Oldenburg. Spektakulärer Fund bei Grabungen an der zukünftigen Bahntrasse zum geplanten Ostseetunnel im schleswig-holsteinischen Oldenburg.
Schaufel um Schaufel graben die archäologischen Helfer. Dann stoßen sie auf einen Fund. „Miri“, ruft einer von ihnen der Grabungsleiterin zu. „Mensch!“ Zwischen Tausende Jahre alten Holzpfählen haben Experten des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein bei Oldenburg (Kreis Ostholstein) Überreste von acht menschlichen Schädeln ausgemacht. Dieses Mal ist es ein Unterkiefer samt Zähnen. „Das ist ein wirklich spektakulärer Fundplatz“, sagt Grabungsleiterin Mirjam Briel.
Rund 30 sogenannte Rettungsgrabungen hat die Deutsche Bahn im östlichen Schleswig-Holstein finanziert. Denn die Archäologen graben an lohnenswerten Punkten entlang der 80 Kilometer langen künftigen Bahntrasse zum geplanten Ostseetunnel. „Wir sichern die Bodendenkmäler, bevor sie durch die Bahntrasse zerstört werden“, sagt Projektleiter Erich Halbwidl vom Archäologischen Landesamt. Meist laufen fünf Grabungen parallel, denn nur noch gut ein Jahr haben sie Zeit. „Bis Ende 2019 müssen wir fertig sein.“
Die Grabung bei Oldenburg ist das spektakulärste Projekt. Zunächst waren die Experten „nur“ von einer einfachen Steganlage ausgegangen. Doch unter einer mehrere Meter dicken Torfschicht machten sie in den vergangenen Monaten immer mehr Entdeckungen, verlängerten die Grabungen deshalb.
Hohe wissenschaftliche Bedeutung
„Wir haben mittlerweile 140 Holzpfähle ausgegraben, die mehrere Pfostenreihen gebildet haben“, sagt Briel. Außerdem wies sie mehr als 300 Staken nach. Möglicherweise sind es Reste von Fischfanganlagen. Nachweislich dienten einige aber auch zum Fixieren der Wege. Sie misst dem Fund eine wissenschaftlich hohe Bedeutung bei: „Es deutet vieles darauf hin, dass es sich um eine Steganlage aus der Jungsteinzeit handelt.“ Denn dort, wo heute eine Moorlandschaft ist, war früher einmal Wasser. Und die Ausmaße der steinzeitlichen Funde sind groß.
Rund 30 Meter lang war die etwa 3600 Jahre alte Steganlage. An den Wegeresten fand Briels Team auch eine vollständige Wagenachse aus Holz sowie Reste weiterer Achsen. Fasziniert ist die Archäologin von einem der jüngsten Funde. „Es handelt sich um einen Baumstamm mit einer Rinne in der Mitte, der genau im Uferbereich lag.“ Dieser war mit Hilfe von Staken und Pfosten fixiert. „Deshalb denken wir, dass es sich möglicherweise um eine Slipanlage für Boote handelt.“
Gefunden haben die Archäologen auch etliche Steinwerkzeuge sowie Tierknochen und Teile menschlicher Schädel. „Zu deren Alter können wir noch nichts sagen“, sagt Briel. Hinweise auf einen Opferplatz im Moor gebe es nicht. Wahrscheinlicher sei, dass die Schädel von einem frühzeitlichen Friedhof stammen und durch eine Flut an die Fundstelle getrieben wurden.
Die Ausgrabungen finden im Oldenburger Bruch statt, einem vor mehreren Tausend Jahren verlandeten Fjord. Der Ort sei aus Sicht der damaligen Menschen ideal gelegen gewesen, mitten zwischen zwei Anhöhen und nahe am Meer. „Wir vermuten, dass in der Nähe eine größere Siedlung gewesen sein könnte, vermutlich auf einer der Geländekuppen“, sagt Briel. „Sie wollten ja keine nassen Füße kriegen.“
Organisches Material ist gut erhalten
Stimmt Briels These, handelt es sich um eine der ältesten Siedlungen Schleswig-Holsteins. Ein Nachweis dieses Steinzeitortes ist wegen der Erosion und jüngerer Siedlungen an gleicher Stelle schwierig. „Denn es gab in der Jungsteinzeit nicht so viele Siedlungsplätze in Norddeutschland“, sagt sie.
Das Gelände bei Oldenburg bot aber nicht nur den Menschen in der Steinzeit und dem Übergang zur Bronzezeit Vorteile, auch die Archäologen profitieren davon. „Wegen der mehrere Meter mächtigen Torfschichten ist das organische Material hier besonders gut erhalten“, sagt die Spezialistin für Feuchtboden-Archäologie. Und tatsächlich sehen die Lindenhölzer aus, als habe man sie erst vor nicht allzu langer Zeit in den Boden gerammt. Doch das Rätsel um Schleswig-Holsteins möglicherweise älteste Siedlung wird weiter bestehen bleiben. Denn die Archäologen sind bei ihrer Arbeit beschränkt auf den künftigen Verlauf der Bahntrasse. „Deshalb ist es relativ unwahrscheinlich, dass wir die noch finden werden.“