Schleswig. Die Urlaubsdestination ist gerade in den Sommermonaten extrem beliebt. Warum das ein Problem ist, und wie man gegensteuern will.

Als erste Urlaubsdestination in Deutschland will die Schleiregion dem Tourismus klare Grenzen setzen. Dies ist das Ergebnis eines neuen Gutachtens, das die Ostseefjord Schlei GmbH in Auftrag gegeben hat. „Wir haben uns die Frage gestellt, wie viel Tourismus zu uns passt, wenn wir die Schleiregion erhalten wollen, wie wir sie alle kennen“, sagt Max Triphaus, Geschäftsführer der Tourismusorganisation.

Herausgekommen ist, dass vor allem in Orten wie Kappeln und Arnis das Wachstum des Tourismus Grenzen brauche, weil sie bereits jetzt in den Sommermonaten überlaufen seien. Andere Orte wie beispielsweise Schleswig könnten in den kommenden Jahren dagegen durchaus weiter zulegen.

Schleiregion: Ziel der ist ein nachhaltiger Tourismus

Das Ziel der gesamten Region ist laut Triphaus ein nachhaltiger Tourismus. „Der ist aber nicht möglich, wenn wir zu schnell zu stark wachsen. Das hat das Corona-Jahr 2021 gezeigt, als wir Modell­region waren.“ Viele Besucher allein seien nicht unbedingt gut für die Region. „Mit Quantität und der damit einhergehenden Überlastung tun wir uns keinen Gefallen.“

Aus den Erfahrungen sei der Wunsch entstanden, gemeinsam mit der Bevölkerung einen Weg zu finden, der für alle gut ist, für die Gäste wie für die Einheimischen. Indirekt heißt das: An der Schlei sollen keine Zustände wie derzeit auf Sylt oder in St. Peter-Ording herrschen, wo es oft eng wird, wo Wohnraum für Einheimische zunehmend unbezahlbar ist und wo im Sommer lange Staus die Geduld aller auf die Probe stellen.

Triphaus ist vor allem das Zusammenspiel mit den Bewohnern der Region ex­trem wichtig. „Nur gemeinsam können wir langfristig erfolgreich sein“, sagt er dem Abendblatt. Also habe die Ostseefjord Schlei GmbH in einem ersten Schritt 2021 eine Online-Befragung mit 3600 Teilnehmern durchgeführt. Im vergangenen Jahr habe man zudem auf den Wochenmärkten der Region ein Stimmungsbild eingefangen.

Tourismus-Gutachten beleuchtet Verkehr, Natur und Wirtschaft

Das Beratungsunternehmen Project M und die Verkehrsplaner von Planersocietät wurden beauftragt, aus den Daten ein Tourismuskonzept für die Region zu erarbeiten. Dabei hätten sie die Schlei aus den Blickwinkeln Wirtschaft, Leben, Erlebnis, Verkehr und Natur betrachtet. „Grenzen des Wachstums – Konzept zur qualitativen Entwicklung und Selbstbeschränkung des regionalen Tourismus in der Region Ostseefjord Schlei“, heißt das nun vorgestellte Gutachten, das daraus im vergangenen Herbst entstanden ist.

Hier wird nicht nur ermittelt, wie die Lage derzeit ist und wie sie sich in den kommenden Jahren bis 2025 weiter entwickeln wird. Erstmals werden konkrete Vorschläge gemacht, wie kommunale Entscheidungsträger, Tourismusorganisationen und -betriebe den Tourismus in der Region nachhaltig machen können. „Zukünftig soll der Fokus rein auf einem qua­litativen Wachstum liegen, um den Ba­lanceakt zwischen Werterhalt der Marke Ostseefjord Schlei, der Qualität von Natur, Erlebnis- und Lebensraum und der Wertschöpfung aus dem Tourismus zu meistern“, sagt Peter C. Kowalsky, Projektleiter vom Beratungsunternehmen Project M. „Die Schleiregion erschließt damit Neuland im Deutschlandtourismus.“

Zahl der Unterkünfte in der Schleiregion beschränken

15 sogenannte Schlüsselprojekte, also konkrete Maßnahmen, werden in dem Gutachten genannt, um das Ziel eines nachhaltigen Wachstums zu erreichen. Sie sehen zum einen vor, die Zahl der Unterkünfte zu beschränken, an einigen Stellen sogar zurückzufahren. Zu diesem Zweck sollen beispielsweise Bebauungspläne angepasst werden. Außerdem soll eine Tourismusabgabe für die gesamte Region eingeführt werden. Erlebnisangebote sollen in der Nähe der bestehenden Unterkünfte ausgebaut werden, wie beispielsweise Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangebote.

Das Konzept sieht außerdem den Ausbau der allgemeinen Infrastruktur vor. Radwege werden gesondert genannt. Sie seien ein wichtiger Bestandteil für einen nachhaltigen Tourismus, so Triphaus. Dazu gehöre ein umfangreiches Angebot zum Radverleih, ein Sharing-System und die Möglichkeit, Räder auf den Schleischiffen und in den Bussen mitzunehmen. Die Bahnhöfe der Region sollen zu sogenannten Willkommensorten und Mobilitätsknotenpunkten ausgebaut werden. Insgesamt, so die Experten, sei es wichtig das ÖPNV-Angebot auszuweiten.

Schließlich gehört zu den Schlüsselprojekten auch noch das digitale Management des Tourismus. Mithilfe einer digitalen Gästekarte sollen zu große Besucherballungen an bestimmten Punkten vermieden und Touristenströme besser gesteuert werden. Zudem soll die Auslastung der Tourismusbetriebe automatisch erhoben werden. Außerdem spricht sich das Gutachten dafür aus, Marketingaktionen für nachhaltiges Reisen in den Vordergrund zu stellen, also beispielsweise für eine autofreie Anreise zu werben.

Verwunderung über Vorstoß der Tourismusorganisation

In den vergangenen Wochen hat Triphaus gemeinsam mit seinen Kollegen dieses Konzept nun in den Gemeinden, bei den Kreisen und auch auf Landesebene vorgestellt. „Die Reaktionen waren hauptsächlich positiv“, sagt er. Einige seiner
Gesprächspartner seien verwundert gewesen, dass ausgerechnet die Tourismusorganisation selbst sich für ein begrenztes Wachstum einsetze. „Ich sehe meine Aufgabe aber nicht in einer Erhöhung der Bettenkapazitäten“, sagt Triphaus. „Wir müssen den Tourismus als zentralen Baustein der Regionalentwicklung verstehen und dieses Konzept sichert den sozialen Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit des Tourismus an Schlei und Ostsee.“

Stolz ist Triphaus darauf, dass dem Konzept bereits erste Taten gefolgt sind. So hat die Kleinstadt Kappeln beschlossen, künftig keine Ferienvermietung mehr in neuen Wohngebieten zuzulassen. Zudem sollen Veränderungssperren eine Umwidmung von Häusern und Wohnungen in bereits bestehenden Baugebieten untersagen. „Auch andere Gemeinden sind dabei, unsere Empfehlungen umzusetzen“, so Triphaus. Er ist sich sicher, dass sich mit einem grenzenlosen Wachstum niemand einen Gefallen tue: „Nicht wirtschaftlich, denn in der Nebensaison steht dann vieles leer. Und nicht ökologisch, weil wir hier einen extrem sensiblen Lebensraum haben.“