Harburg/Buchholz. Unterschiedliche und sich ständig ändernde Regeln machen Geschäftsinhabern und Kunden zu schaffen. Ein Vor-Ort-Besuch.

Mitten in der Lüneburger Straße in Harburg probiert eine junge Frau mehrere Paar neuer Schuhe an. Doch sie kommt nicht wie üblich in den Laden. Seit Freitag gilt in Hamburg die 2G-Regel und diese schließt ungeimpfte Erwachsene vom Shopping aus. Nur genesene und geimpfte Personen haben Zutritt zu Geschäften, die nicht die Grundversorgung dienen. Schuhgeschäfte fallen nicht in diese Kategorie und deshalb wandert ein Karton nach dem anderen durch die Tür in die Fußgängerzone und zurück in den Laden. Drinnen muss die einsame Verkäuferin die Impfzertifikate der übrigen Kunden checken, kassieren und beraten, mit der Frau vor der Tür hat sie Mitleid und will helfen.

Wer 2G nicht erfüllen kann, probiert die Schuhe vor der Tür an

So soll es sich in den vergangenen Tagen mehrmals vor der Schuhhandelskette und anderen Geschäften zugetragen haben, offiziell bestätigen möchte das dem Abendblatt aber niemand der Angestellten. Wer mit offenen Augen durch die Geschäftsstraßen von Harburg geht, erlebt noch mehr dieser teilweise skurrilen Szenen, die das aktuelle Pandemiegeschehen schreibt. So wird die Farbe des neuen Teppichläufers mit dem ungeimpften Liebsten schonmal vor der Ladentür diskutiert und selbst die Ärmsten der Gesellschaft haben beim Betteln umgestellt: In der Lüneburger Straße sitzt ein Mann auf dem Ende eines rund 1,5 Meter langen Bretts und bittet um Geld. Der Becher ist am anderen Ende positioniert. Ein Passant bringt einen Becher Kaffee gegen die Kälte. „Kontaktloses Bezahlen“, scherzen beide.

Bei unserem Selbstversuch am Sonnabend hielten sich nicht alle Geschäfte an die 2G-Regelungen. In einigen hätte ich problemlos ohne Testabfrage einkaufen können. In anderen Geschäften ging dies nicht, dort wurde akribisch kontrolliert. „Ich habe nochmal weniger Umsatz als vor der Einführung der 2G-Regel und dies, obwohl das Weihnachtsgeschäft für Fotografen die Hauptgeschäftszeit ist“, sagt Roland Bendig vom Fotostudio im Marktkauf Center. „Man weiß bei den ganzen Änderungen doch gar nicht mehr, woran man ist. Das gilt für Kunden wie Geschäftsinhaber“, so Bendig.

Lange Schlangen vor dem Eingang zum Phoenix-Center

Ein paar Meter weiter, im nahe gelegenen Phoenix-Center, gibt es erneut lange Schlangen am Eingang. Diesmal geht es nicht um die Impfung, sondern um ein goldenes Bändchen, das den Zugang zu Geschäften vereinfachen soll. Im Shopping-Center gilt grundsätzlich die 2G-Regel. Wie bei jeder Regel gibt es auch Ausnahmen. So ist beispielsweise der Rewe-Markt, dessen Produkte vor allem der Grundversorgung dienen, davon ausgenommen, wie das Sicherheitspersonal auf Nachfrage erklärt. „Wer soll das alles noch verstehen“, regt sich eine ältere Frau auf. „Das ist doch alles totaler Irrsinn, kein Wunder, dass alles online bestellt wird.“ An diesem Tag ist das Phoenix-Center gut besucht, fast wie an normalen Sonnabenden im Advent.

In Harburg scheint die Weihnachtsstimmung auch die Shoppinglaune zu erhöhen. „Unter den gegebenen Umständen sind die Einzelhändler im Großen und Ganzen zufrieden mit den ersten Tagen 2G-Shopping. Wir konnten die neue Verordnung schnell und gut gemeinsam mit unseren Mietpartnern im Center umsetzen“, so Julita Hansen, Center-Managerin im Harburger Phoenix-Center. Bereits in der ersten Woche seien fast 7000 Armbänder ausgegeben worden.

Mitarbeitende haben Angst vor Jobverlust und Kurzarbeit

„Wir blicken mit Zuversicht auf die Vorweihnachtszeit und hoffen auf ein gutes Weihnachtsgeschäft“, sagt die Managerin. Mietpartner wollten sich auf Abendblatt-Anfrage teilweise gar nicht äußern oder teilten kurz mit, man setze die geltenden Regeln um. Wer mit Beschäftigten spricht, bekommt den ganzen Frust zu spüren: „Weniger Kunden, geringerer Umsatz, kurz gesagt eine Katastrophe.“ Bei vielen Mitarbeitenden stellt sich die Angst vor Jobverlust und Kurzarbeit ein, wie hinter vorgehaltener Hand berichtet wird.

In Niedersachsen wird die 2G-Regel für den Einzelhandel erst seit Sonntag umgesetzt. Am Sonnabend war in den meisten Geschäften noch Shoppen mit tagesaktuellem Test möglich. Kein Wunder, dass es noch einmal eine ganze Reihe von Hamburger zum Beispiel nach Buchholz zog – das beweist ein Blick auf die Kfz-Kennzeichne auf den innenstadtnahen Stellflächen. „Nett formuliert fahren wir mit angezogener Handbremse“, sagt Dirk Pauleweit vom Weinhandel Baastrup, „auch in Buchholz haben wir spürbar weniger Kunden und Gäste, die zum Verweilen in der Innenstadt bereit sind.“

Hamburger zieht es ein letztes Mal zum Einkaufen nach Niedersachsen

Er vermutet, dass es nach Weihnachten einen weiteren Lockdown geben wird und hält ihn unter bestimmten Voraussetzungen auch für sinnvoll. „Es fehlte der Politik der Mut zu starken Entscheidungen. Jetzt steht die neue Regierung und muss keine Rücksicht mehr auf Umfragewerte nehmen“, so der Sommelier aus der Nordheide.

Dirk Pauleweit vom Weinhandel Baastrup in Buchholz befürchtet einen Lockdown im neuen Jahr.
Dirk Pauleweit vom Weinhandel Baastrup in Buchholz befürchtet einen Lockdown im neuen Jahr. © André Lenthe | André Lenthe

Eines ist in Buchholz auffällig: Viele Läden wie der Kartenverkauf der Empore, einige Boutiquen oder Reisebüros haben von sich aus beschlossen, in ihren Geschäften bereits jetzt die schärferen Regeln anzuwenden. „Für uns ergibt 2G ausdrücklich Sinn. Wer nicht geimpft oder genesen ist, kann aktuell auch nicht verreisen. In anderen Ländern gelten je nach Region und Pandemielage andere Corona-Regeln“, sagt Birgit Tietz vom Reisebüro Hartmann. „Wir sind glücklich, dass unsere Stammkunden uns die Stange halten. Das Geschäft machen wir zurzeit vor allem per E-Mail oder Telefon. Wir hoffen alle auf den Sommerurlaub im kommenden Jahr.“

Ein blaues Band soll es in der Hansestadt Lüneburg richten

Wie kaum eine andere Stadt in Niedersachsen ist Lüneburg durch die verschärften Coronabestimmungen getroffen. Von heute auf morgen hatte der populäre Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus seine Zelte abgebaut. Dadurch verlor die Stadt viele Touristen, die in der Vorweihnachtszeit sonst die Gassen säumen. Blaue Bändchen mit der Aufschrift „Deine Stadt“ sollen es richten und das Einkaufen erleichtern. Sie sind an vielen Orten beispielsweise bei der Touristen Info am Rathaus erhältlich und gelten in zahlreichen Geschäften. Der Clou: Der 2G-Nachweis muss nur einmal erbracht werden, durch das blaue Band erhalten Kunden Zutritt zu Einzelhandelsgeschäften in der gesamten Stadt.