Ehestorf. Einkäufe im Kinderanhänger: Tobias Rothenberg baut alte Chariots zu praktischen Lastenanhängern um und spendet diese.
Manche vermuten, er habe nur Kinder gewollt, damit er sich endlich einen Chariot-Fahrradanhänger kaufen konnte. Einen von diesen praktischen Allzweck-Anhängern, in denen Eltern die Kleinen nicht nur bequem mit dem Rad transportieren, sondern auch Luftgepolstert querfeldein schieben können.
So ganz verneinen kann Tobias Rothenberg aus Ehestorf im Landkreis Harburg diese Vermutung nicht. Denn kaum, dass das erste Kind da war, stand der Chariot vor dem Haus der Rothenbergs. Der Kinderanhänger war über all dabei, auf Ausflügen, Radtouren und Wanderungen durch den Harz.
Auto der Familie Rothenbergs bleibt meist in der Garage
Inzwischen sind Sohn und Tochter groß und mit ihren eigenen Räder unterwegs. Doch vom „fünften Familienmitglied“, wie er den zweirädrigen Crosser nennt, konnte sich ihr Vater nicht trennen, führte ihn kurzerhand einer neuen Funktion zu. Erst „enthäutete“ er den Hänger mit dem Messer, anschließend versah er das übrig gebliebene „Skelett“ mit einer neuen Bodenplatte. Am Ende präsentierte er seiner erstaunten Frau Julia einen Lastenanhänger, der sich dank perfekter Federung auch zum Einkauf von empfindlichen Lebensmitteln eignet. Seitdem bleibt das Auto der Rothenbergs meist in der Garage. Die Einkäufe werden mit dem Rad erledigt.
Aus der Idee ist inzwischen ein richtiges Projekt erwachsen. „Saving the Chariots“ heißt es und hat zum Ziel, möglichst viele alte, aussortierte Fahrradanhänger vor der Schrottpresse zu retten. Zehn Kinderfahrradanhänger hat Rothenberg, 47 Jahre alt, von Beruf Programmbereichsleiter bei der Volkshochschule in Buxtehude, inzwischen in seiner Ehestorfer Werkstatt umgebaut. Die fertigen Lastenanhänger, die ein Gewicht von bis zu 35 Kilo tragen können, hat er verschenkt oder gegen Spende weitergegeben. Die Erlöse wiederum gibt er weiter an Projekte, die mit dem Fahrradfahren zu tun haben, so zum Beispiel an den ADFC in seinem Heimatkreis Harburg. Oder er steckt sie in den Kauf eines gebrauchten Anhängers, den er umbauen möchte. Auf diese Weise finanziert sich das Projekt quasi von selbst.
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„Es geht mir nicht darum, mit der Idee Geld zu verdienen, sondern dafür zu sorgen, dass die Hänger auf diese Weise weiter genutzt werden“, sagt Tobias Rothenberg, der die ausrangierten Kinderfahrradanhänger überwiegend im Internet ersteigert. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass er einen gebrauchten Anhänger kaufen wollte und ihn vom Verkäufer plötzlich geschenkt bekam, als dieser erfuhr, was daraus werden soll. „Es ist eine tolle Erfahrung zu sehen, wie viel Gutes eine solche Aktion bei den Leuten hervorruft“, sagt er. Selbstloses Engagement sei offenbar ansteckend. Sogar Chariot-Hersteller Thule hat Rothenberg ins Boot holen können. Das Unternehmen spendete Anhängerkupplungen, mit denen die Lastenanhänger am Fahrrad montiert werden können. Zudem will die Firma künftig auch Rückläufer an den Bastler weiterleiten, die er dann umfunktionieren soll.
Damit möglichst viele von der Idee profitieren, hat Tobias Rothenberg jetzt zwei seiner Lastenanhänger an den Verein „Buchholz fährt Rad“ gespendet. Der Verein setzt sich im Sinne des Umweltschutzes für eine Förderung des Radverkehrs in Buchholz ein. Um möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass der Alltag auch ohne Auto zu bewältigen ist, bietet der Verein zudem einen Lastenrad-Verleih an. Zehn Fahrzeuge stehen derzeit zur Auswahl, davon sieben klassische Lastenräder, eine Rikscha, ein für den Rollstuhltransport geeignetes Rad sowie einen Schwerlastanhänger. Hinzu kommen jetzt die zwei Anhänger aus der Rothenbergschen Werkstatt. Alle Fahrzeuge können kostenlos ausgeliehen werden.
Zwei Anhänger ergänzen nun die Heidschnucken-Flotte
„Wir freuen uns sehr über die Spende, die wir künftig in unserer Heidschnucken-Flotte anbieten können“, sagt der Vereinsvorsitzende Peter Eckhoff. Die Anhänger seien eine gute Alternative zu den Lastenfahrrädern, da sie kleiner und handlicher seien.
Drei Stunden dauert der Umbau eines Chariots in einen Lastenanhänger, auf den perfekt zwei 60 x 80 Zentimeter große Euronormkisten passen. Rund 25 Euro kostet das Material. Damit möglichst viele Menschen seine Idee aufgreifen, gibt Konstrukteur Rothenberg die Bauanleitungen über seine Homepage kostenlos an Interessierte weiter und teilt die Erfahrungen mit anderen. „Alles, was es für das einfachste Modell braucht, ist eine Siebdruckplatte sowie vier Schlossschrauben mit Unterlegscheibe und Sicherungsmutter“, so Rothenberg, der alle Teile zum besseren Verständnis auf seiner Homepage verlinkt hat. Einen finanziellen Vorteil hat er dadurch nicht. Den will er auch gar nicht haben. „Schließlich geht es mir wirklich nur um die Sache“, sagt er.
Der ambitionierte Bastler ist überzeugt davon, dass der Lastenanhänger das Auto komplett ersetzen kann. Genau diese Überzeugung will er auch den Besuchern an seinem Arbeitsplatz an der VHS Buxtehude näher bringen. Wer Interesse hat, kann einen seiner Workshops besuchen – und am besten gleich den ausrangierten Hänger mitbringen.
Informationen zu den Lasträdern und den Projekt:
- „Heidschnucke – Lastenrad für Buchholz“ bietet das kostenfreie Ausleihen von Lastenrädern an. Das Projekt wird durch den Verein Buchholz fährt Rad organisiert.
- Die Lastenräder können an unterschiedlichen Stationen für
bis zu drei Tage am Stück ausgeliehen werden. - Das Projekt ist Teil der Bewegung der freien Lastenräder, einer Initiative, die sich für die kostenfreie Nutzung von Lastenrädern einsetzt und deutschlandweit Akteure vernetzt.
- Ein wichtiger Aspekt ist der Sharing-Gedanke. Statt individuellem Konsum soll die gemeinsame Nutzung von Gebrauchsgütern gefördert werden.
- Durch die Spende von „Saving the Chariots“ stehen außerdem zwei Lastenanhänger zum Verleih. Infos: www.lastenrad-buchholz.de, www.tobias-rothenberg.de