Landkreis Harburg. Busse in Hittfeld aus Wut gegen russischen Betreiber demoliert? Diese Meldung kursiert in den sozialen Netzwerken. Die Hintergründe.
In der Nacht zum 28. Februar hatten ein oder mehrere Täter 29 Busse und einen Pkw auf dem Gelände der Kraftverkehrsgesellschaft (KVG) in Hittfeld demoliert und damit einen Sachschaden angerichtet, der sich Schätzungen der Polizei zufolge auf rund 250.000 Euro beläuft. Soviel zu den Fakten, über die das Abendblatt auch berichtete.
Als wären diese nicht schlimm genug, wurde der Vorfall offenbar genutzt, um Stimmung zu machen. In Chatgruppen beim Messengerdienst Telegram sowie auf dem Internetportal Facebook wird die Behauptung verbreitet, der Akt der Zerstörung richte sich gezielt gegen den Busunternehmer, weil er Russe sei.
"Rassenhass in Hittfeld bei Hamburg" heißt es im Internet
„Rassenhass in Hittfeld bei Hamburg – Unbekannte Faschisten zerstören KVG Busse, weil der Verantwortliche russische Wurzeln hat“, heißt es bei Facebook im Zusammenhang mit einem Video, auf dem Mitarbeiter des Busunternehmens zu sehen sind, die die Schäden entdecken. Es sei eine Schande, wie mit russischstämmigen Bürgern umgegangen werde, heißt es bei denjenigen, die den Post verbreiten, weiter. Auch ein Vergleich mit Ungeimpften wird darin gezogen.
Aber woher rührt diese Behauptung, die nach Angaben der Tagesschau, die das Thema zuerst aufgriff, innerhalb weniger Tage 380.000 Mal in einem Telegram-Kanal aufgerufen wurde? „Wir können uns das nicht erklären“, sagt Oliver Blau, Pressesprecher der KVG Stade auf Abendblatt-Anfrage. Im Unternehmen sei man ratlos gegenüber der Falschnachricht. Die KVG sei nicht unternehmergebunden, sondern befinde sich im Besitz der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser und des Verkehrsbetriebs Osthannover. Auch die Geschäftsführer der KVG seien nicht russischstämmig, so Blau weiter, sie hätten keine migrantischen Hintergründe.
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Beim Verkehrsunternehmen sei man auf die Posts aufmerksam geworden, weil sie dem Unternehmen sowie auch der Polizei zugespielt wurden. Das Video stammt ursprünglich von einer Mitarbeiterin. Die KVG wolle aber nun keine Energie darauf verwenden, die Verbreitung der Falschinformation nachzuvollziehen, man wolle auch nicht mit einem Kommentar in den sozialen Medien reagieren, sagt Blau. Aus den Corona-Diskussionen wisse man, dass sich die Gegenseite bei einer Reaktion gegebenenfalls sogar bestärkt fühle.
Eine Falschmeldung hat keine strafrechtliche Relevanz
Schaut man sich auf den besagten Facebook-Profilen um, wird schnell deutlich, dass hier viele unbelegte Informationen verbreitet werden, die sich unter anderem gegen die USA richten oder prorussisch sind. „Love, Peace & unity to all of you in Russia“, postet etwa ein Nutzer. Oder: „US-Wirtschaftsexperten munkeln unter vorgehaltener Hand, noch nie habe sich die US-Regierung so sehr über einen russischen Krieg gefreut wie über den Ukrainekrieg.“
Wie geht man mit solchen Behauptungen um, die sich in Windeseile verbreiten und zigmal kommentiert werden? Die Polizei ermittele zwar aktuell und sei in Kontakt mit der Urheberin des Videos, sagt Jan Krüger, Pressesprecher der Polizeiinspektion Harburg. Die Wege, auf denen sich das Video verbreitet hat, seien aber nicht mehr nachzuvollziehen. Die Falschmeldung sei von keiner strafrechtlichen Relevanz. In solchen Fällen teilt die Polizei den jeweiligen Internetplattformen den Fall mit. Sie müssten dann prüfen, ob die verbreitete Falschnachricht gegen die eigenen Richtlinien verstößt oder nicht.
Krüger ruft dazu auf, Informationen im Internet zu prüfen, bevor man sie teilt oder weiterleitet. Auf der Website der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes wird außerdem dazu aufgefordert, „Hate Speech“ (also Hassrede) im Netz unbedingt zu kommentieren, Stellung zu beziehen, und zu dokumentieren. Für Letzteres gibt es eine Internet-Beschwerdestelle.
Anfeindungen nehmen zu – konkrete Zahlen gibt es nicht
Laut dem Hamburger Verein der Deutschen aus Russland nehmen die Anfeindungen gegenüber russischsprachigen Menschen in Hamburg aktuell zu. Konkrete Zahlen habe sie allerdings nicht, sagt die Vorsitzende Oxana Li. Auf seiner Website hat der Verein einen Appell veröffentlicht: „Einrichtungen wie bilinguale Kindertagesstätten, Vereine und Organisationen, aber auch russische Geschäfte äußern sich besorgt, manche haben die Anfeindungen und Beleidigungen sowie Vandalismus in den letzten Tagen am eigenen Leib erfahren müssen.“ Frieden bedeute, dem Hass und der Feindseligkeit sowie der Hetze keinen Raum zu geben, heißt es weiter. „Es wurde doch niemand von der russischen Bevölkerung gefragt, ob er diesen Krieg möchte“, betont Li.
Ihr Verein habe eine klare Position, sagt Li: Man unterstütze Ukrainerinnen und Ukrainer, helfe wo man könne. Gleichzeitig werden Fälle an sie herangetragen, dass man in Hamburg russischsprachige Kinder in der Schule gefragt habe, wie sie sich zum Krieg positionieren – das finde sie nicht korrekt. In einer anderen Schule seien blau-gelbe Bändchen verteilt worden. Einige Schüler hätten sich geweigert, diese zu tragen, und stattdessen mit dicken Jacken im Unterricht gesessen, um zu verhindern, dass jemand hätte sehen können, dass sie kein Armband trugen. Es gebe aktuell viel Potenzial für Gewalt und das müsse sich schnell ändern, hält sie fest.
Beim Harburger Integrationsrat wurden bisher noch keine Formen der rassistischen Anfeindung gegenüber Russischsprachigen gemeldet, die im Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen stehen. Claus Niemann, Pressesprecher des Harburger Integrationsrats, betont: „Die Menschen, die bei uns Zuflucht gefunden haben, verdienen unsere völlige Unterstützung.“ Nicht nur eine gesicherte Unterkunft und Nahrung seien vonnöten, sondern auch Anerkennung. „Dabei darf keinem aus dem Sinn gehen, dass wir für alle geflüchteten Menschen diese Perspektive gestalten, auch wenn das Hauptaugenmerk zur Zeit auf den jetzigen Flüchtlingsstrom gerichtet ist.“
So klappt der Fakten-Check:
- Falschmeldungen lösen Verunsicherung aus. Sie können die Gesellschaft spalten, radikalisieren und in Gewalt münden. Dabei werden die Fake News teilweise auch gezielt eingesetzt. Das absichtliche Verbreiten von Desinformationen ist gerade im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zu beobachten.
- Wer unsicher ist, kann Meldungen einem Fakten-Check unterziehen. So gibt die Polizei auf der Internetseite www.polizei-beratung.de Tipps, wie sich Quellen leicht prüfen lassen und Falschmeldungen enttarnen lassen. Auch das Recherchezentrum Correctiv bietet zehn Tipps zum Thema „Wie erkenne ich Falschmeldungen?“ an.
- Die Polizei rät, Hass im Netz unbedingt zu melden. Unter www. internet-beschwerdestelle.de ist das zum Beispiel möglich.