Landkreis Harburg. Innovationskraft in der Corona-Krise: Das Abendblatt stellt mit „Unternehmergeist“-Preis geehrte Firmen vor. Heute: Vilicon Salley
Als das Corona-Virus die Innenstädte leer fegte, weil Geschäfte und Restaurants geschlossen waren, da hatten diese zwei Kreativen gerade einen Auftrag: Sie sollten Werbespots drehen – und zwar in belebten Fußgängerzonen. Ciro-Andreas Buono und Astarte Buono betreiben die Agentur „Vilicon Salley“ mit Sitz in Stöckte im Landkreis Harburg. Doch wo sollten sie einen Alltag drehen, der gerade nirgendwo stattfand?
Mit der Lösung, die das Ehepaar auf diese Frage fand, waren die beiden die ersten im deutschsprachigen Raum. Und erhielten jetzt auch einen Preis für ihre Innovationskraft: Sie belegten den zweiten Platz des Wettbewerbs „Unternehmergeist“ der Wirtschaftsförderung im Landkreis Harburg.
Unternehmer wählten Selbstständigkeit, um Neues auszuprobieren
Gebürtig kommen Ciro-Andreas Buono (36) und Astarte Buono (39) aus kleinen Städten in Süddeutschland, doch weil sie für Film und Werbung arbeiten wollten, zog es sie nach Hamburg. Als sie nach vielen Jahren bei großen Unternehmen und Agenturen merkten, dass es dort gar nicht so einfach ist, neue Dinge auszuprobieren, entschlossen sie sich zum Schritt in die Selbstständigkeit.
„Wir sind beide sehr digital, affin mit neuen Technologien“, sagt Astarte, und ihr Mann ergänzt: „Und sehr risikofreudig. Wir probieren gern Neues aus. Wenn wir selbstständig sind, können wir das selbst entscheiden.“ 2019 eröffneten sie ein Büro in Hamburg, natürlich inmitten der Schanze. Mittlerweile ist ihr Firmensitz Stöckte – aber dazu später.
Der Auftrag für die Werbespots kam von „Visa“: Kleine Geschichten aus dem Alltag sollten sie erzählen, wie die Kreditkarte das Leben leichter macht eben. „Aber es gab keinen Alltag“, sagt Ciro-Andreas Buono. „Es gab keine Orte, an denen wir das drehen konnten, was wir erzählen wollten.“ Zum Beispiel, wie eine Frau in einer Fußgängerzone Baklava mit Kreditkarte bezahlt oder ein junges Paar sich etwas zu essen auf den Campingplatz liefern lässt, weil ihr Gasherd während des Nudelkochens kaputt geht.
Spots liefen voriges Jahr europaweit über die Bildschirme
Diese „Visa“-Spots liefen voriges Jahr europaweit über die Bildschirme. Und zwar ohne, dass es diese Orte wirklich geben würde. Ciro-Andreas Buono und Astarte Buono haben eine Idee adaptiert, die der Filmproduzent „Disney“ erstmals für seine Serie „The Mandalorian“ genutzt hat: das Drehen vor einer LED-Wand.
Anders als beim Blue respektive Green Screen agieren die Schauspieler nicht vor einem leeren Hintergrund, der erst später hinzugefügt wird. Sondern der Hintergrund wird künstlich erzeugt und gleichzeitig mit den Menschen gefilmt.
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Solche virtuellen Studios gibt es seit Mitte 2020: Denn seither liegen die großen Messehallen mit all ihrem technischen Equipment brach – unter anderem riesigen LED-Displays. Auf diese Displays lassen sich Bilder von Computern übertragen, und wenn diese dann noch mit den Kameras gekoppelt werden, kann man hier Pippi Langstrumpf spielen: Man macht sich die Welt, wiedewiedewie sie einem gefällt.
Wenn es grau ist, scheint hier die Sonne. Wenn das Model beim Sonnenuntergang aus Versehen die Augen zugekniffen hat, geht der rote Ball im Hintergrund eben nach 30 Sekunden noch einmal unter und nicht erst am nächsten Tag – womöglich sogar hinter einer Wolke. Und wenn die Fichte nicht gefällt, wird sie eben zur Eiche.
Alles, was auf Bildschirmen zu sehen ist, ist digital erschaffen
„Das ist ein bisschen wie das Holo-Deck bei Star Trek“, sagt Ciro-Andreas Buono und lacht. „Die Herausforderung ist allerdings, die Hintergründe möglichst real wirken zu lassen. Für eine Serie wie The Mandalorian war das nicht nötig, weil sie in einer fiktiven Welt spielt. Was in den Spots zu sehen ist, kennt aber jeder. Da darf nichts auffallen, was nicht passt.“
Dabei ist nichts auf den Bildschirmen echt, alles ist digital erschaffen. Dazu werden Fotos von Bildagenturen verwendet, die Cracks am Computer in 3D-Animationen verwandeln.
Hybrid werden die Settings, wenn vor diese selbst erschaffenen Hintergründe dann reale, analoge Gegenstände gestellt werden und Menschen agieren.
Für den „Visa“-Spot auf dem Campingplatz zum Beispiel steht ein echter Wohnwagen vor einem digital modellierten Hintergrund – damit das Pärchen sich am Ende der Geschichte dort hineinsetzen kann. Auch der kaputte Gasherd ist echt, inklusive Topf und Nudeln. Der Rest aber existiert bloß als Nullen und Einsen im Computer und als Farben auf den LED-Displays. Und wenn dem Kunden das blaue Zelt im Hintergrund nicht gefällt, färbt ein Klick es eben rot.
Beherrschbare Welt: Drehen kann das Team in Echtzeit
Drehen kann das Team in Echtzeit – und ohne im Nachhinein zwei verschiedene Bilder aufeinanderlegen zu müssen. Schließlich verschmilzt die Fiktion im Hintergrund mit der Wahrheit vorne zu einer Gesamtansicht, die sich im Endprodukt nicht als Hybrid zwischen digital und analog unterscheiden lässt. Die perfekte Illusion.
Vorteil dieser selbst gebauten Welt: Sie ist im Gegensatz zur echten beherrschbar. „Wir haben die volle Kontrolle. Unsere Umgebung ist zu 100 Prozent planbar“, sagt Ciro-Andreas Buono. „Wir können dem Kunden garantieren, dass der Dreh stattfindet und alles so aussieht, wie er es sich wünscht. Er kann sogar per Livestream zusehen, ohne selbst anreisen zu müssen.“
Theoretisch muss also niemand mehr mit einer 50-Mensch-Crew auf die Malediven fliegen, um einen Spot vor türkisblauem Wasser zu drehen und dann drei Tage Sturm zu haben. Wozu sich also noch all der Unbill aussetzen, die die Realität zu bieten hat, wenn sich die Umwelt doch ganz einfach selbst erschaffen lässt?
Studio kostet 35.000 Euro Miete – jeden Tag!
Nun, es mögen häufig doch die – noch – hohen Kosten sein, die für den Dreh in einer echten Straße sprechen als vor einer LED-Wand: Das Studio „Hyperbowl“ in den Münchener Messehallen zum Beispiel, wo Vilicon Salley mit großem Team die „Visa“-Spots drehte, kostet rund 35.000 Miete – pro Tag.
Eine weitere Hürde, sagt die ausgebildete Werbetexterin Astarte: „Es gibt noch nicht viele Leute, die sich gut auskennen mit dieser Technologie.“
Dabei wäre diese Technologie, sind sich die Buonos sicher, auch ohne die Corona-Pandemie über kurz oder lang in die Filmbranche eingezogen. Zu vieles macht sie möglich, als dass sie sich nicht eines Tages durchgesetzt hätte. Aber: „Ohne Corona hätte es noch Jahre bis dahin gebraucht“, denkt der Mediengestalter. „Die Restriktionen waren ein Innovationstreiber für die gesamte Branche.“
Sie selbst waren die Ersten, die die Technologie für szenische Werbespots nutzten. Mittlerweile gibt es virtuelle respektive hybride Studios nicht nur in München, sondern auch in Hamburg. Und in Stöckte schmieden sie bereits an den nächsten Ideen. Zum Beispiel, wie sich Gemeinschaftserlebnisse auch digital schaffen lassen: an fiktiven virtuellen Orten anstelle digital nachgebauter realer Räume. Die ermüdenden Videokonferenzen in innovativ, für Live-Veranstaltungen mit hunderten Teilnehmern.
Und warum nun nicht mehr Schanze, sondern Stöckte? „Das Büro hat sich letztlich nicht mehr rentiert“, sagt Astarte. „Auch dafür hat die Pandemie gesorgt: mehr Remote-Arbeit. Alle aus dem Team arbeiten lieber zu Hause. Und wir, wohnen ohnehin lieber ländlich.“ Da ist die Wiese vor der Haustür ein schöner Ausgleich für die Arbeit – und total real.