Kiel. Schleswig-Holsteins Innenministerin Sütterlin-Waack lobt Unterstützung der Menschen und spricht über die Integration von Geflüchteten.

Die Hilfsbereitschaft in Schleswig-Holstein ist überwältigend. Und sie ist auch bitternötig. Ohne das Engagement für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine wären Kommunen und Land endgültig überfordert. Die Erstaufnahmestellen sind überfüllt, Folgeunterkünfte fehlen. Allein eine Zahl zeigt die Dimension der Hilfsbereitschaft: 10.000 Schleswig-Holsteiner bieten an, Flüchtlinge aufzunehmen.

Bis zu 90 Tage dürfen sie erst einmal ohne Visum in Deutschland sein. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack geht davon aus, dass viele Geflüchtete dauerhaft bleiben werden. Im Interview mit dem Abendblatt spricht sie über deren Integration, fehlenden Wohnraum und ihre Dankbarkeit den Schleswig-Holsteinern gegenüber.

Hamburger Abendblatt: Frau Sütterlin-Waack, hat Ihr Ministerium noch einen genauen Überblick, wie viele Flüchtlinge in Schleswig-Holstein Schutz gesucht haben?

Sabine Sütterlin-Waack: Wir wissen, wer derzeit in unseren Landesunterkünften registriert ist. Aktuell sind es etwa 2000 Personen. Aber es kommen nach wie vor immer noch ganz viele Menschen zu uns, die bei Freunden, Angehörigen oder Bekannten unterkommen, die wir dann nicht zählen können.

Wer sind die Personen, die Sie registrieren?

Sütterlin-Waack: Das sind überwiegend Frauen und Kinder, nur ganz wenige Männer kommen zu uns. Und wenn es Männer sind, sind es meist ältere oder nicht ganz gesunde Männer.

Krieg in der Ukraine: Schutzkonzept für Frauen

Wie wollen Sie die Frauen vor Übergriffen schützen?

Sütterlin-Waack: Unsere Erstaufnahmeeinrichtungen haben ein sehr gutes Schutzkonzept für Frauen entwickelt. Ansonsten versuchen wir, die Menschen frühzeitig aufzuklären, weisen insbesondere die Frauen darauf hin, dass es leider auch in Deutschland nicht nur gut meinende Menschen gibt; dass es wenige gibt, die versuchen könnten, die Notlage der Frauen auszunutzen. Bislang liegen uns keine Hinweise auf Zwangsprostitution in Schleswig-Holstein vor. Das heißt aber nicht, dass es die nicht gibt. Deshalb müssen wir am besten schon in den Bussen die Menschen vor der Gefahr warnen.

Der Zustrom aus dem Osten ist ungebremst und unkontrolliert. Wie kann und muss man ihn steuern, um Kommunen und Länder nicht komplett zu überfordern?

Sütterlin-Waack: Innerhalb Deutschlands findet jetzt eine Verteilung statt. Zunächst haben vor allem die Stadtstaaten sehr viele Menschen aufgenommen, Berlin vorneweg. Jetzt müssen sie gerecht auf die anderen Bundesländer verteilt werden. Das steuert der Bund seit Ende vergangener Woche besser. Die Solidarität der Länder ist groß. Auch vor dem großen Interesse der Geflüchteten, in den Städten zu bleiben, müssen wir ihnen jetzt sagen, dass sie überall in Deutschland gleich gut untergebracht sind. Wir müssen die Verteilung steuern, landesweit haben wir in Schleswig-Holstein deshalb Quoten für die einzelnen Kreise. Auch wenn die Verteilung aktuell vielleicht nicht immer 100-prozentig funktioniert.

Großes ehrenamtliches Engagement im Norden

Bürgermeister berichten, dass die Kommunen ohne private Hilfe hoffnungslos überfordert wären. Nur weil so viele Menschen Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen oder Wohnraum zur Verfügung stellten, sei die Unterbringen aller möglich. Tut das Land genug, um die Kommunen zu unterstützen?

Sütterlin-Waack: Eine solche Lage ist immer die Zeit der Macher. Wir tun, was wir können. Unsere Kräfte im Ministerium und im Landesamt für Zuwanderung arbeiten derzeit am Limit, um alles so gut wie irgend möglich zu koordinieren. Sobald die Kriegsflüchtlinge in den Kommunen sind, unterstützen wir als Land weiterhin mit all unserer Kraft und natürlich auch mit Geld. Die Hilfe vor Ort leisten vor allem die Kommunen und die bestens vernetzten Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. Dort kennt man die Gegebenheiten am besten. Es ist top, was die zusammen auf die Beine stellen. Ich kann nur da sein, Mut zusprechen, zuhören, Anregungen mitnehmen und wenn möglich umsetzen, und natürlich loben. Und das aus vollem Herzen, weil sie es wirklich gut machen. Sofern es in den Kommunen Probleme gibt, beispielsweise beim Aufbau von Notunterkünften, können diese bei unserem interministeriellen Leitungsstab gemeldet werden. Dann wird über das THW oder andere Organisationen für Hilfe gesorgt.

Tut der Bund genug, um die Länder zu unterstützen?

Sütterlin-Waack: Wir müssen alle gemeinsam eine riesige Aufgabe stemmen. Und das tun wir auch. Sie werden von mir in einer solchen Lage keine Kritik am Bund hören.

10.000 Familien wollen Geflüchtete aufnehmen

Die ehrenamtliche Hilfe erinnert stark an die frühe Phase der Flüchtlingskrise 2015. Wie lange lässt sich ein solches Engagement aufrechterhalten?

Sütterlin-Waack: Ich hoffe, solange es nötig ist. Das Engagement ist überwältigend, die Ehrenamtler sind hoch motiviert. Hätten Sie vor vier Wochen gesagt, dass sich 10.000 Schleswig-Holsteiner melden und eine private Unterbringung von Geflüchteten anbieten, ich hätte das nicht geglaubt. Die Menschen bei uns öffnen in der Not ihre Wohnungen und Häuser für andere – das ist sehr berührend. Wir sind allen, die helfen, sehr dankbar.

Sie reaktivieren jetzt Reserve-Erstaufnahmestellen von 2015/2016 . Das sind aber nur Notlösungen. Wie lange sollen die Flüchtlinge hierbleiben, wo sollen sie dann hin?

Sütterlin-Waack: Unsere Landräte sprechen, Stand jetzt, von wenigen Tagen in der Erstaufnahme. Spätestens nach vier bis fünf Tagen sollen die Leute von den Kommunen aufgenommen werden und in Privatunterkünften oder leer stehenden Wohnungen unterkommen.

Einige Ukraine-Geflüchtete werden bleiben

Gehen Sie in Ihren Planungen davon aus, dass die Geflüchteten aus der Ukraine für längere Zeit bei uns bleiben oder dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn Putins Armee den Angriff einstellt?

Sütterlin-Waack: Ich wäre froh, wenn ich das beantworten könnte. Wenn ich die Bilder der zerstörten Städte sehe, fehlt mir die Vorstellungskraft, dass alle Menschen schnell zurückkehren werden. Ein Großteil dürfte nach Ende des Krieges heimkehren wollen, aber ein Teil wird sicher hierbleiben.

Wenn Sie davon ausgehen, dass viele Geflüchtete bleiben werden, müssen Sie dann nicht sofort mit deren Integration beginnen?

Sütterlin-Waack: Die wichtigsten Integrationsfaktoren sind Sprache und Arbeit. Deshalb bieten wir überall Sprachkurse an …

Geflüchtete müssen schnell arbeiten können

Viele Ukrainer sind gut ausgebildet. Nur: Erkennen wir deren Abschlüsse auch an und integrieren die Menschen entsprechend ihrer Qualifikationen in den Arbeitsmarkt?

Sütterlin-Waack: Das ist manches Mal ein mühsamer Vorgang. Darin sind wir immer wieder sehr deutsch und prüfen alles genau. Wir müssen dafür sorgen, dass die Geflüchteten rasch arbeiten können, insbesondere in den Berufen, in denen wir einen großen Fachkräftemangel haben, also beispielsweise in der Krankenpflege oder der Gastronomie. Und das auch in Teilzeit, wenn sie sich noch um ihre Kinder kümmern müssen. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder in die Kita oder Schule gehen können.

Knapp sieben Jahre nach der großen Flüchtlingswelle leben immer noch damals zu uns Gekommene in provisorischen Unterkünften. Wie wollen Sie auf dem Wohnungsmarkt den aktuellen Zuzug meistern?

Sütterlin-Waack: Das ist eine große Herausforderung. Wir müssen uns damit beschäftigen, unsere Abteilung „Bauen und Wohnen“ arbeitet auch an diesem Thema. Aber wir haben noch kein Konzept. Jetzt, im ersten Schritt, müssen wir die Menschen erst einmal aufnehmen und versorgen. Dann folgen Schritt zwei und drei.