Landkreis Harburg. Mehr als 1000 Einsätze im Landkreis Harburg. Orte zeitweise abgeschnitten. Feuerwehrfrau durch herabstürzenden Baum verletzt
Der Einsatzleiter der Feuerwehr Halvesbostel im Landkreis Harburg zeigt energisch auf seine Uhr. „Wir müssen hier so schnell wie möglich weg“, sagt Thomas Brümmer. Der Ortsbrandmeister steht mit seinen zehn Feuerwehrkameraden kurz vor Mitternacht auf der nur wenig beleuchteten Straße zwischen Heidenau und Holvede. Zwei umgestürzte Kiefern blockieren die Strecke.
Um die Straße herum schwanken die Bäume im Wind. Mit jeder stärkeren Windböe krachen Äste auf den Waldboden. Feuerwehrleute leuchten mit ihren Taschenlampen misstrauisch auf die Baumwipfel.
Für die Feuerwehrleute bedeutet das Lebensgefahr
Zu diesem Zeitpunkt misst die nächstgelegene Wetterstation Windspitzen von knapp 100 Kilometer pro Stunde. Für die Feuerwehrleute und die Autofahrer, die nicht weiterkommen, bedeutet das Lebensgefahr. Deswegen setzt ein Feuerwehrmann mit einer Kettensäge nur jeweils einen schnellen Schnitt, dann legen seine Kollegen ein Drahtseil um die Bäume. Traktoren ziehen die Kiefern auf ein nahes Feld. Damit sind die Retter so schnell es geht wieder aus der Gefahrenzone.
„Das ist der Vorteil einer Feuerwehr auf dem Dorf. Wir haben Kameraden, die mit dem Trecker kommen. So können wir die Bäume schneller beseitigen und bringen uns weniger in Gefahr”, erklärt Halvesbostels Feuerwehrsprecher Philip Stallbohm. Danach kommt für die freiwilligen Helfer schon der nächste Einsatz über Funk. Es geht, wie so oft in dieser Orkannacht zu einem umgestürzten Baum.
In Hochphase des Orkans „Zeynep” kippt im Minutentakt Baum um
Fast im Minutentakt kippten zur Hochphase des Orkans „Zeynep” in der Nacht Bäume im Landkreis Harburg um. Nach einem ersten Überblick am Sonnabendmittag zählte die Feuerwehr mehr als 1100 abgearbeitete Einsätze seit dem Freitagabend. Nicht in die Statistik eingeflossen sind die zahlreichen Arbeiten der Bauhöfe, der Mitarbeiter der Betriebsgemeinschaft Straßendienst und der Polizei.
Wie gefährlich der Sturm war, erlebten die ehrenamtlichen Feuerwehrleute auf der L234 nahe Salzhausen. Während die Retter einen querliegenden Baum zerschnitten, stürzten weitere um und schlossen die Feuerwehrleute ein. Leichte Verletzungen erlitt auch eine Feuerwehrfrau in Welle. Sie wurde während eines Einsatzes von einem umstürzenden Baum getroffen. Nach einer Behandlung im Krankenhaus konnte sie es am Sonnabend wieder verlassen. Auch drei Autofahrer erlitten leichte Verletzungen, als sie zwischen Vierhöfen und Bahlburg gegen einen umgestürzten Baum fuhren. In Neu Wulmstorf befreiten Feuerwehrleute ein Ehepaar, welches während des Sturms versuchte, ihre Jalousien wieder in die Verankerung zu heben. Dabei klemmten sie sich die Finger in dem Rollladen ein. Ein Autofahrer verunglückte auf der Autobahn 261 während eines Schneeschauers. Feuerwehrleute befreiten den eingeklemmten Mann aus dem Wrack.
- Unwetter: Autofahrer (37) von Baum erschlagen
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Zwei Ortsteile im Landkreis Harburg waren während des Orkans zeitweise von der Außenwelt sogar komplett abgeschnitten. In den Zufahrtswegen zur Waldsiedlung am Beckersberg in Lindhorst waren laut Aussagen von Anwohnern 40 Bäume umgestürzt. Mehrere Feuerwehren waren über Stunden vor Ort, um die Straße wieder freizuräumen. Ein ähnliches Bild gab es in Schwiederstorf bei Neu Wulmstorf. 17 teilweise ineinander verkeilte Bäume machten ein Durchkommen auf dem Alten Postweg unmöglich. Die dahinter liegende Wohnsiedlung konnte erst am Sonnabend wieder erreicht werden. In der Nacht waren die Aufräumarbeiten zu gefährlich.
Das Orkantief sorgte auch für eine schwere Sturmflut auf der Elbe. Das Flutschutztor am Hoopter Fähranleger war schon lange geschlossen, als das Wasser am Sonnabendmorgen den Parkplatz überschwemmte. Gegen 6 Uhr zeigte der Pegel am Ilmenau Sperrwerk einen Wasserstand von knapp 1100 Zentimeter. Normalerweise liegt das mittlere Tidehochwasser 300 Zentimeter darunter. Vorsorglich waren die Deichverteidigungszüge der Kreisfeuerwehr in Alarmbereitschaft versetzt worden.
Aus Sicherheitsgründen sperrte die Polizei in der Nacht mehrere Straßen, die durch Waldgebiete führen. So waren unter anderem die Kleckerwaldstraße und die Rosengartenstraße über Stunden nicht passierbar. Die K72 zwischen Sprötze und Holm-Seppensen wurde schon nach dem ersten Sturmtief am Donnerstag gesperrt. Als der Wind am Sonnabend langsam abnahm, zeigte sich, wie richtig die Entscheidung war: Auf der Strecke lagen hintereinander Dutzende Bäume quer über die Fahrbahn. Erst am Abend waren dann alle Strecken im Landkreis Harburg wieder freigeräumt und befahrbar.
Orkan deckt Ziegel vom Dach der Hittfelder Kirche ab
Welche teilweise schweren Schäden der Orkan „Zeynep” in der Nacht angerichtet hatte, offenbarte sich erst bei Tageslicht. Im Dach der Hittfelder St. Mauritiuskirche klafft nun ein Loch. Der Wind hatte Dutzende Dachziegel weggeweht. Glück im Unglück: Weder wurden Menschen verletzt noch die gerade erst restaurierte Orgel in Mitleidenschaft gezogen. Am Nachmittag deckten Dachdecker das Loch provisorisch mit einer Plane ab. Der Bereich um das Gotteshaus ist aus Sicherheitsgründen weiter abgesperrt.
Auch die Tennishalle des MTV Ashausen/Gehrden 08 ist nach dem Sturm unbespielbar. „Am Freitagabend gegen 19.30 Uhr alarmierte uns die Pächterin der Gaststätte, die am Ort war, dass Kunststoffteile der Hallenfassade durch die Gegend fliegen“, sagt Thomas Esser vom Vereinsvorstand. An der Stirnseite hatten Böen ein gut 15 Quadratmeter großes Loch gerissen. „Wir sind sofort hingefahren und haben die anderen Kunststoffpaneele mit Holzlatten gesichert.“ Am frühen Sonnabendabend sei der Dachdecker gekommen und habe auch das Loch mit einer großen Plane abgedichtet, sagt Esser und dankt dem überlasteten Ashauser Betrieb für die schnelle Hilfe. Montagabend werde nun der Vorstand tagen und entscheiden, ob die Sicherheitssituation es zulässt, dass zumindest zwei der drei Plätze wieder freigegeben werden, so das Vorstandsmitglied.
Schon das erste Sturmtief „Ylenia” hatte, wie berichtet, große Schäden in der Region hinterlassen. Auch hier traf es Dächer, wie zum Beispiel das der Sporthalle vom MTV Luhdorf-Roydorf in Winsen. Der Sachschaden, der durch die beiden starken Stürme an zahlreichen Privathäusern entstand, ist kaum abzuschätzen. Auf zahlreiche Häuser kippten Bäume. Bei anderen löste der Orkan die Dachverkleidung. Auch Schornsteine hielten den Windböen nicht stand.
Helfer der Feuerwehr teilweise mehr als 16 Stunden im Dauereinsatz
Im Laufe des Sonnabends machte sich bei vielen der ehrenamtlichen Helfer die Erschöpfung bemerkbar. Teilweise waren sie mehr als 16 Stunden im Dauereinsatz und das schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage. Kreisbrandmeister Volker Bellmann lobte die Arbeit der Feuerwehren. „Alle Einsätze wurden ruhig und besonnen abgearbeitet. Alles in allem ist diese massive Unwetterlage reibungslos bewältigt worden.“ Seevetals Bürgermeisterin Emily Weede sagte dem Abendblatt: „Ich bin stolz so eine tolle Feuerwehr zu haben.” Auch viele Anwohner bedankten sich in den sozialen Netzwerken bei den Helfern.
Doch viel Zeit zum Durchatmen blieb nicht. Nach einer ruhigen Nacht, zog schon das nächste Sturmtief in Richtung des Landkreises. Sturm „Antonia“ soll nach Prognosen des Deutschen Wetterdienstes am Sonntagabend bis in die Montagnacht verbreitet stürmische Böen mit sich bringen. Ab späten Nachmittag nahmen die Einsätze wieder zu.
Metronom stellt Zugverkehr wegen neuer Unwetterwarnung ein
Aufgrund der neuen Unwetterwarnung stellte die Eisenbahngesellschaft Metronom den Zugverkehr am Sonntag wieder schrittweise ein. Nach 21 Uhr seien keine Züge von Metronom, Enno und Erixx mehr unterwegs, kündigte das Unternehmen in Uelzen an. Voraussichtlich bis Montagnachmittag sei ein Bus-Notverkehr geplant. Am Sonntag waren zunächst auf vielen Strecken wieder Züge gefahren, es kam allerdings zu Zugausfällen, Verspätungen und Fahrplanabweichungen. Fahrgäste wurden gebeten, sich vorab im Internet zu informieren.
Am Sonntag war die Strecke zwischen Hannover und Bienenbüttel aufgrund von Sturmschäden nicht befahrbar, teilte der Metronom mit. Auch zwischen Hamburg-Harburg und Buchholz sei ein Schienenersatzverkehr eingerichtet worden. In Hamburg-Harburg bestehe Anschluss an die S-Bahn. Auch das Unternehmen Start musste aufgrund der Unwetterschäden den Zugverkehr auf der Linie RB 38 und RB 37 teilweise einstellen. Am Sonntag um 17 Uhr teilte das Unternehmen dann aber mit, das alle Strecken wieder befahrbar sein. Vorerst.