Henstedt-Ulzburg. Warum das Klinikpersonal mehr Mitsprache wünscht und Ver.di hofft, dass die Politik die Schließung noch verhindern kann.

In der Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg kamen am Donnerstag die von der Schließung der Geburtshilfe und Gynäkologie betroffenen 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einer Krisensitzung zusammen. Danach nahm der Betriebsrat öffentlich Stellung zu der am Montag von der Leitung des Klinikkonzerns verkündeten Entscheidung zu Schließung der beliebten Geburtsklinik zum Jahresende.

Die Entscheidung stoße auf beim Betriebsrat der Klinik auf tiefe Betroffenheit. „Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Damit wurde die Möglichkeit genommen, eine andere Lösung als die Schließung zu erreichen.“

Paracelsus Klinik: „Sind sehr traurig!“ Betriebsrat kritisiert Klinikleitung

Die Geburtshilfe habe seit über 40 Jahren einen hervorragenden Ruf in der Bevölkerung im Landkreis. „Es verlieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz, die durch überdurchschnittliches Engagement, viel Herzblut und ein hohes geburtshilfliches Niveau die Abteilung zu dem gemacht haben, was sie ist – ein seltenes Beispiel von Geburtshilfe, wo sich werdende Eltern gut und sicher aufgehoben fühlten. Wir sind sehr traurig über die Schließung“

Lore Scheier, Betriebsrats-Vorsitzende der Klinik und Hebamme, ist direkt von der Schließung betroffen. „Wir haben Überdurchschnittliches geleistet. Trotz Geburtenzahlen von etwa 800 jährlich ist im derzeitigen Krankenhauswesen mit seinen Fallpauschalen und zunehmenden Anforderungen an Ausstattung und Personal nahezu unmöglich wirtschaftlich zu arbeiten.“

Die bereits gegenüber der Klinikleitung deutlich formulierte Erwartung seitens des Betriebsrates ist jetzt zunächst, zeitnah den Beschäftigten aus der Pflege ein faires Weiterbeschäftigungsangebot zu unterbreiten, so dass für diese Mitarbeitenden möglichst schnell ein gewisses Maß an Sicherheit erreicht werden kann.

Ver.di: „Politik in Region und im Land ist gefordert“

Christian Wölm, Ver.di-Gewerkschaftssekretär im Landesfachbereich Gesundheit hofft, dass die Entscheidung der Paracelsus-Klinik noch nicht unumkehrbar ist. „Es ergeht der Appell an alle regionalen Politiker und Landespolitiker: Wenn es noch irgendeine Möglichkeit gibt die Klinikleitung umzustimmen, sollte sie jetzt gesucht werden.“

Der Betriebsrat in Henstedt-Ulzburg habe der Klinikleitung Lösungswege aufgezeigt. „Gerade wenn es um die gestiegene personelle Ausstattung geht, etwa mit Kinderärzten, so gibt es sicherlich Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Einrichtungen“, sagt Wölm.

Bundespolitik muss Finanzierung der Geburtshilfe überdenken

Die Schließung der Paracelsus-Klinik habe eine besondere Tragik. „Hebammen haben sich diese Klinik aufgrund ihrer familiären, frauenfreundlichen Atmosphäre ausgesucht – auch wenn die Tarifstruktur schlechter war als in anderen Kliniken“, sagt Wölm. Mit der Schließung scheitere auch ein besonderes Projekt in der Geburtshilfe des Nordens.

An die Bundespolitik gerichtet sagt Wölm: „Die Finanzierung der Geburtshilfe in Deutschland muss schleunigst geändert werden, damit Konzerne erst gar nicht auf den Gedanken kommen, ausgerechnet hier den Rotstift anzusetzen.“

CDU: „Norderstedt und Henstedt-Ulzburg brauchen eigenes Klinikum“

Klinikmanager Sebastian Margaschewskis Aussagen, wonach eine Geburtshilfe ohne Subventionen nicht wirtschaftlich betrieben werden könne, stößt auch in der Lokalpolitik auf Entrüstung. „Diese Aussage ist ein Skandal“, teilt Norderstedts CDU-Fraktionschef Peter Holle mit.

„Seit dem Aufkauf der Paracelsus-Kliniken durch den Schweizer Milliardär Felix Happel geht es nur noch um Effizienz. Menschen werden nach streng wirtschaftlichen Gesichtspunkten runtergebrochen auf ihre Rendite“. Der Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spreche Bände.

Hamburger Kliniken verweigerten Patienten aus Schleswig-Holstein

Peter Holle, Fraktionschef der CDU Norderstedt
Peter Holle, Fraktionschef der CDU Norderstedt © Andreas Burgmayer

Falsch sei laut Holle auch die Aussage, dass man auf eine gute Versorgung in der Umgebung zurückgreifen können, denn die Hamburger Krankenhäuser verweigerten mehrmals in der Woche die Aufnahme von Patienten aus Schleswig-Holstein.

„Die einzig gute Versorgung findet in und um Kiel statt, mit seinem Uniklinikum, zahlreichen Krankenhäusern und diversen ambulanten Zentren. Spätestens südlich von Neumünster ist damit Schluss.“ Holles Fazit: „Es wird Zeit, dass wir uns in Norderstedt, gemeinsam mit Henstedt-Ulzburg, Gedanken über ein eigenes Klinikum machen, um die medizinische Grundversorgung auch in Zukunft sicherzustellen“, so Holle.

SPD: „Entscheidung gegen das Wohl werdender Eltern“

Horst Ostwald, SPD-Fraktionsvorsitzender von Henstedt-Ulzburg.
Horst Ostwald, SPD-Fraktionsvorsitzender von Henstedt-Ulzburg. © Christopher Herbst

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Horst Ostwald aus Henstedt-Ulzburg kritisiert: „Mit diesem Schritt eines privaten Unternehmens wird ein wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge vor Ort zerstört.“ Das sei ein Ergebnis der Privatisierung der Krankenhäuser und der damit verbundenen Kommerzialisierung des Gesundheitswesens.

„Die betriebswirtschaftliche Entscheidung, die Geburtshilfe zu schließen, richtet sich massiv gegen das Wohl werdender Eltern und gegen die Existenz betroffener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr kurzfristig über die Pläne informiert wurden. Das ist nicht akzeptabel“, sagt Ostwald.

Landtagsabgeordnete Rathje-Hoffmann zeigt sich geschockt

Katja Rathje-Hoffmann (CDU), Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein.
Katja Rathje-Hoffmann (CDU), Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein. © CDU | Claudia Kunkel

Geschockt von der Nachricht zeigte sich Katja Rathje-Hoffmann, CDU-Landtagsabgeordnete aus Nahe. „Das trifft mich bis ins Mark“, sagte sie gegenüber der Segeberger Zeitung. Sie sieht schlimme Zeiten und große Probleme auf werdende Eltern in der Region zukommen.

Eltern über Henstedt-Ulzburg hinaus hätten sich in der Vergangenheit bewusst für die Henstedt-Ulzburger Paracelsus Klinik entschieden, weil ihnen das Konzept in der überschaubaren Klinik zugesagt habe. In Zukunft bleibe werdenden Eltern dann nur eine Klinik in Hamburg sowie die Krankenhäuser in Bad Segeberg, Kiel, Neumünster, Flensburg oder Eutin, um zu entbinden.

Landtagsabgeordneter Plambeck ist selbst als werdender Vater betroffen

Der CDU-Finanzpolitiker Ole-Christopher Plambeck und seine Frau Annika erwarten im November ihr erstes Kind. Sie wollten in der Paracelsus-Klinik entbinden.
Der CDU-Finanzpolitiker Ole-Christopher Plambeck und seine Frau Annika erwarten im November ihr erstes Kind. Sie wollten in der Paracelsus-Klinik entbinden. © Christopher Herbst

Ganz persönlich betroffen ist der CDU-Landtagsabgeordnete Ole-Christopher Plambeck, der in Henstedt-Ulzburg lebt. Er und seine Frau Annika erwarten im November das erste Kind und waren noch vor zwei Wochen zur Geburtsvorbereitung in der Paracelsus Klinik. „Da hat keiner etwas gesagt“, sagte Plambeck der Segeberger Zeitung.

Beim Gesundheitsministerium will er nun nachfragen, was Sache ist. „Im September habe ich sowieso einen Termin beim Klinikmanager Sebastian Margaschewski. Jetzt haben wir ein konkretes Gesprächsthema“, sagte Plambeck.

Paracelsus-Klinik: Wie lange kann Geburtshilfe Betrieb noch gewährleisten?

Tania Mielke, Kreißsaal Leitung Paracelsus Klinik
Tania Mielke, Kreißsaal Leitung Paracelsus Klinik © Privat

In den kommenden Wochen und Monaten sollen die Leistungen der Gynäkologie und Geburtshilfe der Paracelsus-Klinik nun schrittweise eingeschränkt und zum Jahresende komplett eingestellt werden. Die leitende Hebamme Tania Mielke bezweifelt, ob der Betrieb überhaupt so lange noch aufrecht erhalten werden kann.

„Wir gehen davon aus, dass wir nicht mehr alle Frauen entbinden können, die dieses Jahr in Baby bei uns auf die Welt bringen wollten“, sagt Tania Mielke. Sie befürchtet, dass es schon bald nicht mehr möglich sei, jeden Dienst zu besetzen. Denn schon jetzt würden die Mitarbeiter Überstunden machen, diesen Einsatz jedoch angesichts der angekündigten Schließung künftig ablehnen.

350 Frauen wollen in diesem Jahr noch in Henstedt-Ulzburg entbinden

Auch die Paracelsus-Klinik schreibt auf ihrer Homepage: „Als werdende Eltern, die sich für unsere Klinik entschieden haben, sind Sie von der Schließung leider unmittelbar betroffen.“ Man versichere aber, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um den Betrieb der geburtshilflichen Abteilung in den kommenden Wochen unverändert weiterzuführen.

Etwa 500 Frauen haben dieses Jahr bereits in der Klink entbunden – mit weiteren 350 wird in diesem Jahr nach Angaben von Tania Mielke noch gerechnet. „Einen Teil davon werden wir noch betreuen können – aber sicherlich nicht alle“, so das Fazit der leitenden Hebamme, die mit ihren Kolleginnen derzeit eine Protestaktion plant. „Auch wenn wir die Schließung unserer Station nicht mehr verhindern können – wir tun das auch für alle anderen Kliniken“, so Mielke.

Hebammen befürchten massive Überlastung umliegender Kliniken

Sie befürchtet, dass es infolge der Schließung zu einer massiven Überlastung der umliegenden Kliniken kommen wird. „Schon jetzt gibt es Frauen, die unter der Geburt abgewiesen werden, weil die Kreissäale vielerorts überlastet sind“, weiß Tania Mielke.

Die umliegenden Krankenhäuser teilten nach der angekündigten Schließung der Geburtshilfe in der Paracelsus-Klinik mit, auf steigenden Zahlen vorbereitet zu sein und genügend Kapazitäten zu haben.