Meckelfeld. Autorin Carolin George hat sich auf den Weg gemacht und stellt im Abendblatt interessante Touren vor. Heute: Forst Höpen

„Stopp!“ ruft Gisela Bertram gleich hinter der zweiten Abbiegung. „Das muss ich mir genauer ansehen.“ Sie tut, wie angekündigt, nimmt die fein violett gefärbten Blütenblättchen zwischen die Finger, sieht noch einmal ganz genau hin und sagt dann: „Ach, das freut mich jetzt aber.“ Das Veilchen in ihren Händen nämlich trägt einen hellen Sporn – ein wunderbar eindeutiges Merkmal für die Art: das Hain-Veilchen. Hain wie Wald, willkommen also im Forst Höpen, der botanischen Überraschung an der Grenze zwischen Hamburg und Meckelfeld.

Wobei es auch das Wald-Veilchen gibt – dessen Sporn ist aber eher violett. Sie merken schon: Dieser Weg ist etwas für Aufmerksame. Wirklich wandern wird man hier nicht, will man all die Details wahrnehmen, die dieser Wald unseren Augen bietet. Es ist vielmehr ein wandeln, stehen bleiben und betrachten, das sich hier in entspannter Regelmäßigkeit abwechselt. Und wer sich darauf einlässt, sich einen Spaziergang lang mit den kleinen Blüten am Boden zu beschäftigen, der wird merken: Das kann echt entspannen.

Höpen ist das Zuhause zahlreicher Arten

Gisela Bertram hat nach dem Abitur erst einmal eine Gärtnerlehre gemacht – sie wollte nicht gleich noch mehr theoretisch lernen, sondern lieber praktisch. Doch nach einigen Jahren merkte sie: Da muss noch mehr gehen. Sie studierte Biologie, promovierte – heute ist sie Geschäftsführerin der Stiftung Ausgleich Altenwerder. Für die ist die 53-Jährige zwar viel im Süden Hamburgs unterwegs. Den Höpen aber hat sie erst durch einen Kollegen aus dem Botanischen Verein Hamburg kennen gelernt: Peter Grundmann, der einen Spazierweg mit Beschreibung der Flora durch jenen Forst entwickelt hat.

Die Blume des Jahres 2022: das fein violett gefärbte Hain-Veilchen.
Die Blume des Jahres 2022: das fein violett gefärbte Hain-Veilchen. © Carolin George

Auf den ersten Blick ist der Höpen ein schöner, dicht an der Besiedlung angrenzender Mischwald; auf den zweiten Blick ist er das Zuhause zahlreicher Arten, die anderswo nicht wachsen. „Dieser Wald ist so unverhofft, so unvermittelt“, sagt Gisela Bertram. „Das mag ich so an ihm.“

Von der Parkplatz-Kehre aus nehmen wir den rechten Weg und biegen bei dem abgesägten Stamm gleich wieder rechts ab, um dem Pfad am westlichen Rand des Waldes zum Feld hin zu folgen. Unter den hellgrünen Dächern der Rotbuchen ploppen die Bergahorne aus dem Boden. Wir folgen dem Weg und biegen vor den Häusern links ab.

Das von rechts in den Wald scheinende Sonnenlicht lässt unter den mehrstämmigen, mächtigen Rotbuchen den Weißwurz wachsen, mit Blüten wie weißen Glöckchen. Dazwischen reckt sich das Mai-Zweiblatt empor, es blüht mit weißen Puscheln. „Das hier ist klassische Frühlingsflora“, sagt Gisela Bertram. „Sie müssen austreiben, bevor das Blattwerk der Bäume voll ausgetrieben ist. Dann wird es zu dunkel für sie sein.“

Vorbei am entzückenden Hain-Veilchen links des Weges ebenfalls unter einer kräftigen Rotbuche, erklärt die Biologin, warum wir in diesem Wald weder Lerchensporn noch Gelbe Anemone oder Bärlauch finden werden: „Wir befinden uns auf der Harburger Geest, also Ablagerungen der vorletzten Eiszeit. Deswegen ist der Boden entkalkt und eher sauer.“ Manche Pflanzen mögen das, andere eher nicht.

Den Gold-Hahnenfuß halten ungeübte Augen gern für eine Butterblume.
Den Gold-Hahnenfuß halten ungeübte Augen gern für eine Butterblume. © Carolin George

Farne zum Beispiel mögen es meist sauer. An ihnen kommen wir nahe den ehemaligen Fischteichen vorbei, den sogenannten Pfarrteichen: Der Rippenfarm direkt am Ufer zum Beispiel ist der größte Bestand dieser Art, den Gisela Bertram in der Region kennt. Die Farne gehören zu den Auffälligsten, denen wir auf unserem Gang begegnen. Für andere Wegbegleiter müssen wir unseren Blick wach in Richtung Boden lenken: den Gold-Hahnenfuß zum Beispiel, den vermutlich nur Biologen von der Butterblume unterscheiden können, oder das Scharbockskraut, eine „gibt’s-überall-Blume“, die gelb in einem grünen Bett leuchtet. „Der Name leitet sich von Skorbutskraut ab“, erzählt Bertram. „Bevor wir Obst aus Spanien importierten, war diese Pflanze nämlich das erste Vitamin C im Jahr, und das wiederum half gegen Skorbut.“

Verantwortung für seltene gewordene Pflanzen

Ein wenig wie ein Büschel Schnittlauch wirkt der Scheiden-Gelbstern, den wir nahe dem Stamm einer kräftigen Rotbuche entdecken. „Der sieht unspektakulär aus, wenn er nicht blüht“, sagt die Biologin. „Den Botaniker aber freut es, ihn zu sehen. Weltweit ist er selten geworden, und wir in Norddeutschland haben eine Verantwortung für ihn.“

Die Goldnessel blüht bereits, „gucken Sie mal, wie sehr die Hummel darauf abfährt“, ebenso der Sauerklee – dessen Name verrät, auf welcher Art von Boden wir uns befinden. Wenn Sie die Ruhe haben, an weiß blühenden Pflänzchen die Blütenblätter zu zählen, werden Sie auf den Siebenstern treffen. Es handelt sich dabei um ein ebenfalls säureliebendes Gewächs. Wenn Sie sich auf die Suche nach fünf weißen Blütenblattpaaren machen, treffen sie auf die Große Sternmiere. Auf dem Grund der Teiche werden Sie die Wasserminze entdecken, und wenn Sie eine Art Miniaturgeranie entdecken, wird das der Stinkende Storchschnabel sein, auch Ruprechtskraut genannt: Werden seine Blätter verrieben, riecht es gar nicht gut. Und wenn Sie sich über die Rhododendren und den Schlitzahorn bei den Teichen wundern: Die sind von Menschen in den Wald hineingepflanzt worden – anders als der Ilex, der durch Samen aus den benachbarten Gärten in den Wald per Vogelschnabel transportiert worden ist.

Auf dem Grund der Pfarrteiche im Forst findet sich Wasserminze.
Auf dem Grund der Pfarrteiche im Forst findet sich Wasserminze. © Carolin George

Zwischendurch, in den Nadelholz-Parzellen, sehen wir, dass unter Fichten kaum ein Kraut wächst – der Boden ist schließlich das ganze Jahr über beschattet. Nur die Heidelbeeren sind so tapfer, hier zu wachsen.

Nasser brauchen es die Brunnenkresse (die übrigens ziemlich lecker schmeckt, wenn man Senf mag), das Wiesenschaumkraut, Moose wie zum Beispiel das Frauenhaar und natürlich all die Farne – und auch das ist es, was den Höpen so spannend für Botaniker macht: die Abwechslung von trocken und feucht. Denn durch die zahlreichen Quelltöpfe – das sind punktuelle Senken, in den Wasser aus dem Untergrund nach oben tritt – und damit verbundenen kleinen Gewässer leben hier eben auch Arten wie Eschen und Erlen, die es nass an den Wurzeln mögen.

Der von Peter Grundmann entwickelte Weg durch den Wald umfasst etwa drei Kilometer, wie lange man dafür braucht, hängt vom Grad der Neugierde ab – und der Entspannung.

Anfahrt und weitere Infos:

  • Der Forst Höpen liegt an der Höpenstraße in Meckelfeld, nahe der Hamburger Stadtgrenze. Mit dem Bus 443 ist er über die Haltestelle Waldquelle zu erreichen. Außerdem befinden sich am Eingang zum Wald einige Parkplätze.
  • Der Botanische Verein hat ein Buch herausgebracht: „Der Botanische Wanderführer für Hamburg und Umgebung“. Mit 600 Fotos bebildert beschreibt das Autorenteam darin 95 Spaziergänge von der Feierabendtour bis zum Tagesausflug inklusive der wilden Pflanzen entlang von Wiesen, Wäldern und Wegrändern. Erschienen ist der Band im Dölling und Galitz Verlag und kostet 19,90 Euro.
  • Eine Exkursion bietet der Verein an diesem Sonntag, 8. Mai, durch Höpen an. Beginn: 10.30 Uhr. Treffpunkt ist um 10.24 Uhr die Bushaltestelle Waldquelle. Der passende Bus dazu startet um 10.08 Uhr an der S-Bahn Harburg. Die Führung übernehmen Peter Grundmann, Entwickler des beschriebenen Spazierweges, und Gisela Bertram. Die Tour dauert etwa drei Stunden richtet sich an Menschen, die sich für Botanik interessieren.