Kiel. Mit Direktmandat: Seyran Papo sitzt als einzige CDU-Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Kieler Landtag. Eine Bilanz.
Sie ist eine von 20 Millionen. So viele Menschen mit Migrationshintergrund leben in etwa in Deutschland. Die Frau heißt Seyran Papo, ist 34 Jahre jung und die einzige CDU-Abgeordnete mit Migrationshintergrund im schleswig-holsteinischen Landtag. Sie ist die Überraschungssiegerin der Wahl von Anfang Mai.
Jetzt blickt die zuvor selbstständige Dolmetscherin und Übersetzerin zurück auf die ersten Monate im Parlament, in das sie es nur geschafft hat, weil sie den Wahlkreis Kiel-Ost direkt gewonnen hat. Das ist SPD-Kerngebiet und galt den Sozialdemokraten als sichere Bank – wie immer zuvor. Doch es kam zum Novum für die CDU und zur Schmach für die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli, die hier ebenfalls direkt kandidiert hatte.
Seyran Papo: Mit acht Jahren nach Deutschland geflohen
Sie sei Deutsche mit kurdischen Wurzeln, sagt Papo von sich. Mit acht Jahren ist sie mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen. Hier ist sie aufgewachsen, hier hat sie sich die fremde Sprache erst einmal selbst beigebracht, hier hat sie später die Staatsbürgerschaft erhalten. „Dennoch bleibt meine Vergangenheit ein Teil von mir“, sagt Papo. Und den lasse sie in ihre politische Arbeit einfließen.
Die Frau verantwortet in der CDU-Fraktion die Themen Integration und Flüchtlingspolitik. „Wenn man zwei Heimaten hat, kann man auf das beste aus zwei Welten zurückgreifen“, sagt sie.
Seyran Papo ist stolz auf ihre Eltern
Die 34-Jährige hatte sich auf einen wenig aussichtsreichen Wahlkampf eingelassen – die CDU platzierte Papo auf Listenplatz 18 – und die Familie dabei eingespannt. Die hängte Plakate auf, verteilte Flyer, unterstützte Papo mental, wenn es mal nicht lief. Am Ende lief es dann doch. „Die Familie ist stolz auf mich und darauf, dass ich unsere gemeinsame Erfahrung als Familie mit Zuwanderungsgeschichte in die Politik trage.“
Stolz ist die Migrantin auch auf ihre Eltern: Dass die es geschafft haben, sich in Deutschland zu integrieren und mit einem Imbiss eine Existenz zu gründen. „Das zeigt, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichten sich hier in Deutschland etwas aufbauen können.“
Papo: Deutsche Bürokratie erschwert den Integrationsprozess
Papo stellt bei den meisten Geflüchteten einen großen Willen zur Integration fest. „Sie bewegen sich in dem Rahmen, den wir ihnen geben. Leider werden ihnen allzu oft von behördlicher Seite Steine in den Weg gelegt“, sagt die 34-Jährige. So seien die „vielen Formulare und Fristen“ häufig schwer verständlich und geeignet, den Integrationsprozess deutlich zu verlangsamen.
Zudem müssten „ausreichend differenzierte Sprachkurse zur Verfügung stehen, auch mit angegliederter Kinderbetreuung. Insbesondere die Sprache ist wichtig, um Grenzen zu überwinden.“Um Integration zu fördern, sollte Geflüchteten geholfen werden, schnell im passenden Job Fuß zu fassen.
„Hierfür muss Bürokratie abgebaut, Abschlüsse müssen anerkannt oder Möglichkeiten zur Nachqualifikation geschaffen werden“, forderte die für Flüchtlingspolitik zuständige Sprecherin der CDU. „Integration ist ein Zusammenspiel zwischen Staat und Migrantin bzw. Migrant.“
Papo engagierte sich früher bei der Linkspartei
Dass sie jemals in dieser Partei Karriere machen könnte, schien vor wenigen Jahren unvorstellbar. Anfang der 2010er-Jahre hatte die junge Kurdin noch bei den Linken mitgemischt, was sogar dem Verfassungsschutz eine Notiz wert war. In jener Anfangsphase ihres politischen Engagements habe sich die Linkspartei halt stark um Menschen mit Migrationshintergrund bemüht, erzählt Papo. Die CDU hingegen habe erst im Laufe der Zeit das Potenzial geregelter Zuwanderung erkannt.
Inzwischen engagiert sich Seyran Papo in der Union – vor allem wegen der innen- und sicherheitspolitischen Positionierung der Partei. So ist die junge Frau in ihrer Einstellung zur Drogenpolitik knallhart: Drogen gehörten nicht auf die Straße, sondern in die Asservatenkammer, hatte sie im Wahlkampf plakativ formuliert.
"In meinem Wahlkreis befindet sich mit Kiel-Gaarden ein Stadtteil mit großer Drogenszene. Ich setze mich dafür ein, dass Süchtigen geholfen wird und dass Dealer bestraft werden.“ Papo nennt das einen Zweiklang, um den Menschen vor Ort zu helfen.
Papo: CDU im Kieler Landtag zu wenig divers
Die CDU biete ihr als „modern-konservative Frau“ eine politische Heimat, sagt sie. „Die CDU ist konservativ. Aber nicht im Sinne von ,rückwärtsgewandt‘, sondern von ,werteorientiert‘.“ In ihrer Partei gilt die 34-Jährige als Hoffnungsträgerin, mal in ganz neue Gesellschaftsschichten vorstoßen zu können. Papo ist jung, weiblich, migrantisch, bestens integriert, konservativ. Nur, was in der Aufzählung fehlt: Papo ist ein Einzelfall in der schleswig-holsteinischen CDU. Ein Singulär. Eine Exotin.
Männer von hier sind weit in der Mehrheit. Eine einzige CDU-Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Landtag – ist das nicht ein bisschen wenig? Frau Papo sagt Ja. „Das ist definitiv zu wenig. Wir müssen mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund davon überzeugen, in der CDU mitzuarbeiten und auch Ämter in höheren Positionen zu übernehmen. Ich hoffe, ein Vorbild zu sein und mehr Menschen dazu motivieren zu können.“
Papo: „In der Politik gibt es viel zu wenig Frauen"
Trotz paritätisch aufgestellter Landesliste – die hatte CDU-Chef und Ministerpräsident Daniel Günther durchgesetzt – sitzen auch nach der Wahl wieder deutlich mehr Männer für die CDU im Parlament: Die Union hatte vor Ort, also in den sicheren Wahlkreisen, halt vor allem Männer aufgestellt. Bis eine CDU-Fraktion die Gesellschaft als Ganzes abbilde, warte „noch viel Arbeit auf uns“, sagt Frau Papo.
„In der Politik gibt es viel zu wenig Frauen, und das liegt nicht daran, dass Männer besser oder kompetenter sind, sondern daran, dass Frauen es schwerer haben, Job, Ehrenamt und Familie zu vereinbaren. Wir müssen daran arbeiten, diese Rollenbilder nachhaltig zu verändern.“
Solidarität mit Demonstrantinnen im Iran gefordert
Neben der schwarzen Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) und der türkischstämmigen Sozialdemokratin Serpil Midyatli, die zwar den Wahlkreis vergeigt hatte, aber über die SPD-Liste in den Landtag eingezogen war, gilt Papo vielen Migrantinnen als Vorbild. „Neben den Zuwanderungsgeschichten verbindet uns die Tatsache, dass wir drei Frauen sind, die an sich geglaubt und für ihre Ziele gekämpft haben und das immer noch tun.“
In einer ihrer ersten Reden vor dem ungewohnten Plenum hat Papo Solidarität mit den Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran gefordert – unter großem Beifall auch der Opposition. Der Zwang zum Kopftuch sei Ausdruck der Unterdrückung der Frauen im Iran, sagte die Kurdin dem Abendblatt.
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"Was die Frauen dort tun, braucht eine Menge Mut. Aber die Menschen nehmen zu Recht nicht hin, dass ein schief sitzendes Kopftuch einer jungen kurdischen Frau das Leben gekostet hat. Die Sittenpolizei und das Mullahregime stehen mit dem Rücken zur Wand. Aber ich frage mich: Wie steht es um die feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock? Da sollte von Deutschland und von der Außenministerin noch mehr kommen“, sagt Seyran Papo.