Jesteburg. Unternehmensgründer Ole Bernatzki übernimmt selbst Nachtschichten, ist gleichzeitig Gastronom, Aktivist und Visionär.
Ein Sozialunternehmer, der den Ort Jesteburg und den Landkreis Harburg mit seiner Arbeit prägt, hat in diesen Tagen Betriebsjubiläum: Mit seinem Ambulanten Hauspflege Dienst (AHD) feiert Ole Bernatzki am 3. Januar das 25-jährige Firmenbestehen. Ein schweres Jahr liegt hinter dem Unternehmen, das der größte Pflegedienst im Landkreis Harburg ist. Doch Bernatzki lässt sich nicht entmutigen. Er brennt weiterhin für das, was er tut. Schon wieder plant der umtriebige Mann, der an sieben Standorten im Landkreis, im Heidekreis und in Rönneburg vertreten ist, ein neues Projekt: den Aufbau einer Tagespflegeeinrichtung in Meckelfeld.
Pflegedienst: Firmenzentrale in ehemaligem Motorradhaus
Ein trüber Morgen im Dezember: Ole Bernatzki sitzt mit seinem Pressemann Joachim Meyer auf dem Sofa im Oletower. So nennt Bernatzki, der sich des Marktwertes seines Vornamens durchaus bewusst ist, seine Zentrale in den Räumen eines ehemaligen Motorradhauses im Jesteburger Gewerbegebiet. Dort ist seit 2019 der AHD-Verwaltungssitz. Die beiden Männer führen Strategiegespräche. Dass sie sich schon lange kennen und mögen, wird sofort spürbar. Immer wieder ein lockerer Spruch, eine originelle Idee, die weitergesponnen werden will.
Bernatzki, den viele seiner Mitarbeiter einfach Ole nennen, ist kein Chef der harten Hand. Neben dem Sofa ein Tischkicker, in der Ecke ein Sitzsack – eine Atmosphäre fast wie im Jugendzentrum. Bernatzki geht es augenscheinlich nicht darum, sein Image durch Statussymbole zu pflegen. Mit jeder Geste, mit jeder Bemerkung signalisiert er seinen Mitarbeitern: „Ich bin einer von euch. Und ich verlange nichts von euch, was ich nicht selber tun würde.“
Nach dem Schulabschluss wusste er nicht, was er werden wollte
Den AHD beschreibt er als Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern im Ernstfall auch privat aus der Patsche hilft. Der 51-jährige Bernatzki hat sein Leben lang hart gearbeitet. Sohn einer Arbeiterfamilie, verbrachte der gebürtige Hamburger seine Kindheit und Jugend in Jesteburg, in einem Ort, in dem die „goldenen Füllfederhalter“ en vogue waren. Und wusste nach dem Schulabschluss zunächst nicht, was aus ihm werden sollte.
Am letzten Tag der Sommerferien fand er im Hamburger Abendblatt, das er sechsmal die Woche austrug, eine Stellenanzeige für ein Praktikum in einem Altenheim. Er bewarb sich – und wurde genommen. „Ich will Krankenschwester werden“, überraschte er seinen Vater. „Schwester, weil ich das Wort Pfleger nicht mag. Und vielleicht, weil ich auch sehr viel Weibliches in mir habe“, sagt der kräftige Mann mit dem Zopf und dem gerade frisch gestutzten Vollbart. Was folgte, war eine Pflegeausbildung im AKH Altona.
Praktikum in einem Altenheim als beruflicher Startschuss
„Gleich am ersten Tag bekam ich eine Bettpfanne in die Hand gedrückt und bin damit durch Hamburg gelaufen, um mit der Gewerkschaft, die damals noch ÖTV hieß, für höhere Löhne zu demonstrieren“, erinnert er sich. Es blieb seine einzige Demo. Was die Finanzen anging, verließ er sich künftig lieber auf sich selbst.
Schon während der Ausbildung jobbte er nebenbei in einem Jesteburger Altenheim, zog mit 17 Jahren von zu Hause aus und hatte bald ein eigenes Auto, „natürlich mit richtig guter Musikanlage“. Nur ein freies Wochenende gönnte er sich pro Monat. „Aber das war nicht schlimm für mich.“
Zivildienst in einer Drogentherapieeinrichtung in Bendestorf
Statt Panzer zu fahren oder U-Boot zu steuern – wovon er als kleiner Junge geträumt hatte – entschied er sich für den Zivildienst in einer Drogentherapieeinrichtung in Bendestorf. Danach wollte er Streetworker in sozialen Brennpunkten werden. „Ich dachte, ich rette die Welt“. Dann kam ein „unfassbar toller Job“ im Pflegedienst. Doch auch die Erkenntnis: „Ich möchte es anders machen als die anderen, meine Patienten so versorgen, wie ich es für richtig halte“.
Mit vielen Krediten und noch mehr Mut wagte Bernatzki mit 26 Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit. Und eröffnete mit einer Mitarbeiterin ein Büro in der Jesteburger Bahnhofstraße. Natürlich arbeitete er parallel als Angestellter weiter, er brauchte ja Geld. „Im Nachhinein sage ich, dass ich da sehr naiv rangegangen bin, aber mit jeder Menge Mut“, so Bernatzki. Mut beweist er auch heute noch täglich. Getreu seinem Ziel: „ich möchte, dass meine Patienten glücklich sind“, wagt er in der Pflege vieles, was andere nicht tun würden.
„Gespräche sind für alte Menschen oft wichtiger als technische Dienstleistung“
Wenn der Patient mit der Pflegekraft eine Tasse Kaffee trinken möchte, dann bitteschön. „Auch das ist für meine Mitarbeiter bezahlte Arbeitszeit, denn Gespräche sind für die alten Menschen oft wichtiger als irgendeine technische Dienstleistung“, sagt er. Mal die Zeitung mit raufbringen oder den Müll mit runternehmen – „kein Problem, ich habe im Dienst selbst oft Schnee geschaufelt.“ Bernatzki, der nach wie vor selbst Patienten pflegt und so manche Nachtschicht übernimmt, hat mit dem Modell der Nachtbetreuung etwas Neues geschaffen.
„Unsere Patienten liegen sich nicht wund, müssen nicht in feuchten Windeln ausharren, denn sie werden auch nachts zur Toilette begleitet“, erzählt er. Das entlaste die Angehörigen und bedeute für die Senioren, dass sie länger zu Hause wohnen können. Die Pflege von Sterbenden gehört ebenfalls zum Alltag der AHD-Mitarbeiter.
Ole Bernatzki: „Heute sollte kein Sterbender mehr leiden müssen“
Als Mitglied im Netzwerk Esperanza, dem niedergelassene Ärzte und die Hospize Buchholz und Bardowick angehören, übernimmt der AHD als Ansprechpartner rund um die Uhr die Koordination. „Wir wollen, dass Patienten schmerzfrei und friedlich einschlafen können. Heute sollte kein Sterbender mehr leiden müssen“, so Bernatzkis Überzeugung.
In der Altenpflege andere Maßstäbe zu setzen, das ist auch das Erfolgsmodell der Tagesbetreuung Ole School in Jesteburg, die mehr einem 50er-Jahre-Haushalt mit Kneipe ähnelt als den schlichten Zimmern, die Tagespflege vielerorts bietet. In der Olen School sind Senioren, auch solche mit Demenz, fünf Tage in der Woche für acht Stunden gut aufgehoben, sie bekommen drei Mahlzeiten am Tag und Gelegenheit zum Austausch, denn die Tagespflege ist ein Ort der offenen Tür. So mancher Senior, der sich einsam fühlt, schaut vorbei. Am Abend bringt der Bus die Gäste wieder in ihre Familien.
Eine dritte Tagespflege soll 2024 in Meckelfeld eröffnen
Was in Jesteburg funktioniert, ist inzwischen auch in Bispingen (Heidekreis) und in Ashausen etabliert. Und in Meckelfeld, wo Am alten Zirkusplatz ein Seniorenheim entstehen soll, mischt Bernatzki ebenfalls mit: Hier hat er eine dritte Tagespflege geplant, die 2024 eröffnen soll. Neu im Konzept: eine Hausdame, die den Senioren der Wohnanlage für Hilfsdienste wie z.B. Briefwechsel mit Behörden zur Verfügung steht. Der Name der Tagespflegeeinrichtung wird auch hier Ole School sein. Diese Marke steht dafür, dass sich die Betreuung an den Werten der „alten Schule“ orientiert, dass Respekt, Höflichkeit, Zugewandtheit, Zuverlässigkeit eingehalten werden. Ein prägnanter Betriff, der haften bleibt. Und in dem natürlich wieder das Wort „Ole“ vorkommt.
Es soll Senioren geben, die in der Jesteburger Firmenzentrale anrufen und sagen: „AHD kenn‘ ich nicht, ich will Ole sprechen.“ Bernatzki, der nach Worten seines Mitarbeiters Joachim Meyer über ein „hohes Maß an Kreativität“ verfügt, wäre nicht er selbst, wenn er es bei der Einrichtung neuer Pflegezentren beließe.
Seit Sommer 2022 ist Bernatzki im Jesteburger Hof auch Gastwirt
Auch Pflege-WG’s hat er in drei Orten zum Laufen gebracht. Und seit Sommer 2022 ist er Gastwirt: Er hat den Jesteburger Hof gekauft. Ein Haus mit 21 Zimmern und traditioneller deutscher Küche. Die Hotelzimmer hat er inzwischen senioren- und rollstuhlgerecht umgebaut und Gemeinschaftsräume geschaffen. Im Hotel mitten im Dorf können Senioren jetzt dauerhaft wohnen und, wie Udo Lindenberg seit Jahrzehnten in Hamburg, Rundumservice genießen. Oder nur für die Dauer des Ferienaufenthalts ihrer Familie betreut werden.
Natürlich steht das Haus, das inzwischen den „Spirit von Ole“ atmet, nach wie vor Geschäftsreisenden offen, ebenso wie das Restaurant, in dem deftige Spezialitäten und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung serviert werden. Als allerneuestes Geschäftsfeld hat Ole Bernatzki den Lieferdienst „olerando“ ins Leben gerufen, der Komplettmenüs außer Haus liefert. Eine eigene Werkstatt gibt es für die 150 Autos, 50 davon elektrisch.
Ole Bernatzki hat den Lieferdienst „olerando“ ins Leben gerufen
Ein eigenes Firmenmagazin, von dem gerade die achte Ausgabe erschienen ist - Ole Bernatzki ist unermüdlich. Fast drängt sich der Eindruck auf, dieser Tausendsassa habe das Glücksgen. Doch ganz so sorgenfrei und entspannt wie in den Vorjahren ist der Mann, der nach außen hin die meditative Ruhe eines Buddha ausstrahlt, dann doch nicht.
Was ihm und anderen Pflegediensten in einem „Verdrängungswettbewerb“ zu schaffen macht, ist nach seinen Worten die mangelnde Refinanzierung von Personalkosten durch die Pflegeversicherungen und von medizinischen Dienstleistungen durch die Krankenkassen. Bernatzki, der nach eigenen Angaben deutlich über Tariflohn zahlt und dafür den Vorteil hat, immer genug geeignete Bewerber zu finden, hat in 2022 nur einen Buchteil seiner Aufwendungen zurück erhalten.
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Pflegedienst: Fachkraft kostet inzwischen 90 Euro pro Stunde
Der Profi rechnet: Eine Pflegefachkraft koste inzwischen 90 Euro die Stunde. Für die Medikamentengabe erhielten die Pflegedienste aber unter fünf Euro erstattet. „So viele Medikamente können wir den Senioren gar nicht geben, um auf unseren Stundenlohn zu kommen“, bemängelt er. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach – „ein interessanter, sehr schlauer Mann“ – habe er bei dessen Besuch in der AHD-Zentrale in Jesteburg schon viele seiner Kritikpunkte mitgegeben, doch keine konkreten Zusagen erhalten. „Dabei gibt es in Deutschland 2030 mehr über 65-Jährige als unter 20-Jährige. Und die Politiker werden erkennen, dass sie mehr Politik für die Alten machen müssen“, sagt Bernatzki.
Er hofft auf zeitnahe politische Entscheidungen zugunsten der Pflege und wendet sich gegen Neider: „Wir machen einen Job, den andere nicht tun wollen. Warum soll es uns nicht auch gut gehen?“ Was wird er tun, wenn sein Geschäftsmodell der Pflege, für das er immer mehr Anfragen von Investoren aus dem europäischen Ausland bekommt, eines Tages scheitern sollte? Oder wenn sein rechtes Knie, das infolge eines Unfalls täglich schmerzt, den Belastungen nicht mehr gewachsen ist? Dann sieht sich Ole Bernatzki mit seiner Frau „irgendwo mit dem Wohnmobil auf einem schönen Grundstück in Norwegen.“