Jesteburg. Um Klimaziele zu erreichen, gründen Bürger eine Initiative und setzen Projekte um - wie lokaler gemeinsamer Bio-Gemüse-Anbau

Oben auf dem Berg in Itzenbüttel im Landkreis Harburg sind die ersten Früchte ihrer Arbeit zu sehen. Auf einer Fläche von mehreren Hektar Land reihen sich Salatköpfe, Rote Beete und Kohlrabi. Unter einem Folientunnel hat Andreas Heitmann 90 Gurkenpflanzen, 60 Paprika und 200 Tomatenstauden gepflanzt. Er schwenkt mit dem Arm über das Gelände, zeigt auf die jungen Pflänzchen. „Mit der Ernte können wir bestimmt 100 Haushalte versorgen“, sagt er.

Heitmann träumt von einem Gemeinschaftsprojekt, an dem sich eine ganze Kommune beteiligen könnte. Ein Projekt, bei dem gemeinsam und solidarisch gewirtschaftet wird, das Gemüse saisonal ist und die Menschen, die mitwirken, einen Weg zurück zur Natur finden. Doch noch steckt die Idee in den Kinderschuhen. 20 Interessierte haben sich gemeldet. Das erste Mal vor Ort haben sie sich im April getroffen. Sie alle teilen eine Vision: zusammen Jesteburg klimaneutral zu machen.

„Jeder von uns sollte sich fragen, was er tun kann!“

Der lokale gemeinsame Bio-Gemüse-Anbau ist nur einer von vielen Bausteinen, die engagierte Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit der Initiative „Klimakommune Jesteburg“ in Angriff genommen haben und deren Ziel es ist, nicht von oben herab, initiiert von Politik und Verwaltung, sondern aus der dörflichen Gemeinschaft heraus Ideen und Konzepte für die Klimaneutralität ihrer Region zu entwickeln und voranzutreiben.

Dafür haben sie sich im vergangenen Jahr erstmals in der Schützenhalle getroffen, sie haben Vorschläge gesammelt und Arbeitsgruppen gebildet. Die Themen sind vielfältig: Außer dem Gemüseanbau vor Ort geht es um die Verbesserung der Mobilität, es geht um Energiegewinnung, Biodiversität und Konsum. „Anstatt über die schlechten Busverbindungen zu schimpfen, sollte sich jeder von uns fragen, was er tun kann, um die Mobilität vor Ort im Sinne des Klimaschutzes zu stärken“, sagt Initiator Konstantin Muffert. „Wir könnten Mitfahrbänke aufstellen, die Leute könnten sich auf privater Ebene Autos teilen. Oder man schafft gemeinsam ein Lastenrad mit E-Unterstützung an, das sich jeder nach Bedarf ausleihen kann.“ Letztendlich gehe es darum, auszuloten, was für Möglichkeiten die Jesteburger hätten, wenn sie nicht nur an sich selbst, sondern an die Gemeinschaft denken würden.

Auch beim Thema Energie haben sich Mitstreiter gefunden, die sich nun damit beschäftigen, welche Möglichkeiten die Kommune hat, um zum Gelingen der Energiewende beizutragen. Vorschläge gibt es viele: Dachflächen von Schulen, Turnhallen und Feuerwehrhaus könnten mit Photovoltaik ausgestattet werden. Finanziert werden könnten die Anlagen über eine Energiegenossenschaft, an der sich Interessierte beteiligen können. Darüber hinaus soll geklärt werden, wie hoch der jährliche Energieverbrauch in Jesteburg überhaupt ist. Es sollen Ideen gesammelt werden, wie auch private Haushalte Energie gewinnen und einsparen können.

Wie produziere ich meinen eigenen Strom? Genau diese Frage hatte sich Konstantin Muffert im Frühjahr 2021 gestellt. Er begann zu recherchieren. „Irgendwann dachte ich, warum frage ich eigentlich nicht die Menschen vor Ort, die bereits Erfahrungen damit haben?“ Früher habe es Stammtische gegeben, einen regen Austausch in der Dorfgemeinschaft. „Heute kocht jeder sein eigenes Süppchen. Das hat mir nicht gefallen“, so Muffert. „Wenn wir wirklich etwas für den Klimaschutz erreichen wollen, gelingt uns das nur gemeinsam.“

Selbsternannter Spezialist für „man-müsste-mal-Angelegenheiten“

Die Idee habe ihn schon länger umgetrieben. „Aber ich war bis dato Spezialist für ‚man-müsste-mal-Angelegenheiten‘“, sagt er. „Man müsste mal Infos einholen, wie das mit einer Photovoltaik-Anlage klappen könnte. Man müsste sich mal darüber Gedanken machen, ob es nicht möglich ist, Mitfahrgelegenheiten auf kommunaler Ebene zu gründen. All das saß in meinem Kopf.“ Dann sah er im Fernsehen einen Beitrag über die Klimakommune Saerbeck im Münsterland. „So etwas muss doch auch bei uns möglich sein“, dachte sich der Journalist und teilte seine Begeisterung in den sozialen Medien. Kurze Zeit später meldete sich Christoph Kröger bei ihm. Auch Kröger lebt in Jesteburg. Auch er ist davon überzeugt, dass es höchste Zeit ist, etwas zu tun.

Das Format war schnell gefunden. „Wir wollten ein Forum schaffen, in dem Menschen, die etwas bewegen wollen, gemeinsam Ideen entwickeln und in der Gruppe umsetzen können“, sagt Muffert. „Uns geht es nicht um Politik, nicht darum, dass jemand von uns Recht haben will. Vielmehr wollen wir Informationen sammeln und teilen.“

Andreas Heitmann (l.) und Dieter Reichert stehen in einem der Folientunnel, in denen das Gemüse gemeinsam lokal angebaut werden soll.
Andreas Heitmann (l.) und Dieter Reichert stehen in einem der Folientunnel, in denen das Gemüse gemeinsam lokal angebaut werden soll. © HA | Hanna Kastendieck

Wie gut das funktioniert, zeigt das Beispiel der Biogemüse-Anbaugruppe. Die Initiatoren Andreas Heitmann und Dieter Reichert haben inzwischen eine große Schar Mitstreiter gewinnen können, die Klima- und Umweltschutz durch gemeinsame lokale Gemüseproduktion praktizieren wollen. Ideengeber für das Projekt war Dieter Reichert. Der 61-Jährige ist bereits Mitglied einer Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) im Landkreis Harburg. „Oft habe ich mich gefragt, warum wir so etwas nicht in Jesteburg haben“, sagt er. Im ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 mietete er gemeinsam mit seiner Familie 90 Reihen auf einem Spargelfeld. „Dort habe ich etliche Familien aus Jesteburg getroffen, die das auch gemacht haben. Nicht, weil sie das zum Überleben brauchten, sondern weil sie Lust hatten auf gutes Gemüse und eigene Ernte.“ Diesen Menschen will er jetzt in Jesteburg die Möglichkeit geben, ihr Gemüse lokal zu produzieren. „Wir wollen die regionale, landwirtschaftliche Saisonalität spürbar und die lokal angebaute Gemüse- und Geschmacksvielfalt ausbauen“, sagt Reichert.

Mit Andreas Heitmann hat er im Ort einen Landwirt gefunden, der das gleiche Ziel verfolgt und die nötigen Flächen mitbringt. Heitmann ist auf einem Hof in Itzenbüttel aufgewachsen. Vor einem Jahr kündigte der 59-Jährige seinen Job als Entwicklungsingenieur und machte den elterlichen Betrieb zu seiner Lebensaufgabe. „Ich war berufsbedingt Jahrzehnte lang von montags bis freitags in Frankfurt und Tschechien“, sagt er. „Jetzt wollte ich noch mal etwas anderes machen.“ Also nahm er die 13 Hektar Land, die er bis dahin nur nebenbei bewirtschaftet hatte, genauer in den Fokus, stellte einen Folientunnel auf und begann Gemüse zu pflanzen, das er an umliegende Läden lieferte. „Das Bewusstsein der Menschen in der Region für Bioanbau ist groß“, sagt er. „Aber es steckt für mich eine Menge Arbeit dahinter.“ Als Dieter Reichert ihn im vergangenen Herbst ansprach, ob er, der Gemüsebauer aus Itzenbüttel, nicht Interesse an einer Solawi für Jesteburg habe, schlug er ein.

Bis Ende Juni wird die Idee konkretisiert, dann gegründet

Seitdem werben sie für ihre Idee in der Region, suchen Mitstreiter, die sich für mindestens ein Jahr lang mit einem festen Mitgliedsbeitrag dazu verpflichten, Teil der Anbaugemeinschaft zu sein. Bis Ende Juni wollen sie ihre Idee konkretisieren, dann wollen sie gründen. „Sollten nicht genug Interessierte zusammenkommen, könnten wir uns alternativ vorstellen, einen Teil der Flächen in Mietgärten umzuwandeln“, sagt Andreas Heitmann.

Um auch den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, an der Klimaneutralität für Jesteburg mitzuwirken, haben die Initiatoren der Klimakommune Jesteburg jetzt auch die Oberschüler im Ort ins Boot geholt. Sie sollen Ideen entwickeln für neue, klimafreundliche Projekte. Vor den Sommerferien wird es dann ein weiteres Treffen aller Interessierten in der Schützenhalle Jesteburg geben. „Jeder, der möchte, kann sich hier einbringen“, verspricht Konstantin Muffert. „Um so mehr wir gemeinsam machen, um so kleiner werden Kosten und Verbrauch.“ Und das sei schließlich der größte Gewinn für den Klimaschutz.

Gemeinsam gestalten in der Region Harburg:

  • „Gemeinsam gestalten“ heißt es auch in anderen Kommunen im Landkreis Harburg, wenn es um den Klimaschutz geht. Hier arbeiten Bürgerinnen und Bürger aktiv für das Erreichen der Klimaziele mit, wie hier:
  • In Buchholz können sich Interessierte im Klimaforum der Nordheidestadt für den Klimaschutz engagieren und in Klimateams bei den Themen Stadt und Bauen, Energie, Mobilität, Konsum & Ernährung, Wirtschaft & Finanzen mitgestalten sowie Mitglied des Klimabeirats werden, der die Verwaltung in wichtigen klimapolitischen Fragen berät.
  • Die Gemeinde Rosengarten hat das Projekt „Kommunale Nachhaltigkeit in Rosengarten“ initiiert. In Begleitung der Kommunalen Umwelt AktioN (UAN) Niedersachsen erarbeiten freiwillige AG-Mitglieder Strategien für nachhaltiges Handeln in der Gemeinde und Nachbarschaft.
  • Auch in Tostedt möchte man dem Klimawandel entschlossen entgegentreten. Dafür hat sich der seit 2019 bestehende Töster Umweltkreis im April in Töster Klimakreis umbenannt. Ihr Ziel: Tostedt zu einer Klimakommune zu machen. Themen, bei denen sich Bürger aus dem Landkreis engagieren können sind Energiewende, klimafreundliche Ernährung, Müllvermeidung sowie die Verbindung zwischen Klima- und Naturschutz.