Harburg. So nachhaltig ist Harburg: Julia Daum hat aus Holz und Plane ein Boot gebaut. Warum es nun sogar im Museum hängt.
Not macht erfinderisch, heißt es. Julia Daum, Spross einer Hamburger Seefahrerfamilie und von Kindesbeinen an eng dem Wasser verbunden, hatte stets von einem eigenen Kajak geträumt, sich aber keines leisten können. Da hat sie sich selbst eines gebaut, aus Nadelholzlatten und einem ausgedienten Werbebanner des Kiekeberg-Museums. Jetzt ist das einsitzige Paddelboot Teil der Dauerausstellung „Haus des Handwerks. Zwischen Tradition und neuen Herausforderungen“ im Vahrendorfer Museumsdorf.
Das seetüchtige „Grönlandkajak“ steht einerseits für traditionelle Handwerkskunst, denn es ist nach der Methode arktischer Ureinwohner gebaut. Andererseits steht es für das sogenannte Upcycling, die Wiederverwendung und Aufwertung von Material. Scheinbar nutzlose Abfallstoffe – in diesem Fall das Kunststoffplakat, das wegen eines aufgedruckten Datums nicht wieder für Werbezwecke verwendet werden kann – werden dabei zu einem neuen Produkt verarbeitet.
Upcycling: Harbugerin baut Kajak aus Werbebanner
Während ihres Archäologie-Studiums hat Julia Daum als Ausgleich neben ihrer Magisterarbeit ein Jahr lang am Kajak gebaut. Zunächst die handwerkliche Tätigkeit, später der Wassersport halfen ihr bei der Erholung von der geistigen Anstrengung. Heute trägt sie einen Doktortitel und arbeitet als freiberufliche Museumspädagogin. 25 Wochenstunden ist sie im Freilichtmuseum Kiekeberg tätig, außerdem für das Maritime Museum Hamburg und das Hafenmuseum.
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Die Kajak-Bauanleitung hatte die Altertumsforscherin im Internet entdeckt. Das Prinzip – ein Holzgerippe mit Bespannung – gefiel ihr spontan, weil es Jahrtausende alt ist. „Schon um 1000 vor Christus wurden im Zweistromland, also an den Flüssen Euphrat und Tigris, Boote aus Holz und Leder gebaut. Allerdings waren die nicht langgestreckt, wie die der Inuit, die damit auf dem Eismeer auf Jagd gehen, sondern rundlich.“
Teichfolienkleber hält das Upcycling-Kajak zusammen
Es gab noch einen gravierenden Unterschied zwischen den arktischen Gefährten und denen des antiken Vorderen Orients: „In den eisigen Regionen Nordamerikas und Grönlands war das Gerüst der wertvolle Bestandteil, weil ausschließlich Treibholz zur Verfügung stand. Seehundfell für die Außenhaut war vergleichsweise leicht zu beschaffen. In Mesopotamien war es umgekehrt. Hier war Leder rar und damit die Bespannung der wertvollere Teil des Bootes.“
Julia Daum kaufte leichte Nadelholzleisten im Baumarkt und versuchte, sie mit Hilfe von Wasserdampf zu biegen. Dazu erhitzte sie auf dem heimischen Herd einen Kessel. Der Dampf wurde in ein Ofenrohr geleitet, in dem die zuvor gewässerten Leisten steckten. Die ersten Versuche misslangen. Erst die Verwendung dünnerer Querschnitte in doppelter Lage brachte Erfolg. Auch die erste Bespannung aus Lkw-Plane erwies sich im Praxistest als ungeeignet. An den Nähten sickerte Wasser ein. Die Plane wurde deshalb durch das flexiblere Werbebanner ersetzt, das auch deutlich weniger Falten schlägt, somit Strudelbildung vermeidet und schnellere Fahrt erlaubt. Anstatt die Folie wieder mit Nadelstichen zu perforieren, kam nun Teichfolienkleber zum Einsatz. Julia Daum schätzt die Gesamtkosten für den Eigenbau auf 700 Euro, das entspräche ihren Angaben zufolge maximal einem Drittel der Kosten für ein gekauftes Wanderkajak.
Vom Liegeplatz an der Alster unter die Decke des Museums
Zehn Jahre ist Julia Daum in ihrem Werk gepaddelt. Dass das Kajak nun als Ausstellungsstück von der Decke hängt, tut ihr nicht leid. Der Liegeplatz in einem Bootshaus an der Alster wurde der Freiberuflerin zu teuer. Und: „Als typisches See-Kajak ist es lang und somit nicht besonders wendig. Auf Flüssen wie der oberen Alster ist es schwierig, damit um die Kurven zu kommen.“
Die Entstehung des Bootes in ihrem eigenen Wohnzimmer – „damals lebte ich allein und störte niemanden damit“ – hat Julia Daum fotografisch dokumentiert. Der Werdegang ist auf einer interaktiven Medienstation in der Ausstellung abrufbar. Dort werden auch persönliche Geschichten von Handwerksbetrieben im Landkreis Harburg der vergangenen 200 Jahre präsentiert. „Wir zeigen in unserer Ausstellung, wie Handwerker früher gearbeitet haben und was die Wirtschaftskrise und technische Neuerungen bis heute verändert haben.“
Weitere Beispiele von Upcycling finden sich am Kiekeberg im „Haus der Geschichte“. Die Ausstellung im nachgebauten Siedlungsdoppelhaus aus den 1950ern zeigt, wie angesichts des Mangels in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren improvisiert wurde. Da sind eine aus Fallschirmseide genähte Bluse, ein aus einem Stahlhelm gebasteltes Küchensieb, ein Rucksack aus einem Kartoffelsack und eine zur Katzen-Transportbox umfunktionierte Obstkiste zu sehen. Not macht eben erfinderisch.
Weitere Infos unter www.kiekeberg-museum.de. Das Museum ist dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr und am Wochenende sowie feiertags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: neun Euro für Erwachsene, unter 18 Jahren ist er frei.