Harsefeld. Früher kaum beachtet, stehen sie jetzt im Fokus. Warum Erdgasspeicher zur Basis der Energiewende werden könnten
An einem Zaungatter tippeln kleine Ponys neugierig dem Besucher entgegen. Weit geht der Blick hier auf der Geest zwischen Stade und Harsefeld über eine sanft geschwungene, sattgrüne Wiesen-Landschaft, die am Horizont von einigen Windrädern gesäumt wird. Kaum vorstellbar, dass in diesem Teil des Kontinents vor 260 Millionen Jahren ein extrem trockenes, warmes Klima herrschte.
Durch eine Senkung war die Landfläche dabei zeitweise vom Meer geflutet worden, in weiteren Millionen von Jahren verdunstete das salzige Wasser und ließ an manchen Stellen gewaltige Blasen aus Salzstein zurück: Ein Salzstock, wie er häufig in Norddeutschland vorkommt und hier bis nahe an die Oberfläche reicht.
Anlagen dienen oft als Puffer für die kalte Jahreszeit
Durch ihre besondere, natürliche Dichtigkeit werden solche geologischen Formationen seit den 1960er Jahren für die Lagerung von Erdöl oder Erdgas von rohstoffarmen Ländern wie Deutschland gern genutzt, um beide Energieträger im großen Umfang speichern zu können. Die Anlagen dienen oft als Puffer für die kalte Jahreszeit, wenn bei Spitzenlasten besonders viel Gas benötigt wird. Riesige, künstliche Hohlräume werden dazu in den Salzstöcken ausgesolt. Solche Kavernenspeicher sind nun mit Beginn des Ukraine-Kriegs in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.
Besonders niedrige Füllstände der deutschen Speicher zu Beginn des Frühjahrs machten dabei angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas Schlagzeilen. Inzwischen füllen sich die Speicher wieder nach Ende der hauptsächlichen Heizperiode. So auch bei dem Kavernenspeicher hier an der Ponywiese bei Harsefeld.
„Mit einem Speicherfüllstand von aktuell rund 80 Prozent sind wir in einem guten Bereich“, sagt Lutz Nieberg. Er ist Bereichsleiter Kavernenspeicher bei Storengy Deutschland. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich ist Teil der Engie-Gruppe und betreibt als Dienstleiter unter anderem für Energieunternehmen oder auch Stadtwerke in Europa 21 Gasspeicher, sechs davon in Deutschland. Und einer befindet sich eben hier in der südlichen Metropolregion Hamburgs im Harsefelder Salzstock.
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Doch zu sehen ist davon nur wenig: Zwei Kavernen liegen unter der Ponywiese im Untergrund bis zu einer Tiefe von circa 1700 Metern. Beide Hohlräume sind fast 300 Meter hoch und knapp 60 Meter breit. Die Harsefelder Kirche könnte in einer solchen Kaverne dreimal übereinandergestapelt werden, können Interessierte auf einer Hinweistafel vor Ort erfahren. Wenn man einen durchschnittlichen Jahresverbrauch von 2000 Kubikmetern zu Grunde legt, könnten mit dem gespeicherten Gas rund 54.000 Haushalte ein Jahr lang versorgt werden. Circa 108 Millionen Kubikmeter „Arbeitsgas“ lagern dort bei voller Auslastung. Ein gewisser Gasanteil bleibt dabei immer in den Hohlräumen, um den Druck aufrecht zu erhalten. „Kissengas“ nennen die Fachleute das.
Anlage auch für Lagerung von grünen Wasserstoff geeignet
Oberirdisch aber lässt sich von solchen Mengen hier wenig erahnen. Nur ein paar Rohre auf zwei kleinen abgezäunten Arealen mitten auf der Wiese deuten auf die Kavernen im Untergrund hin. Größer hingegen ist die Anlage aus einem für Laien verwirrenden System aus silbernen Röhren, Behältern und Hallen, wo das Erdgas für Lagerung und Transport in verschiedenen Arbeitsschritten aufgearbeitet wird. Zwar ist das Geschäftsmodell im Prinzip mit einer kommerziellen Tiefgarage vergleichbar, bei dem ein Betreiber Parkplätze an verschiedene Kunden vermietet. Doch für die Gasspeicherung ist einiges mehr an technischem Know-how notwendig: Das Gas kommt unter anderem über Fernleitungen aus den Niederlanden, aus Norwegen oder in geringem Umfang auch von niedersächsischen Erdgasfeldern an und wird darüber auch weitergeleitet.
Vor der Einspeisung, dem „Parken“, muss es von Staub und Kleinstteilchen gereinigt werden. Brennwert-Qualität und Menge werden gemessen und dann wird das Gas zur Lagerung unter großem Druck verdichtet, um mehr speichern zu können. Für die Fernleitungen wäre ein solcher Druck zu groß, sie müssten dann technisch aufwändiger ausgelegt werden, erklärt Bereichsleiter Nieberg, während er die Funktion der Anlage demonstriert. Bei der Ausspeisung hingegen muss der Druck auch wieder reduziert werden. Zudem muss das Gas dann durch eine Trocknung, um Feuchtigkeit herauszubekommen, die es in den tiefen Kavernen eventuell aufgenommen hat.
Dieses ganze technische Prinzip der Ein- und Auslagerung von Erdgas ließe sich aber auch anders nutzen: Für grünen Wasserstoff, der dann unter Druck gasförmig gelagert werden könnte. Mithilfe von Wind- oder Sonnenkraft erzeugter Wasserstoff gilt derzeit in der Diskussion um Klimawandel und Energiewende als große Hoffnung, um das Speicherproblem von diesen erneuerbaren Energieformen zu lösen. Es würde damit unabhängig von Lieferanten wie Russland machen. Wasserstoff würde so etwas wie eine Batterie sein, falls der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint – nur eben unterirdisch in Gasform gelagert. „Das ist eine erprobte Technologie, für die nur einige Änderungen an den bestehenden Bohrungen vorgenommen werden müssten“, sagt Daniel Mercer, Bereichsleiter Business Development bei Storengy. In Texas und Großbritannien werde Wasserstoff bereits in Salzkavernen gelagert. Und bald möglicherweise auch hier bei Harsefeld.
Storengy Deutschland arbeitet an den Plänen für Pilotprojekt
Storengy Deutschland arbeitet dafür bereits an den Plänen für ein Pilotprojekt. „Die Idee ist aus der Energiewende geboren, aber die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine haben die Gedankengänge jetzt beschleunigt“, so Mercer. Bis 2027, so der Plan, könnte dazu eine dritte Kaverne ausgesolt werden. Strom von Windkraft- oder Photovoltaikanlagen in Norddeutschland würde dann später zu einem Elektrolyseur auf der Storengy-Anlage geleitet, um damit aus Wasser Wasserstoff zu produzieren. Der soll in einem weiteren Schritt in dieser dritten Kaverne gespeichert werden, um ihn später über Pipelines oder mit der Bahn weiterleiten zu können. So erzeugter Wasserstoff könnte dann als Treibstoff im Verkehr oder als Energielieferant zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt werden, so der Plan.
Ob Wasserstoff Erdgas einmal völlig verdrängen wird, muss sich aber noch zeigen. In einem ersten Schritt, so vermutet Storengy-Manager Mercer, werde beides noch parallel genutzt. Doch dieser erste Schritt dürfte wichtig sein, um sich vielleicht tatsächlich einmal aus dem Erdgas-Zeitalter und ungewollten Abhängigkeiten verabschieden zu können.
Über den Erdgas-Verbrauch:
- In Deutschland stellt die Industrie mit einem Anteil von 36 Prozent die hauptsächliche Verbrauchergruppe beim Erdgas da. Gefolgt von den privaten Haushalten, die immerhin 31 Prozent des genutzten Erdgases in Deutschland verbrauchen. 14 Prozent fließen indes in die Stromproduktion von Gas-Kraftwerken. Gewerbe, Handel, Dienstleistungen verbrauchen zwölf Prozent. Und ein kleiner Anteil von 7 Prozent wird für Fernwärme genutzt.
- Um gerade im Winter Spitzenlasten abzudecken, wird Erdgas in Deutschland gespeichert. Der bisherige Jahrestiefstand aller Speicher wurde am 9. März mit einem durchschnittlichen Füllstand von 24,78 Prozent erreicht.
- Deutschland verbraucht jährlich etwa 80 bis 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas, rund 50 Milliarden kamen bisher aus Russland. In Deutschland selbst werden nur
5,2 Milliarden Kubikmeter produziert, davon 95 Prozent in Niedersachsen.