Bostelwiebeck/Lüneburg. Gericht stoppt den Bau bereits genehmigter Anlagen. Was das Denkmalschutzamt und Naturschützer damit zu tun haben.
Stören geplante Windräder den Blick auf eine denkmalgeschützte Mühle oder nicht? Dies ist, wie so oft, eine Frage der Perspektive. Auf den weiten Ebenen zwischen der Elbe und der Lüneburger Heide ist diese Frage wörtlich zu nehmen.
Sie beschäftigt derzeit Investoren, Umweltschützer, Gutachter und Richter. Und hat zurzeit zur Folge, dass Bauarbeiten gestoppt wurden, die seit acht Jahren in Planung und von den Behörden bereits genehmigt worden sind.
Es geht um vier Windkraftanlagen, geplant seit 2014
Die Firma UKA möchte in Bostelwiebeck, das liegt zehn Kilometer nordöstlich von Bad Bevensen, vier Windräder bauen. UKA steht für Umweltgerechte Kraftanlagen, das Unternehmen hat seinen Sitz in Meißen. 2014 begannen die Planungen, am 31. Juli 2020 kam die gute Nachricht für die UKA: Der Landkreis Uelzen genehmigte ihr Vorhaben. Das Unternehmen darf vier Windkraftanlagen auf den Feldern zwischen Bostelwiebeck und Eddelstorf bauen, und zwar sofort.
Sehr überraschend dürfte diese Entscheidung damals für niemanden gewesen sein: Ganz in der Nähe stehen nämlich bereits sechs weitere Windräder. Umso überraschender dürfte der Widerspruch gewesen sein, der beim Landkreis Uelzen gegen die Planungen einging. Die Adresse des Antragstellers, der Naturschutzinitiative e.V., lautet: 56242 Quirnbach, das liegt im Westerwald in der Nähe von Koblenz und ist ungefähr 500 Kilometer von Bostelwiebeck entfernt. Nach eigenen Angaben setzt sich der Verein „im Sinne einer originären und ursprünglichen Naturschutzarbeit für den Schutz von Landschaften, Wäldern, Wildtieren und Lebensräumen“ ein. Vor Kurzem war sie im hessischen Alsfeld mit einer Klage gegen drei Windräder erfolgreich.
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Auf der vereinseigenen Website lobt die Naturschutzinitiative den weiteren Erfolg vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. „Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt, dass das öffentliche Interesse an den erneuerbaren Energien nicht den nahezu uneingeschränkten Vorrang vor dem Schutz anderer öffentlicher Belange wie zum Beispiel dem Denkmalschutz haben kann“, schreibt Vorsitzender Harry Neumann dort. Diesen Denkmalschutz genießt nämlich eine alte Mühle in Nachbardorf Eddelstorf.
Vor Ort gewesen ist von der Initiative, die die deutsche Energiewende „plan- und konzeptlos“ und die Windenergie „ineffizient“ nennt, offensichtlich niemand: Denn zur Bebilderung der Erfolgsmeldung nutzt die Naturschutzinitiative das Foto einer völlig anderen Windmühle als der, um die es in dem Fall geht.
Initiative nutzt Foto einer anderen Mühle auf freiem Feld
Das Foto zeigt eine hübsche Holzmühle mit vier Flügeln auf einer grünen Wiese, im Vordergrund weiße Frühlingsblüten, im Hintergrund blauer Himmel mit Schäfchenwolken. Zwar steht unter dem romantischen Bild korrekterweise „Symbolfoto“, aber: Das Bild hat mit der Realität im Landkreis Uelzen nichts zu tun. Die Eddelstorfer Mühle, gebaut aus rotem Backstein, besitzt seit langem keine Flügel mehr. Außerdem steht sie nicht frei auf einer Wiese, sondern ist von vielen Seiten von Bäumen umgeben.
Diese geografische Lage wiederum nutzt der Investor für seine eigene – auch nicht ganz korrekte – Darstellung des Denkmals: Die Mühle sei „hinter zahlreichen Bäumen versteckt“, argumentiert die UKA und folgert daraus, die Entscheidung des Gerichts sei „absurd“. Und hier kommt die berühmte Perspektive ins Spiel: Die Mühle ist zwar von einigen Seiten von Laubbäumen umgeben. Aber eben nicht von allen. Ausgerechnet aus Richtung der geplanten Windräder ist sie durchaus zu erkennen – auch wenn je nach Standort dafür ein Fernglas durchaus hilfreich wäre.
Gutachter kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen
Entsprechend dieser Lage kommen zwei Gutachter auch zu zwei unterschiedlichen Ergebnissen: Die UKA zitiert den von ihr selbst beauftragten Fachmann, die genehmigten Windräder würden sich „nicht erheblich auf das Erscheinungsbild“ der Mühle auswirken.
Das Landesamt für Denkmalpflege sagt etwas anderes: Aus Nordosten blickend, entstehe eine „erhebliche Beeinträchtigung durch den zu großen Höhenunterschied“ zwischen den Bauten.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschied, dem Landesamt zu folgen. Das Baudenkmal würde von der „schieren Größe“ der Anlage „förmlich erschlagen“, zitiert das Gericht den Volksmund. Das Erscheinungsbild der letzten denkmalgeschützten Windmühle im Gebiet (…) dürfe nicht „einer wandelbaren Energiepolitik ,geopfert‘ werden, ohne zuvor ernsthaft das Vorhandensein von Standortalternativen geprüft zu haben“, schreiben die Richter weiter.
Gerichtsentscheidung Beleg für Scheitern der Energiewende?
Für die Meißner Investoren heißt das: Die Wege sind zwar bereits angelegt, doch weiterbauen dürfen sie derzeit nicht. Die Investoren sehen in der Gerichtsentscheidung einen Beleg für das aktuelle Scheitern der Energiewende. „Der ungestörte Blick auf eine eigentlich kaum sichtbare alte Windmühle ohne Flügel wiegt schwerer als die Beendigung der Abhängigkeit von Energieimporten und schwerer als die Begrenzung der Klimakrise“, sagt Sprecher Benedikt Laubert. Die vier Windräder hätten nach seinen Angaben 22.000 Drei-Personen-Haushalte mit Strom versorgen können.
Ob und wann sich die Lage noch einmal ändert, ist derzeit völlig unklar. Der aktuelle Gerichtsbeschluss bezieht sich lediglich auf einen Eilantrag, den der Verein gestellt hatte, um die bereits laufenden Bauarbeiten zu stoppen. Die Widersprüche der rheinland-pfälzischen Naturschutzinitiative gegen die Errichtung und den Betrieb der Anlagen laufen derweil weiter. Der Landkreis Uelzen als Genehmigungsbehörde hat laut einem Sprecher darüber noch nicht entschieden. Weitere Widersprüche, etwa von Bürgerinitiativen aus der Gegend, liegen nach seinen Angaben nicht vor.