Hamburg. Seine Produkte sind international gefragt – alle Lampen werden vom Firmengründer vor den Toren Hamburgs entworfen.

In Rellingen ist ein Ufo gelandet. In einem Gewerbegebiet am Rande der Stadt, zwischen Autolackiererei, Baustoff- und Getränkehandel, hat ein futuristisches Firmengebäude in Form einer Doppelröhre festgemacht: Hier werden Standards der Beleuchtungsindustrie gesetzt, Design-Ikonen erfunden und die Zukunft der Lichts ausgeleuchtet. Hier ist seit 1998 das Unternehmen Tobias Grau zu Hause. Das Gebäude der Architekten Bothe Richter Teherani ist ein wenig wie der Unternehmer Grau selbst – innovativ, kreativ, perfektionistisch.

Tobias Grau hat die komplette Inneneinrichtung des Büros selbst entwickelt. „Ästhetisch hat es sich super gehalten, das könnte man heute wieder so bauen“, sagt Grau selbstbewusst. Die Röhre von Teherani mag 20 Jahre alt sein, das Design wirkt tatsächlich zeitlos. Die Schränke sind aus gebürsteter Eiche, die Decke aus Aluminiumblechen, große Fensterflächen machen den Bau licht und hell. Sogar eine großzügige Kantine, in der schon am Morgen ein kostenloses Frühstücksbüfett auf die Mitarbeiter wartet, gehört dazu.

Alles im Blick

Tobias Grau hat sein Büro in einem Konferenzraum im Herzen der Firma eingerichtet; er ist für alle schnell erreichbar und hat alles im Blick. Das Unternehmen ist auf ihn zugeschnitten, jede Leuchte hat er selbst entwickelt. Schon als 19-Jähriger entscheidet Grau, dass er Designer werden will. Der gebürtige Hamburger kommt aus einem musischen Haus, seine Mutter hat an der Hochschule für Bildende Künste Fotografie studiert, der Vater ist Kaufmann. Grau entscheidet sich für ein BWL-Studium („Kann ja nicht schaden“), entwirft nebenher Möbel.

Der Ratschlag seines Vaters treibt Grau um: „Für einen Beruf braucht man Begeisterung.“ Mit dem BWL-Diplom in der Tasche reist Grau 1983 nach New York, bildet sich ein halbes Jahr an der Parson School of Design fort und arbeitet dann sechs Monate als Praktikant in der Entwicklungsabteilung von Knoll International. „Dort musste ich an Prototypen arbeiten, von den ersten Zeichnungen bis zur Serienreife. Da habe ich unheimlich viel gelernt,“ erinnert er sich.

Das Unternehmen wächst

Zurück in Deutschland, macht sich Tobias Grau 1984 als Designer mit innenarchitektonischen Arbeiten für Werbeagenturen und Modegeschäfte selbstständig. 1986 bezieht er ein Loft an der Lippmannstraße im Schanzenviertel: Aus dieser Zeit stammt die erste Leuchtenkollektion, die unter dem Namen „Heiligenschein“ für Furore sorgt. Das Unternehmen hat Erfolg – drei Jahre später reichen die Räume nicht mehr aus, die Firma zieht 1989 in den Borselhof, ein altes Fabrikgebäude in Ottensen. 1992 steigt seine Frau, die das Unternehmen zuvor schon „gedanklich begleitet“ hat, mit in das Unternehmen ein. Sie kümmert sich um die kaufmännischen Themen, ist zugleich „Chefkritikerin“ ihres Mannes.

Bald setzt das Familienunternehmen auf Internationalisierung: Das Unternehmen wächst weiter, die 800 Quadratmeter im Loft in Ottensen reichen nicht mehr. Schließlich fällt die Standortwahl auf Rellingen, stadtnah, flughafennah und, das sagt Grau nicht, steuerlich attraktiv. 1998 zieht die Firma um, schon 2001 wird der Bau erweitert, bald kommen eigene Shops etwa im Stilwerk hinzu. Inzwischen beschäftigt das Unternehmen 150 Menschen und betreibt sieben eigene Geschäfte.

60.000 bis 70.000 Leuchten jährlich

70 Prozent der Umsätze werden in Deutschland erwirtschaftet, ein knappes Drittel stammt aus dem Ausland. In den USA arbeitet Tobias Grau mit 20 Händlern. Als Steve Jobs, der Apple-Gründer starb, entdeckte Franziska Grau in einem Nachruf ein Bild des Computer-Visionärs am Schreibtisch: Darauf steht eine Leuchte von Tobias Grau. Dieses Bild hat nun einen Ehrenplatz im Rellinger Büro von Franziska Grau.

Am Rande der Hansestadt werden nicht nur neue Leuchten entworfen und das Geschäft gesteuert, sondern die Lampen auch montiert und vertrieben; 60.000 bis 70.000 Leuchten sind es jährlich. In der zweiten Röhre werden die vorproduzierten Lampenteile montiert. Für die Leuchte namens „John“ etwa benötigt Mitarbeiterin Katherina Michelsen rund 70 Minuten inklusive Vorbereitung und Verpackung: Sie bearbeitet die Profile, montiert Köpfe und Leuchtmittel, verkabelt sie und bringt das Netzteil an.

Markt wandelt sich ständig

„Das sieht vielleicht simpel aus, ist aber sehr abwechslungsreich“, sagt Michelsen, die hier seit sieben Jahren arbeitet. „Wir sind eine Mischung aus Industriefertigung und Manufaktur“, betont Grau. „Wir wollen das Beste aus beiden Welten verbinden.“ Rund 80 Menschen arbeiten in der Fertigung in Rellingen. Der Bereich könnte noch ausgebaut werden, denn Grau will expandieren und hat dafür ein Nachbargebäude gekauft.

So reibungslos, wie sich die Firmengeschichte liest, lief sie nicht: Denn das Unternehmen agiert in einem Markt, der gleich zwei Revolutionen erlebt hat und sich ständig wandelt. Ende der 1980er-Jahre wurde in manchen Bereichen die Glühlampe nach und nach von der Halogentechnik ersetzt. „Da ging richtig was“, erinnert sich Grau an seine Anfänge. Die Anforderungen und Formen veränderten sich radikal – Glühbirnen sind groß und werden heiß, Halogenlampen sind klein, benötigten aber zunächst große Trafos.

98 Prozent des Programms auf LED umgestellt

Die Erfindung der LED hat den Markt erneut umgekrempelt. „Das war eine echte Herausforderung“, sagt Franziska Grau. „Wir mussten stark investieren, um langfristig einen Vorteil zu haben.“ 2007 kamen die ersten LED-Leuchten auf den Markt, mit vielen Kinderkrankheiten wie der Lichtqualität oder einer mangelnder Dimmbarkeit. „Unsere erste LED-Lampe war ein Flop“, sagt Tobias Grau. „Solche Flops muss man in Kauf nehmen - es dürfen nur nicht zu viele sein.“

Die populäre Kritik an den Leuchten teilt Tobias Grau nicht: „LED haben sich toll entwickelt. Wir konnten den Energieverbrauch durch den Einsatz von LED und Sensoren in den letzten Jahren um mehr als 50 Prozent reduzieren.“ Heute sind 98 Prozent des Leuchtenprogramms auf LED umgestellt. Eine weitere Revolution erwartet Grau in den nächsten Jahren nicht mehr. Immer wichtiger werden Digitalisierung und Steuerung. „Die Leuchten werden intelligent.“ Vor Kurzem vernetzte das Unternehmen 1000 Arbeitsplätze in den Großraumbüros der Deutschen Rentenversicherung – die einzelnen Lampen bekommen Sensoren und eine eigene Adresse, um sie individuell zu steuern. Ein weiteres Leuchtturmprojekt für die Rellinger ist die Beleuchtung des Europaparlaments in Straßburg.

Besonderer Auftrag vom „Spiegel“

Ein besonderer Auftrag kam vom „Spiegel“. Der Neubau an der Ericusspitze trug bereits den nachhaltigen Goldstandard und benötigte besonders energieeffiziente Leuchten. Deckenleuchten waren ausgeschlossen, Stehleuchten hätten weder die erforderlichen Licht- noch Energiewerte erreicht. „Wir haben dann eine Deckenleuchte genommen und sie auf einen Fuß gestellt“ – eine so einfache wie revolutionäre Lösung, die Grau einen der größten Aufträge der Firmengeschichte bescherte.

Das Unternehmen ist groß genug, um bei den großen Firmen auf dem Radarschirm zu sein. „Wir müssen nicht nach Korea fliegen, die kommen zu uns nach Rellingen“, sagt Grau. Auf der anderen Seite ist das Unternehmen klein genug, um nicht zu oft Opfer von Produktpiraten zu werden. „Wer es versucht, wird abgemahnt“, sagt Grau. „Da bin ich dankbar, dass es in Europa Rechtssicherheit gibt.“

Katherina Michelsen arbeitet an der
Leuchte namens „John
Katherina Michelsen arbeitet an der Leuchte namens „John" © HA | Roland Magunia

Das kreative Element ist den Graus wichtig. „Wir definieren uns nicht über den Umsatz“, sagt Franziska Grau. „Wir sind eine Ideenwerkstatt. Aber Gewinn ist nötig, um zu bestehen.“ Bis heute entwickelt Tobias Grau alle Lampen des Programms selbst. Mit Ingenieuren und Designern arbeitet er so lange, bis Form und Funktion optimal miteinander harmonieren.

Viel Intuition

Grau setzt viel auf Intuition, wenig auf Marktforschung. Seine jüngste Entwicklung ist eine Preziose mit dem Namen Lipstick, eine Leuchte, die an die Wand gelehnt wird. „Es kann sein, dass das keiner will. Aber vielleicht sagen auch viele Händler, endlich mal was herrlich Überflüssiges.“ Ein weiteres Thema, das Grau umtreibt, ist die Kombination von Möbeln und Licht: „Immer mehr Menschen arbeiten an höhenverstellbaren Schreibtischen – da passt weder eine Steh- noch eine Schreibtischleuchte, um die Lichtwerte konstant zu halten.“ Die Arbeit geht einem Designer nie aus.

Inzwischen haben die beiden ältesten Grau-Söhne, 25 und 27 Jahre alt, eine Stehleuchte entworfen, die ins Programm aufgenommen wird. Die beiden Jüngeren studieren noch. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass unsere Kinder einsteigen. Wir könnten aber auch die Entwürfe anderer Designer produzieren“, denkt Grau über die Zukunft nach. Die Firma soll – allen Übernahmeangeboten zum Trotz – als Familienunternehmen weitergeführt werden. Tobias Grau, der im März 61 Jahre alt wird, denkt nicht ans Aufhören. „Im Moment macht es mir noch sehr viel Spaß.“