Buxtehude. Nackte in der Stadt und Rudi Dutschke an der Halepaghenschule. Mehr zu den wilden Jahren der Kleinstadt gibt es nun zu Lesen.

Nackte in der Altstadt, eine flammende Rede des Studentenführers Rudi Dutschke in der Halepaghenschule, subversive Kunstaktionen und Udo Lindenbergs „Buxtehuder Jungs“: Ein neues Buch zeigt, wie wild es in Buxtehude früher zuging.

Das Cover des Buchs über Buxtehudes wilde Jahre ist rot – selbstverständlich. In der Zeit, die es betrachtet, gab es in der Stadt allein fünf kommunistische Vereinigungen. Wer den Bildband „Buxtehude – Die wilden 60er, 70er und 80er Jahre“ öffnet, wird förmlich in die aufmüpfig-rebellische Zeit dieser Jahrzehnte hineingesogen. Und fragt sich, wo Buxtehudes Revoluzzer-Potenzial eigentlich abgeblieben ist.

Die rebellische Seite des als Märchenstadt bekannten Buxtehude

Der bekannte Fotograf Dieter Klar und Bernd Utermöhlen, ehemaliger Stadtarchivar, haben sich zusammengetan, um den drei, in mancher Hinsicht entfesselten Jahrzehnten der Buxtehuder Stadtgeschichte ein Denkmal zu setzen und daran zu erinnern, was einst alles möglich war in diesem Ort, dessen Existenz im süddeutschen Raum immer noch von manchen bezweifelt wird und der mit Has’ und Igel und einem Hund, der mit dem Schwanz bellt, heute eher Märchenhaftes aufbietet.

Klars und Utermöhlens Buch zeigt ein ganz anderes Buxtehude: Eine Kleinstadt im Aufbruch. Mit unangepassten und aufmüpfigen Menschen, die alte Verkrustungen aufbrechen wollten und neue Wege suchten und fanden.

Die Autoren Dieter Klar (links) und Bernd Utermöhlen mit Dr. Maren Köster-Hetzendorf, Präsidentin des Kulturforums am Hafen e.V. 
Die Autoren Dieter Klar (links) und Bernd Utermöhlen mit Dr. Maren Köster-Hetzendorf, Präsidentin des Kulturforums am Hafen e.V.  © HA | Sabine Lepél

Ein Umbruch, der auch die Kunst und Kultur voranbrachte

Entstanden ist ein ungewöhnlicher Bildband, ein buntes Kaleidoskop von Schlaglichtern auf Menschen und Initiativen, die diese Zeit prägten. „Auf der einen Seite der Bürgerschreck, auf der anderen der Bürgeradel“, sagt Dieter Klar.

Der ehemalige Fotograf der Deutschen Presseagentur und Fotojournalist mit Ausstellungen im In- und Ausland war selbst Teil dieses wilden Buxtehude und gehörte – na klar – der erstgenannten Kategorie an: „Wir haben gesoffen, geraucht und gevögelt“, sagt er. Aber nicht nur das: Die jungen Wilden haben sich für einen Umbruch eingesetzt. Für mehr Kultur und Kultur für alle. Das macht Dieter Klar als Veranstalter des Internationalen Musikfestivals Buxtehude übrigens heute noch.

Ab 1966 machte Buxtehude bundesweit von sich reden

Das Buch basiert auf zwei von Klar und Utermöhlen erarbeiteten Ausstellungen, die in den vergangenen beiden Jahren im Kulturforum am Hafen zu sehen waren und die sich mit den „wilden Jahren“ sowie – anlässlich des 50-jährigen Bestehens des internationalen Jugendliteraturpreises Buxtehuder Bulle – mit dessen Initiator Winfried Ziemann und seiner Geschichte befassten.

„Die Ausstellungen fanden große Resonanz und haben die Gäste zu vielen Gesprächen und Erinnerungen angeregt“, sagt Utermöhlen. Aus den Materialsammlungen zu den beiden Ausstellungen und vielen nachträglich eingegangenen Zeitzeugenbeiträgen haben die beiden Ausstellungsmacher im Auftrag des Kulturforums Fotos, Texte und Dokumente zu dem außergewöhnlichen Buch zusammengestellt.

Udo Lindenberg besang in seinem Song „Reeperbahn“ 1978 „Jungs aus Buxtehude“ 
Udo Lindenberg besang in seinem Song „Reeperbahn“ 1978 „Jungs aus Buxtehude“  © Dieter Klar

Die Gründung des Buchpreises Buxtehuder Bulle

Kaum zu glauben, was in der beschaulichen Märchenstadt einst los war: Mit dem Modellprojekt zur Reform der gymnasialen Oberstufe, mit der Schüler und Schülerinnen mehr Wahlfreiheit erhielten, machte Buxtehude ab 1966 bundesweit von sich reden. 1968 kam der führende Kopf der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, nach Buxtehude, der in der Halepaghen-Aula eine flammende Rede hielt. Im Buch gibt es einen QR-Code, der zu einer Tonaufnahme der Rede führt. Utermöhlen hat sie zufällig bei seinem Zahnarzt, einem ehemaligen Halephagenschüler, aufgetan.

Ein größeres Stück ist dem Buchhändler Winfried Ziemann gewidmet, der den Jugendliteraturpreis Buxtehuder Bulle kreierte, der seitdem jedes Jahr für das beste Jugendbuch vergeben wird, ausgewählt von einer Jury, die sich – damals neu und einmalig – paritätisch aus Erwachsenen und Jugendlichen zusammensetzt. In seiner „Literaturhöhle“ empfing Ziemann Literaturnobelpreisträger und DDR-Literaten und sorgte damit für eine breite gesellschaftliche Diskussion.

Auch die Stadt brachte sich in das rege kulturelle Leben ein

Verschiedene Kunstinitiativen mischten das Buxtehuder Kulturleben auf, ab 1967 Dieter Klars „Kunstkiste“ und ab 1973 die „IG Kunst“. Der Verein Buxtehuder Kleinkunst-Igel holte ab 1978 hochkarätiges Kabarett nach Buxtehude und vergab jährlich den Kleinkunstpreis Buxtehuder Kleinkunst-Igel, verbunden mit dem beachtlichen Preisgeld von 5.000 Mark.

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Auch die Stadt brachte sich in das rege kulturelle Leben ein, in dem sie bereits 1976 ein Kulturamt einrichtete und das Kulturleben aktiv mitgestaltete, einen Förderpreis für Bildende Kunst vergab, Kulturwochen veranstaltete und – bis heute – für ein attraktives Theater- und Konzertprogramm auf der Halepaghen-Bühne sorgt.

Demonstranten, ein Nacktmodell, der Besitzer eines Sex-Shops in der Altstadt

In dem neuen Buch erhalten aber vor allem die Menschen eine Bühne, die das wilde Buxtehude ausmachten: Bekannte und weniger bekannte Künstler, Jazzfreunde, die Frau eines Stadtdirektors, die für feinstes Kabarett sorgte, Demonstranten, Kneipengänger, ein männliches Nacktmodell, der Besitzer eines Sex-Shops in der Altstadt oder die feierwütigen „Jungs aus Buxtehude“, die Udo Lindenberg in seinem Song „Reeperbahn“ 1978 besang und an deren Treiben Zeitzeuge Michael Dumkow in einem fast expressionistischen Beitrag erinnert.

Dieter Klar (Zweiter von links) und seine Mitstreiter von der legendären Kunstkiste. 
Dieter Klar (Zweiter von links) und seine Mitstreiter von der legendären Kunstkiste.  © Dieter Klar

Das Buch ist in Buxtehude sehr beliebt

„So wild wie diese Jahrzehnte waren, so wild ist das Buch zusammengestellt“, sagt Klar. Es ist mit vielen Fotos, Collagen, Zeitungsausschnitten und Zeichnungen illustriert, was offenbar gut ankommt: Der Bildband ist im Buchhandel bereits vergriffen und nur noch im Kulturforum am Hafen erhältlich.

„Schön wäre es, wenn es die Politiker der Stadt in die Hand nehmen würden und darüber staunen, was in Buxtehude alles möglich war“, wünscht sich Dieter Klar. „Es täte der Stadt gut, sich an ihr eigenwilliges und zugleich selbstbewusstes und aktives Erbe zu erinnern.“

„Buxtehude – Die wilden 60er, 70er und 80er Jahre“ – Fotos, Dokumente, Texte. Herausgegeben im Auftrag des Kulturforums am Hafen e. V. Buxtehude von Dieter Klar und Bernd Utermöhlen, Verlag Atelier im Bauernhaus, 163 Seiten, 24 Euro, erhältlich zurzeit nur im Kulturforum am Hafen, Hafenbrücke 1, 21614 Buxtehude, Telefon 04161/502556. Im Buchhandel vergriffen.