eine sehr schöne Form des Gottesdienstes“, merkt eine Besucherin im Anschluss an. Der freitägliche Gottesdienst bildet dabei eine Ausnahme zu sonst: In den nächsten Wochen findet er wie gewohnt sonntags statt.