Winsen. Im Landkreis Harburg werden keine Termine für persönliche Beratungen und Vor-Ort-Checks mehr vergeben. Auch in Hamburg ist Ansturm groß.

Seit 2014 bietet der Landkreis Harburg in Kooperation mit der Verbraucherzentrale (VZ) Niedersachsen flächendeckend kostenlose Energieberatungen an. Jetzt wurde die Vergabe neuer Termine für persönliche Beratungen ausgesetzt. Es gilt, zunächst die Interessenten der vergangenen Monate zu bedienen. „Wir sind Opfer des eigenen Erfolgs“, sagt Kreissprecher Andres Wulfes. „Wir hoffen, dass wir die Beratungen 2022 wieder aufnehmen können.“

„Wir haben im Landkreis Harburg bis September 316 Vor-Ort-Beratungen durchgeführt, mehr als 2020“, sagt Karin Merkel Regionalmanagerin der Energieberatung der VZ. „Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 228.“ Und das, obwohl bereits in diesem Sommer das Solar-Check-Projekt – anders als geplant – nicht beworben wurde. Es sollte kein weiteres Interesse geweckt werden, das nicht bedient werden kann. Dasselbe gilt jetzt für das Format „Clever heizen“. Bei ihm habe es bereits im Winter 2020/21 einen Nachfrageüberhang gegeben, sagt Wulfes; allein für dieses recht umfassende Angebot, das den Wärmeschutzstandard der Gebäudehülle einbezieht, hatten sich 202 Hausbesitzer angemeldet.

Das Beraternetz ist überstrapaziert

Es mangele nicht am Geld, sondern an den Fachleuten, die beraten können, versichern beide Kooperationspartner. „Wir beauftragen selbstständige Energieberater. Und die sind aktuell in ihren eigenen Büros gut ausgelastet“, sagt Merkel. „Wir sind permanent dabei, den Stau abzuarbeiten.“ Im Landkreis Harburg seien fünf Stammberater aktiv, bei Bedarf ergänzt durch sieben Experten aus den Nachbarkreisen. Aber auch dort herrsche derzeit reges Interesse, das Beraternetz sei insgesamt überstrapaziert.

Mehrere Faktoren haben dazu geführt, dass Hausbesitzer in die energetische Sanierung investieren wollen: Die Fridays for Future-Bewegung und Wetterextreme wie die Überflutung des Ahrtals haben den Klimaschutz zu einem der beherrschenden Themen gemacht. Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Menschen mehr Zeit zuhause verbracht und darüber nachgedacht haben, welchen Beitrag sie persönlich leisten können. Die erhöhten staatlichen Förderungen und die geringe Verzinsung von Ersparnissen haben die Bereitschaft, in den Klimaschutz zu investieren, beflügelt. Und nicht zuletzt machen steigende Energiepreise Klimaschutz-Investitionen attraktiv.

Keine neuen Termine in Hessen und Baden-Württemberg

Umso ärgerlicher seien lange Wartezeiten auf die persönliche Beratung, die aktuell schon einmal zwei Monate und mehr betragen können, sagt Merkel. „Es ist eine verzwickte Situation: Wir wollen, dass sich die Leute beraten lassen und das Richtige tun. Aber die Beratungspower ist einfach nicht vorhanden.“ Anders als in Hessen und Baden-Württemberg, wo die Verbraucherzentralen landesweit keine Termine mehr für persönliche Beratungen vergeben, sei die Situation in manchen niedersächsischen Landkreisen noch entspannt, so die Energieberaterin. „Aber im Speckgürtel Hamburgs ballt es sich. Wir suchen hier dringend nach zusätzlichen Beratern.“

Kaum besser ist die Situation bei der Verbraucherzentrale in Hamburg. „Wir haben aus der Lockdown-Zeit einen unglaublichen Stau an Vor-Ort-Checks“, sagt Energieberaterin Silke Langhoff. Um Zeit für persönliche Gespräche in der VZ zu haben, werden die zeitaufwendigen Hausbesuche praktisch nur noch in dringenden Fällen gemacht, so Langhoff. Für persönliche Beratungen in der VZ an der Kirchenallee in St. Georg betrage der Vorlauf rund zwei Wochen. Langhoff: „Wir verweisen gern auf die Möglichkeit, sich telefonisch oder per Video beraten zu lassen.“ Der Weg dorthin führt über die Website vzhh.de.

Hausbesuche zum Umgang mit Extremwetter

Eine weitere Alternative bietet das Angebot an kostenlosen Beratungen vom Energiebauzentrum der Handwerkskammer. Es ist Teil des Elbcampus’ unweit des Harburger Bahnhofs. Dort gibt es neben einer persönlichen Beratung (aktueller Vorlauf: je nach Thema ein bis drei Wochen) eine Dauerausstellung, in der verschiedene technische Lösungen vorgestellt werden. Auch Vor-Ort-Termine werden hier noch vergeben, derzeit jedoch mit dem Themenschwerpunkt Anpassungen an Klimafolgen wie Extremwetterereignisse. Das Energiebauzentrum ist unter der Rufnummer 040/35 90 58 22 zu erreichen (Internet: www.energiebauzentrum.de).

Beratungen per Video sparen Zeit

Auch im Landkreis Harburg gibt es noch Informationsangebote zum Energiesparen. Die Verbraucherschützer bieten weiterhin kostenlose Telefonberatungen unter der Rufnummer 0800 809 802 400 an. Diese können auch per Video durchgeführt werden. Sogar Vor-Ort-Beratungen mit Video-Unterstützung sind möglich. Dann laufen die Hausbesitzer mit ihrem iPad, Laptop oder Smartphone durch das Haus und zeigen den Beratern zum Beispiel ihre Heizungsanlage.

Die Stabsstelle Klimaschutz des Landkreises Harburg beantwortet Fragen zu Förderangeboten und gibt einen Überblick über sämtliche Klimaschutz-Serviceangebote im Landkreis Harburg. Das Team um Oliver Waltenrath ist unter der Rufnummer 04171/69 36 41 zu erreichen; weitere Informationen sind unter www.energiewegweiser.de zu finden. Einzelne Kommunen, etwa die Stadt Winsen oder die Gemeinde Stelle, bieten ebenfalls persönliche Beratungen an, wenn auch nicht immer kostenlos.

Energiesparmaßnahmen sind aktuell schwierig umzusetzen

Lange Wartezeiten gibt es auch bei der Umsetzung der Investitionen. Darüber berichtet das Mitgliedermagazin vom Grundeigentümer-Verband Hamburg. Ein Mitglied habe mehr als sieben Monate warten müssen, bis eine Gasleitung verlegt und eine sparsame Brennwertheizung montiert worden waren. „Ausufernde Wartezeiten“ seien bei Gasanbietern, Handwerkern, Baustoffhändlern und der Kampfmittelprüfung der Feuerwehr (für Aushubarbeiten) üblich. Bauvorschriften mit relativ kurzen Übergangsfristen verschärfen die Lage, beklagt auch Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Zum Teil müssten die Bauwilligen drei bis vier Monate warten, bis die Arbeiten beginnen können. Auch in den Bereichen Heizungs- und Klimatechnik sowie Rohrleitungsbau herrsche ein Fachkräftemangel.

Knappe Baumaterialien verschärfen das Problem. Holz ist seit vielen Monaten knapp; große Mengen gehen in die USA, sagte Alexander Delmes, Mitinhaber vom Seevetaler Baustoffhandel Bauwelt Delmes Heitmann den Grundeigentümern. Auch Kunststoffe seien schwer zu bekommen. Ebenso Dämmstoffe. Selbst bei Produkten aus Mineral- und Steinwolle gebe es Lieferprobleme.