Winsen. Fachkräftemangel und unzureichende Finanzierung belasten die Kliniken in der Region massiv. Jetzt soll die Politik helfen.

Die Krankenhäuser im Landkreis Harburg und der Elbe-Weser-Region schlagen Alarm. Fachkräftemangel, ausufernde Bürokratie und unzureichende Finanzierung belasten die Kliniken massiv. Jetzt spitzt sich die Lage aufgrund von Inflation und Pandemie bedrohlich zu.

In gemeinsamen Aktionen fordern die Krankenhäuser in Niedersachsen schnellstmöglich akute Hilfe von der Politik. Am Donnerstag wiesen Landrat Rainer Rempe und die Geschäftsführer der Kliniken im Landkreis Harburg, Lüneburg und Celle in einer öffentlichen Veranstaltung im Krankenhaus Winsen auf die enormen personellen und finanziellen Belastungen hin, denen die Häuser ausgesetzt sind.

Bereits zwei Tage zuvor hatten auch die Elbe-Kliniken Stade und Buxtehude sowie weitere Krankenhäuser der Elbe-Weser-Region die massiv angespannte Lage der Kliniken öffentlich thematisiert. Die Aktionen sind Teil einer landesweiten Veranstaltung der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG), die unter dem Motto „Die Krankenhäuser stehen vor einer Zerreißprobe“ von Ende August bis Anfang September in insgesamt sieben Städten Halt macht.

Landkreis Harburg: „Die Lage ist für die Krankenhäuser bedrohlich“

„Die Lage ist für die Krankenhäuser bedrohlich“, sagt Norbert Böttcher, Geschäftsführer der Krankenhäuser Buchholz und Winsen. „Wir fordern und erwarten eine sofortige Reaktion der Politik.“ Landrat Rainer Rempe bezeichnet die Lage der Kliniken als „ernster denn je“. „Sie hatte sich bereits durch die Corona-Pandemie massiv verschärft – nun bringen die extremen Kostenexplosionen in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine das Fass zum Überlaufen“, sagt Rempe.

Auch die wirtschaftlich sehr gesunden Krankenhäuser im Landkreis Harburg seien durch die dramatischen Entwicklungen der letzten Monate in eine ausgesprochen bedrohliche wirtschaftliche Lage geraten. „Im Laufe dieses Jahres werden vermutlich 90 Prozent der 168 Niedersächsischen Krankenhäuser rote Zahlen schreiben“, so Rempe weiter. „Das können wir als Träger der kommunalen Häuser nicht hinnehmen. Wir werden uns mit Nachdruck mit allen politischen Mitteln für eine sofortige Entlastung durch die Bundesregierung einsetzen, um unsere Häuser nachhaltig zu sichern.“

Gravierende personelle und wirtschaftliche Belastungen

Neben den steigenden Mehrkosten haben die Kliniken nach wie vor mit gravierenden personellen und wirtschaftlichen Belastungen infolge der Corona-Pandemie zu kämpfen. „Die vergangenen zwei Jahre gingen an die Substanz unserer Häuser. Operationen mussten verschoben werden. Zum Teil wurden ganze Stationen gesperrt, weil das Personal nicht zur Verfügung stand. Das bedeutet weniger Behandlungen und damit verbunden erhebliche Einnahmeausfälle. Unsere Liquiditätsreserven sind – auch wegen des Ende Juni ausgelaufenen Corona-Rettungsschirms – komplett aufgezehrt. Weitere finanzielle Einbußen können nicht mehr abgefedert werden“, mahnt der Landrat, der allein für das kommende Jahr mit einer Steigerung der Energiekosten von 3,7 Millionen Euro rechnet. „Das bringt uns in eine bedrohliche finanzielle Situation, die wir nicht allein werden bewältigen können“, so Rempe.

Mit zwei LKW die ein Krankenhausbett auseinanderziehen, verdeutlichten die Verantwortlichen der Kliniken der Elbe-Weser-Region die finanziell und personell angespannte Lage in den Kliniken.
Mit zwei LKW die ein Krankenhausbett auseinanderziehen, verdeutlichten die Verantwortlichen der Kliniken der Elbe-Weser-Region die finanziell und personell angespannte Lage in den Kliniken. © HA | Elbe Klinikum Stade

Als „angespannt wie nie zuvor“ bezeichnet Hans-Heinrich Aldag, Geschäftsführer der Waldklinik Jesteburg und Vorsitzender der NSG die Situation der Krankenhäuser. Zugleich seien die weiteren Aussichten äußerst bedrohlich. „Wir appellieren eindringlich an die politisch Verantwortlichen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Schaden von den Krankenhäusern, ihren Beschäftigten und nicht zuletzt den Patienten abzuwenden. Die Lage ist ernst und die Zeit drängt. Wir brauchen eine Mindestgeste der Politik – sonst können wir nicht weitermachen.“

„Dieses System ist krank“

Michael Moormann, Geschäftsführer des städtischen Klinikums Lüneburg, formuliert es noch drastischer. „Dieses System ist krank.“ Die Bundesländer hätten seit dem Jahr 1990 die Investitionen bis 2019 von 100 auf 53 Prozent zurückgefahren – trotz der steigenden Kosten durch die Digitalisierung. „Da läuft in diesem Land etwas falsch.“ Problematisch sei nicht nur die auf Fallpauschalen basierende Finanzierung, sondern auch der enorme bürokratische Aufwand. Monate von Mitarbeiterstunden seien notwendig, um erbrachte Leistungen nachzuweisen und abrechnen zu dürfen. Zeit, die infolgedessen bei der Patientenversorgung fehle.

„Als Corona anfing, haben die Leute für die Pflegenden und Ärzte geklatscht, die Politiker konnten nicht oft genug ihre hohe Wertschätzung ausdrücken. Und heute reden wir davon, dass Kliniken Pleite gehen. Uns, die wir in den vergangenen zwei Jahren in einer Dauerkrise gearbeitet und den Karren aus dem Dreck gezogen haben, lässt man heute im Regen stehen.“

„Die Situation der Krankenhäuser ist so angespannt wie nie zuvor"

Besonders bitter ist aus Sicht der Krankenhäuser, dass das politische Versprechen mit der Einführung von Pflegebudgets für eine vollständige Finanzierung und damit bessere Arbeitsbedingungen der Pflegenden zu sorgen, bislang nur unzureichend eingelöst wurde. In der Folge bleiben die Krankenhäuser auf den Kosten für zusätzlich eingestellte Pflegekräfte sitzen. Aufgrund derzeit geplanter Haushaltskürzungen auf Bundesebene besteht sogar die Gefahr, dass für weitere Berufsgruppen in der Pflege die Refinanzierung entfällt. „Mit ihrer Kompetenz leisten diese Kräfte einen wichtigen Beitrag zur Patientenversorgung. Vor dem Hintergrund des dramatischen Fachkräftemangels, ist diese Entwicklung absurd“, so Rempe. „Die unzureichende Krankenhausfinanzierung und die Veränderung beim Pflegebudget gehen an der Realität vorbei und sorgen für weitere Einnahmebußen.“ Der Bundesgesundheitsminister müsse handeln. Und zwar sofort.

Gleiches fordern die Klinikgeschäftsführer der Häuser in der Elbe-Weser-Region. Mit einem symbolischen Akt wiesen sie am Dienstag auf die enormen personellen und finanziellen Belastungen hin. Sie ließen zwei LKW ein Krankenhausbett auseinanderziehen und dokumentierten damit die „Zerreißprobe“, in der sich die Kliniken derzeit befinden. „Die Situation der Krankenhäuser ist so angespannt wie nie zuvor, sagt Siegried Ristau, Geschäftsführer der Elbe Kliniken Stade-Buxtehude. „Die Pandemie, der Fachkräftemangel, die Inflation, die unzureichende Finanzierung und viele weitere Faktoren belasten die Kliniken in einem bedrohlichen und teils existenzgefährdeten Ausmaß. Die Politik muss zügig handeln, bevor es zu spät ist.“

Wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser im Land verschlechtert sich zunehmend

Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie sowie eine ungenügende Investitions- und reformbedürftige Betriebskostenfinanzierung belasten die Kliniken bereits seit Jahren, ohne dass eine Verbesserung absehbar ist. Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser im Land verschlechtert sich zunehmend. Umfragen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) zufolge sind inzwischen mehr als drei Viertel der niedersächsischen Krankenhäuser mittel- bis langfristig in ihrer Existenz bedroht. In den Vorjahren traf dies auf rund zwei Drittel der Krankenhäuser zu.

Hintergrund der landesweiten Protestaktion ist eine bedrohliche Zuspitzung der wirtschaftlichen Schieflage der Krankenhäuser durch starke Kostensteigerungen für Energie, medizinische Produkte, Medikamente sowie Lebensmittel. Aufgrund des starren Finanzierungssystems können die Krankenhäuser diese Mehrkosten nicht in Form von Preiserhöhungen weitergeben. Die NKG fordert kurzfristig einen Inflationsausgleich zur wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser. Über akute Hilfsmaßnahmen hinaus müsse mittelfristig das System der Krankenhausfinanzierung durch den Bund reformiert werden.Angesichts eines Investitionsstaus von 2,5 Milliarden Euro für Krankenhausbauprojekte im Land Niedersachsen sei darüber hinaus eine dauerhafte Erhöhung der Investitionsmittel durch das Land erforderlich.