Lüneburg. Claudia Kalisch will nachhaltige Stadtentwicklung zur Chefinsache machen, die Kultur und wirtschaftliche Innovation stärken.
Direkt nach ihrem Wahlsieg im September hatte Claudia Kalisch angekündigt: „Jetzt geht die Arbeit richtig los.“ Die neue Oberbürgermeisterin der Hansestadt Lüneburg war darauf vorbereitet, dass die neue Aufgabe nicht nur viele Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringen, sondern ihr auch viel abverlangen würde. Und so brachten bereits die ersten hundert Tage eine Herausforderung mit sich, mit der sie in diesem Ausmaß nicht gerechnet hatte.
„Es gibt ein unglaubliches Interesse an mir als neuer grüner Oberbürgermeisterin“, sagt Kalisch. So seien bereits mehr als 500 Anfragen nach Kennenlernterminen bei ihr eingegangen. „Das ehrt mich sehr, aber es ist schwer, dem gerecht zu werden. Es dauert sicher ein bis zwei Jahre, bis ich das geschafft habe.“
"Gerade im Bereich Mobilität passiert hier unheimlich viel“
Im Moment liegt ihr Schwerpunkt noch im eigenen Haus. Sie will sich mit den Mitarbeitern austauschen und eine gute Grundlage für die weitere Zusammenarbeit schaffen. Diese habe mit einer positiven Überraschung begonnen, sagt Kalisch. „Die Verwaltung hat sich sehr gut vorbereitet und auf mich eingestellt, viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kommen mit konstruktiven Vorschlägen auf mich zu. Gerade im Bereich Mobilität passiert hier unheimlich viel.“
Die Bereitschaft, den derzeitigen gesellschaftlichen Umbruch mitzugestalten, sei groß. Bereits in ihrer ersten Arbeitswoche lag der von ihr im Wahlkampf geforderte Nachhaltigkeitscheck für Beschlussvorlagen auf ihrem Schreibtisch. Für die Oberbürgermeisterin ist das ein Zeichen, dass die Themen auf ihrer Agenda auch von der Gesellschaft gewollt würden. „Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität und Stadtentwicklung sind die Herausforderungen der Zeit.“
Lüneburg könnte dank der Uni zur Kongressstadt werden
Sie prägen auch ihr Zukunftsbild der Hansestadt. Lüneburg könnte sich sowohl durch seine Historie hervorheben als auch durch Innovation. „Es ist wichtig, dass wir uns selbst ein Profil geben. Wir müssen wissen: Wer sind wir? Wo stehen wir? Und wo wollen wir hin?“ Das gelte insbesondere für die Wirtschaft. Lüneburg sei mehr als Rote Rosen, auch wenn die Oberbürgermeisterin den Filmproduktionsstandort erhalten will. Zudem könne Lüneburg dank der Leuphana-Universität zur Kongressstadt werden. Vor allem aber will Kalisch, um das Wirtschaftsprofil der Stadt zu schärfen, verschiedene Akteure zu den Themen Innovation und Start-ups zusammen bringen – Firmen aus dem IT-Sektor wie Werum, Web-Netz oder Securepoint ebenso wie Uni-Initiativen und Institutionen wie die IHK und die Wirtschaftsförderung. „Ich will alle an einen Tisch bringen, damit wir wirklich etwas erreichen.“
Darüber hinaus arbeite man weiter daran, dass Lüneburg zur Fahrradstadt wird, sagt Kalisch. „Aber Mobilität ist mehr als Fahrrad.“ Am Bahnhof entsteht deshalb eine Mobilitätsstation und gemeinsam mit dem Landkreis wird derzeit der Nachhaltige Urbane Mobilitätsplan (NUMP) auf den Weg gebracht. „Das geht nur zusammen“, betont Kalisch. „Wenn vor den Stadtgrenzen ein Baugebiet entsteht, hat das auch Auswirkungen auf den Verkehr in Lüneburg.“ Auch innerhalb der Stadt sind mehrere Neubaugebiete in Planung, ebenso größere Bauvorhaben mit weiteren Wohnungen.
Investitionsstau muss abgebaut werden
Eines sagt die neue Frau an der Spitze des Rathauses jedoch ganz klar. Es gebe sehr viele Sanierungs- und Bauvorhaben auf der Liste. „Wir können nicht alles so schnell umsetzen, wie wir uns das gewünscht haben. Wir müssen die Prioritäten teilweise neu setzen.“ Grund sei der bestehende Investitionsstau. Diesen abzubauen, werde auch dadurch erschwert, dass Fachpersonal in der Verwaltung fehlt und Bauunternehmen teilweise keine Aufträge mehr annehmen.
Schneller als gedacht wird es dagegen im Rathaus zu Veränderungen kommen. Nachdem die bisherige Sozialdezernentin Pia Steinrücke, die bei der Oberbürgermeisterwahl für die SPD angetreten war, ihren Wechsel nach Lübeck angekündigt hat, muss die Stelle neu besetzt werden. In diesem Zuge will Claudia Kalisch der Kultur einen höheren Stellenwert geben und das Dezernat für Bildung, Jugend und Soziales um diesen Punkt erweitern. „Ich möchte den Bereich Kultur stärken, neu aufbauen und in gute Hände geben.“
- Wo in Lüneburg bis zu 200 neue Wohnungen entstehen sollen
- Kirche lädt Demonstranten zu Corona-Dialog ein
- Frühlingserwachen in der Kultur?
Um die zentralen Themen Klimaschutz, Mobilität und Stadtentwicklung gezielt angehen zu können, sollen diese Bereiche in der Rathausorganisation stärker verankert werden. „Dafür werde ich die strategischen Planungsprozesse zusammenführen.“ So sollen die Aufgaben rund um das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) und die Innenstadtkoordination in einer neuen Stabsstelle „Nachhaltige Stadtentwicklung“ integriert werden, zusammen mit den Themen Digitalisierung der Stadtgesellschaft und Bürgerinformation. Zudem soll die bisher unbesetzte Stabsstelle eines Digitalreferenten künftig die leitende Integration dieser Themen übernehmen. Die parallele Stärkung des Tagesgeschäfts halte sie für notwendig, so Kalisch. Sie hoffe, dass der Rat und die Kommunalaufsicht das genauso sehen.
Der Haushalt muss in täglichen Sitzungen aufgestellt werden
Ob die weiteren Aufgaben in der operativen Verwaltung effizient organisiert sind, soll analysiert werden. Eine mögliche Umstrukturierung gebe es nur gemeinsam mit den Beschäftigten, betont Kalisch, die mögliche Synergien nutzen will. „Ich bin nicht mit einem fertigen Plan hier angekommen und werde gut funktionierende Struktur erhalten.“ Derzeit beschäftigt sie ohnehin ein ganz anderer Plan: Der Haushalt muss aufgestellt werden, dieser Prozess mit täglichen Gremiensitzungen und politischen Abstimmungen beansprucht viel Arbeitszeit. Dann sei da natürlich auch noch Corona, mit Folgen für das Rathaus und allen angebundenen Einrichtungen, so die Oberbürgermeisterin. Homeoffice mit Kindern in häuslicher Quarantäne kenne auch sie.
Wie hoch die Erwartungen an das neue Stadtoberhaupt sind, hat vor Kurzem auch die Kritik an einem geplanten Radweg gezeigt. Mehrere Initiativen hatten sich enttäuscht von den aus ihrer Sicht unzureichenden Plänen gezeigt, im Rathaus war man irritiert und verwies auf bereits laufende Gespräche miteinander. Die Oberbürgermeisterin ist jedoch zuversichtlich, dass der Dialog erfolgreich weitergeführt werden kann. Auch zu anderen Themen will sie mit Bürgern ins Gespräch kommen. So plant sie im März und im Mai Telefonsprechstunden, zu denen vorab auch Fragen gestellt werden können. Antworten zu zentralen Themenblöcken wird die Oberbürgermeisterin in kurzen Videos zusammenfassen. Das große Interesse an Austausch mit ihr habe sie vielleicht etwas unterschätzt, sagt Claudia Kalisch. „Aber ich freue mich drauf, denn dieser Dialog macht meinen Job besonders reizvoll.“
Diese Neubaugebiete sind in Planung:
- Lüneburg ist für viele Menschen als Wohnort attraktiv. Die Einwohnerzahl der kleinen Hansestadt ist von 1998 bis Ende 2021 von knapp 68.000 auf knapp 78.000 gestiegen. Es gebe eine enorme Nachfrage nach Wohnraum, allerdings kaum mehr freie Flächen, sagt Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch.
- Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (ISEK) soll zeigen, wie das vorhandene Potenzial sinnvoll genutzt werden kann. Bevor dieser Prozess abgeschlossen ist, sollten keine zusätzlichen Baugebietsvorhaben angeschoben werden, so Kalisch. In Zukunft soll das ISEK auch als Grundlage dienen, um Planungsprozesse beschleunigen zu können.
- Zahlreiche Bauvorhaben sind bereits in Planung oder Umsetzung, wie die großen Baugebiete Hanseviertel III, Ilmenaugarten, Am Wienebütteler Weg und das ehemalige Lucia-Gelände. Weitere Wohnungen könnten in den Stadtteilen Ebensberg und Ochtmissen entstehen. Alle Bauprojekte sollen auch geförderte Wohnungen enthalten. Mit Blick auf die Innenverdichtung wird zudem der Ausbau von Dachgeschossen vorangetrieben. Einen Überblick über aktuell geplante Baugebiete gibt es im Internet auf www.hansestadtlueneburg.de unter dem Punkt Bauen.