Stade. Bei „Schaumburg“ gibt es nur gute Bücher, viele Veranstaltungen und einen besonderen Tee. Auch eine Fernsehserie wurde hier gedreht.
Ein breit aufgestelltes Sortiment mit Romanen, Kinderbüchern, historischen Werken, Kochbüchern und Kunstbänden. Ein Kulturprogramm, das Autorenlesungen genauso umfasst wie Veranstaltungen mit Verlegern, Literaturkritikern und anderen Künstlern. Und dazu ein gut sortiertes Antiquariat und ein kleiner Verlag. All dies in einem Haus zeichnet die Buchhandlung Friedrich Schaumburg in Stade aus. Dafür wurde das Traditionsgeschäft jetzt mit dem Deutschen Buchhandlungspreis 2022 ausgezeichnet und gilt damit als eine der drei besten Buchhandlungen in Deutschland.
Zu den Besonderheiten zählt auch all das, was es hier nicht gibt: Keinen Tisch mit „Spiegel“-Bestsellern, keine Schlüsselanhänger, keine Schneekugeln, kaum Ratgeber und nur wenige ausgewählte Klassik-CDs. „Wir wollen, dass die Buchhandlung eine Buchhandlung bleibt“, sagt Inhaberin Heide Koller-Duwe, die den Familienbetrieb 1994 übernommen hat und gemeinsam mit ihrem Mann Sebastian Duwe führt. Schon dreimal wurden sie mit dem Preis bedacht und als „hervorragend“ empfohlen. In diesem Jahr gab es zum ersten Mal das Prädikat „Beste Buchhandlung“.
1840 eröffnete Friedrich Schaumburg die Buchhandlung in der Altstadt von Stade
Das Ehepaar hat das Geschäft mit viel Liebe zum Detail eingerichtet, bis unter die Decke reichen die Regale, teilweise sind die Bücher aus Platzgründen in mehreren Reihen hintereinander einsortiert. Das Fachwerkhaus an der Großen Schmiedestraße wurde um 1670 erbaut, 1840 eröffnete Friedrich Schaumburg hier die erste eigenständige Buchhandlung im Elbe-Weser-Raum. Aus dieser Zeit ist ein Teil der Einrichtung erhalten, wie die hölzerne Regalwand mit eingebauter Uhr gleich gegenüber der Eingangstür.
1902 übernahm der frühere Lehrling Heinrich Bremer die Buchhandlung, seine Enkelin Heide Koller-Duwe wuchs im selben Haus auf. „Wenn ich meinem Vater Gute Nacht sagen wollte, bin ich im Schlafanzug runter gekommen“, erzählt die Unternehmerin beim Gespräch in der Leseecke, einem dunkelroten Samtsofa im hinteren Teil des Geschäfts. Schon als Kind gab sie hier Buchtipps für junge Leser, als Jugendliche half sie beim Dekorieren des Schaufenster. Mit 16 verliebte sie sich in ihren heutigen Mann, der später als Praktikant in den Betrieb einstieg. „In der ersten Nacht habe ich geträumt, dass Bücher auf mich herabstürzen“, erzählt Sebastian Duwe mit einem Lächeln. Trotzdem blieb er den Büchern treu und ließ sich in Wolfenbüttel zum Buchhändler ausbilden.
Inhaberin Heide Koller-Duwe liebt die Literatur ebenso wie die Musik
Heute gilt seine besondere Leidenschaft dem Antiquariat, seine Frau kümmert sich um die Buchhaltung und pflegt sie engen Kontakt mit den Verlagen, darunter viele kleinere Betriebe. Zudem übernimmt sie regelmäßig die Buchvorstellungen. „Sie kann sehr gut über Bücher sprechen“, sagt Sebastian Duwe über seine Frau. „Genauso wie ihr Vater und ihr Großvater.“
Heide Koller-Duwe ist nicht nur in einem Haus voller Bücher aufgewachsen, sie machte auch ihre Lehre im Familienbetrieb – und absolvierte zudem ein Studium der Musik und Literaturwissenschaft. „Ich konnte mich damals nicht entscheiden und diese Verbindung aus beidem ist bis heute bereichernd“, sagt die 59-Jährige, die neben ihrer Arbeit in der Buchhandlung Blockflöten- und Klavierunterricht gibt. So wie die zierliche Frau auf dem historischen Sofa sitzt – den Rücken gerade, die Hände locker im Schoß – ist es nicht schwer, sie sich am Klavier oder mit einer Flöte in den Händen vorzustellen, die Noten fest im Blick, die Finger in scheinbar müheloser Bewegung. Ihre zwei Leidenschaften prägen auch das Veranstaltungsprogramm. „Wir versuchen oft, Musik und Literatur zu verbinden“, sagt Heide Koller-Duwe. „Leider ist das meistens aufwendig und kostspielig.“
Das Preisgeld beträgt 25.000 Euro – vor Steuern
Die Auszeichnung als „Beste Buchhandlung“ ist mit einem Preisgeld von 25.000 Euro verbunden. Zwar muss die Zahlung zunächst versteuert werden, doch auch danach eröffnet sie neue Möglichkeiten. „Solche Preise sind sehr hilfreich“, sagt Sebastian Duwe. „Man kann auch mal ein bisschen was verrücktes machen.“ Die Ideen des Teams, sechs Mitarbeiter und eine Auszubildende, für die Verwendung des Geldes reichen von einem Geschichtspfad durch den Laden, über Renovierungsarbeiten bis hin zu Veranstaltungen.
Kurzfristige Trends sind in der Buchhandlung Friedrich Schaumburg kein Thema, behutsame Veränderungen hat das Paar jedoch immer wieder vorgenommen. Während der Pandemie haben sie begonnen, ihre Kunden mit kleinen Videos auf dem Laufenden zu halten. Im Adventskalender auf ihrer Internetseite gibt es jeden Tag einen Buchtipp per Youtube-Video. Das Digitale verstehen sie als Ergänzung der analogen Buchwelt. „So entsteht immer mehr Neues“, sagt Heide Koller-Duwe. „Aber wir denken, dass das Buch nie sterben wird. Das Digitale ersetzt nicht den Besuch vor Ort. Hier geht es um das Erleben, das Begreifen, darum, die Dinge in die Hand zu nehmen.“ Deshalb freut sie sich auch, dass Verlage wieder mehr schöne Bücher herstellen, mit Leineneinband oder Lesebändchen.
Mehr als 370 Veranstaltungen haben die Buchhändler bereits organisiert
Besonders glücklich sind die beiden über ihre Ausstellungsfläche, die sie vor drei Jahren an einer Wand eingerichtet haben. Bis Ende des Jahres sind hier Original-Zeichnungen der Heinzelmännchen von Klaus Ensikat zu sehen. Im Januar wird Barbara Yelin Zeichnungen aus „Aber ich lebe“ ausstellen, eine Graphic Novel über Überlebende des Holocausts. Das Kulturprogramm ist fester Bestandteil der Jahresplanung, mehr als 370 Veranstaltungen haben die Buchhändler bereits organisiert. Unter dem Titel „Schaumburg-Variationen“ laden sie regelmäßig zu Lesungen und Buchvorstellungen für Kinder und Erwachsene, sie haben ein Debütanten-Fest initiiert und einen Schreibwettbewerb für Kinder und Jugendliche
Wenn der Laden 200 Jahre alt wird, wollen sie selbst als Gäste mitfeiern
Ihre Ideen für neue Formate entwickeln sie gemeinsam im Gespräch. Allein die Entscheidung falle manchmal schwer, sagt Heide Koller-Duwe. „Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, schlafen wir eine Nacht drüber. Zum Glück konnten wir uns bisher immer einigen.“ Vor Kurzem haben sie beim Literarischen Frühstück auch ihren Samowar aufgestellt, nach langer Corona-Pause soll er nun wieder jeden Sonnabend die Kunden mit heißem Tee versorgen. Die „Schaumburg-Mischung“ war die Idee eines befreundeten Teehändlers, sie zeichnet sich durch ihre besondere Vielseitigkeit aus.
Der Tee gehört auch zu ihrem kleinen Ritual am Sonnabendnachmittag, wenn die Buchhandlung geschlossen ist. Dann machen sie gemeinsam eine Pause und genießen den Schwarztee – je nach Stimmung mit Milch, Kandis oder Zitrone. Noch denken die beiden nicht ans Aufhören. Ihre 182 Jahre alte Buchhandlung wollen sie weiterhin so führen und in ihren Besonderheiten pflegen, dass sie auch für die Zukunft gerüstet ist. Aber irgendwann würden sie das Thema Nachfolge angehen müssen, sagt Heide Koller-Duwe. „Natürlich würden wir gern das 200. Jubiläum als Gäste hier mitfeiern.“
Buchhandlung ist Drehort für Miniserie „Neuland“
Die Buchhandlung Schaumburg ist derzeit auch in der ZDF-Serie „Neuland“ zu sehen. Im Sommer 2021 drehte das Filmteam in den Räumen einen Teil der Miniserie, die in der fiktiven Kleinstadt Sünnfleth und in Hamburg spielt. Eine Frau verschwindet und lässt nicht nur den Co-Inhaber ihrer Buchhandlung ratlos zurück, sondern auch ihre Kinder, ihre eilig angereiste Schwester und Freundinnen. Im Verlauf der Miniserie tun sich diverse Abgründe in den miteinander verbundenen Familien auf. „Neuland“ ist in der Mediathek des Senders abrufbar. Die sechs Folgen werden auch im Fernsehen gezeigt: am 27. und 28. Dezember, jeweils 22.15 Uhr.
Claudia Roth würdigt die Preisträger bei Verleihung in Augsburg
Der Deutsche Buchhandlungspreis wird seit 2015 jährlich vergeben. In diesem Jahr erhielten außer der Buchhandlung in Stade auch die „Schatzinsel“ in Bernau und „Logbuch“ in Bremen die höchste Auszeichnung, die mit einem Preisgeld von 25.000 Euro verbunden ist. Weitere fünf Läden wurden als „Besonders herausragende Buchhandlung“ geehrt und erhielten jeweils 7000 Euro, hundertmal wurde das mit 15.000 Euro dotierte Prädikat „Hervorragende Buchhandlung“ vergeben. 2019 erhielt die Buchhandlung Slawski in Buchholz einen der drei ersten Preise.
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, hat die Preise am 30. Oktober in Augsburg vergeben. Zur Auswahl der Jury sagte sie: „Wer eine Buchhandlung betritt, wird nicht immer eine fachkundige, engagierte und freundliche Beratung benötigen, aber er wird sie für den Fall erwarten, dass er sie benötigt. Das erst macht die gute, die unentbehrliche Buchhändlerin und den guten, unentbehrlichen Buchhändler aus.“
Heide Koller-Duwe erinnerte an ihren Großvater, der die Buchhandlung durch zwei Weltkriege geführt hatte. „Diese herausragende Anerkennung ist uns Ansporn, auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.“