Pinneberg. Die schrecklichen Nachrichtenbelasten viele Menschen. Eine Therapeutin gibt Rat – ein Pastor hat sieben Tipps.

Der Krieg in der Ukraine beherrscht die Medienlandschaft, die Gespräche mit Familie, Freunden oder Arbeitskollegen, und er sorgt bei vielen Menschen für unruhige Träume. Der Strom schrecklicher Bilder aus den Krisengebieten und immer neuer Hiobsbotschaften von vorderster Front ist einer, der nicht abreißen will.

Kein Wunder also, dass viele Menschen auch hierzulande emotional unter den Kriegsgeschehnissen leiden. Sie lassen ungeahnte Ängste entstehen oder längst überwunden geglaubte zurückkehren. Die Furcht davor, dass der Krieg sich nicht bald stoppen lässt, er sich nach Westen ausweitet, oder dass Putin seine in Stellung gebrachten Nuklearwaffen einsetzt, macht sich breit. Wie sollten wir der Angst begegnen?

Zunächst hilft es, sich darüber klar zu werden, dass Angst nicht allein Ballast ist. Vielmehr hat sie eine überlebenswichtige Funktion und ist ganz natürlich. „Furcht kann eine Orientierungshilfe bieten und hat ihre Berechtigung“, so formuliert es Thomas Drope, Propst im Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein. Am Ende gründe jede Angst auf den Überlebenstrieb des Menschen, sagt auch Anke Des­ka, Heilpraktikerin für Psychotherapie in Pinneberg.

Allerdings seien die meisten Menschen in Deutschland nicht akut vom Kriegsgeschehen bedroht, wendet sie ein. Daher ist die nervenzehrende und energieraubende Angst nicht immer begründet. „Wir füttern sie aber jeden Tag, zum Beispiel mit Nachrichten und Bildern. Die lösen dann die Emotion aus – wir produzieren unsere Angst gewissermaßen selbst“, erklärt Deska. Das heiße aber nicht, dass der völlige Verzicht auf Nachrichten aus den Kriegsgebieten der Königsweg aus der Angst wäre, sagt die Heilpraktikerin: „Man muss sich natürlich informieren und Bescheid wissen. Wichtig ist es nur, seine Emotionen danach zu sortieren. Außerdem schalte ich den Fernseher auch schnell mal ab, wenn ich merke, dass die Nachrichten mir alle Energie und Kraft nehmen.“ Zu bemerken, wann die Informationen einem nicht mehr gut tun und den Nachrichtenkonsum dann zu stoppen, sei das A und O.

Auf der A 7 die erste Ausfahrt Richtung angstfrei

Eine besonders angstlösende Strategie hat Pastor Martin Lorenz parat: Das „Konzept A 7“. Es wurde von der Feuerwehrseelsorge der Nordkirche, Freiwilligen Feuerwehren und Hilfsorganisationen gemeinsam entwickelt – in großen Teilen auf der namensgebenden Autobahn. Sieben Hinweise umfasst der Aktionsplan-Angstfrei, wie der Pastor, der in der Emmaus-Kirchengemeinde in Norderstedt auch als Seelsorger tätig ist, erzählt. „Die sieben Tipps lauten wie folgt“, sagt er: „Bewegen Sie sich mehr als sonst. Planen Sie etwas Schönes. Gönnen Sie sich etwas Gutes – ausgenommen Alkohol und andere Drogen. Bekommen Sie etwas fertig, und wenn es nur Rasenmähen ist. Kommen Sie unter Leute. Suchen Sie einen ruhigen Ort auf, und rufen Sie einen Profi zur Hilfe, wenn das alles nichts bringt.“

Die Reihenfolge der Tätigkeiten spiele dabei keine Rolle, und auch um Lust gehe es hier nicht: „Es geht darum, dass man’s macht – nicht, dass man’s will“, betont der Geistliche. Seit 15 Jahren werde das A-7-Konzept erfolgreich in der Feuerwehrseelsorge genutzt, es basiere auf neurophysiologischen Forschungen.

Eine weitere Möglichkeit, insbesondere dem Gefühl der Hilflosigkeit zu entgehen, ist es, ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Das kann auf Demonstrationen oder beim Friedensgebet passieren, meint Propst Drope. „Sogar ein Kerzenlicht im Fenster reicht aus, um zu zeigen: Ich fühle mit, ich denke an euch“, sagt er.

Selbst jetzt: Ein bisschen Spaß muss sein

Gläubigen könnten auch Bibel-Psalme Trost spenden, meint der Propst. Diese seien schließlich in Notsituationen entstanden. Allen, die mit der Bibel nichts am Hut haben, legt er Mutmachertexte von Udo Lindenberg ans Herz. Neben Gott könne auch er helfen, „Durch die schweren Zeiten“ zu kommen – etwa mit dem gleichnamigen Song.

Doch ist Popmusik jetzt wirklich angebracht? Darf ich mich vergnügen, während unzählige Ukrainerinnen und Ukrainer Todesängste durchleben? „Ja, dafür sollten wir uns nicht schuldig fühlen“, ist sich Propst Drope sicher. „Wir sollten die gute Energie aus den glücklichen Stunden nutzen, um sie gegen den Hass und das Böse zu setzen“, sagt er. Niemandem wäre geholfen, verfielen wir alle in tiefe, langanhaltende Trauer.

Heilpraktikerin Anke Deska appelliert sogar, sich ganz bewusst ins Gedächtnis zu rufen, wie gut es einem geht, um Kraft zu schöpfen. Überhaupt gehe es vor allem um das Sich-bewusst-Werden, um das Wahrnehmen der eigenen Gefühle: „Wir müssen erkennen, dass wir für unsere Angst selbst verantwortlich sind, dass wir sie selbst produzieren und deshalb die Macht haben, sie loszuwerden. Wer das nicht alleine schafft, kann sich immer einen Therapeuten oder Coach suchen“, sagt sie.

Deska selbst öffnet derzeit immer mittwochs einen Zoomraum, in dem Sorgen und Ängste bezüglich des Ukrainekriegs angesprochen und gemeinsam bewältigt werden können. Die Teilnahme ist kostenlos.