Hamburg. In dem Haus, das bei den G20-Krawallen besetzt wurde, dreht sich sonst alles ums Papier. Zu Besuch bei zwei Designern.
Das Eckhaus Schulterblatt 1 ist wohl im Moment das berühmteste eingerüstete Haus der Welt. Touristen und Passanten stellen sich vor die Fassade, machen Handy-Fotos und Selfies. Seit den Krawallen während des G20-Gipfels kennt fast jeder dieses Gebäude. Doch auch dahinter verbirgt sich eine spannende Geschichte. Denn das Schulterblatt 1 hat einen Innenhof. Und dort sitzt das kleine Designstudio von Soraya und Max Kuehne: Paperlux.
Dass man diesen Namen vielleicht nicht unbedingt in Hamburg, sehr wohl aber in Paris und London kennt, liegt an den illustren Kunden, die von den beiden Designern mit Druckwaren beliefert werden. Für die Modemarke Hermès etwa wurden sie beauftragt, nicht nur das gesamte Erscheinungsbild des Hauses, sondern auch ein Begleitheft für den Bau einer 13 Meter breiten Luxus-Yacht in Kooperation mit dem Schiffbauer Wally zu gestalten, die wie eine Insel aussehen sollte. Heraus kam ein 13 Meter langes Leporello, um das extreme Ausmaß dieses Projekts zu zeigen.
Liebe zum Handwerklichen
Das Schiff wurde nie gebaut, die Zusammenarbeit zwischen Paperlux und Hermès ging weiter. So weit, dass das Hamburger Unternehmen von dem französischen Luxushersteller als „Atelier Artisan“ (Atelier für Kunsthandwerk) ausgezeichnet wurde. „Eine große Ehre für uns“, so Max Kuehne (42), der in seinem Lässig-Look mit Kappe und T-Shirt zunächst nicht ins Bild von Handtäschchen und Seidentüchern passt. Zumal Hermès selbst über eine große Kreativabteilung verfügt. Warum also die Hilfe aus dem Ausland? Es ist die Liebe zum Handwerklichen, die die beiden Hamburger mit den französischen Auftraggebern teilen.
Max Kuehne, der Paperlux 2006 in der Schanze gründete, ist gelernter Schilder- und Schriftenmaler – „ein Beruf, den es heute nicht mehr gibt“. Der aber gerade im digitalen Zeitalter eine Renaissance erlebt. „Die Rückkehr zum Anfassbaren, also einer handgeschriebenen Karte, einem Brief oder Plakat, ist erkennbar. Und das ist es, was wir mit unserer Arbeit beabsichtigen: etwas herzustellen, das bleibt, das man im besten Fall zu Hause aufbewahrt, weil es einem zu kostbar erscheint, um es ins Altpapier zu werfen.
Das man vielleicht sogar in der Familie weitergibt.“ Wie zum Beispiel eine Ausgabe des ältesten Design-Magazins Novum. Kuehne entwarf für den Titel ein Mosaik aus bunten Dreiecken, das wie ein Teppich aus Lack wirkt. Es war die einzige Ausgabe, die ausverkauft wurde. Und die Paperlux eine Auszeichnung bei den Lead Awards einbrachte.
Für die mittlerweile in Hamburg stattfindende Verleihung der „Goldenen Kamera“ denkt sich Paperlux seit nunmehr zehn Jahren immer wieder neue Gestaltungskonzepte aus, von den Einladungen an die Gäste über die Speisekarten für die Dinnershow bis zu kleinen Andenken. Besonders gut kamen die Begleitkärtchen an. Darauf konnte man auf die Frage „Willst du mich begleiten?“ ankreuzen: „Ja“, „Nein“ oder „Ich habe leider nichts anzuziehen“, erzählt die Verlagskauffrau und Markenkommunikationsexpertin Soraya Kuehne, die 2008 zu Paperlux kam.
Einladungskarten für Alexander McQueen
„Ich sage immer, dass ich mich zuerst in den Mann und dann in das Atelier verliebt habe.“ Sie habe das kreative Potenzial von Max sofort erkannt. Und vermarktet seitdem sein Können. Durch die lebhafte Blondine ist Paperlux heute auf der ganzen Welt unterwegs.
Für Daimler Financial Services reisten die beiden schon nach Italien, Portugal und China, um Menschen für einen Reiseführer zu porträtieren. Dank Soraya Kuehnes Verkaufstalent halten Besucher einer Modenschau von Alexander McQueen in London eine Einladung made in Hamburg in der Hand. Darauf wurde mit einem feinen Laser ein goldener Baum eingraviert.
Zusammenarbeit mit indischer Unternehmerin
„Die verrücktesten Ideen entstehen in meinem Kopf“, so Max Kuehne. „Und dann habe ich immer schon gerne herumgefrickelt, gebastelt und mich in Werkstätten herumgetrieben.“ Über allem stehe die Liebe zum Papier: „Drucken und stanzen – das ist alles, was ich will.“ Neun Leute arbeiten in dem Designstudio im Hinterhof. Dazu kommt ein Netzwerk aus freien Mitarbeitern, darunter Menschen, die ein altes Handwerk betreiben. Zum Beispiel eine Buchbinderin im Karoviertel oder der letzte Kofferhersteller Deutschlands in Hamm.
Ihr jüngstes Projekt ist eine Zusammenarbeit mit einer aus Indien stammenden Unternehmerin. Sie lässt Kosmetikprodukte mit indischen Ingredienzien in der Schweiz produzieren. Von dem Erlös eines „Abhati Suisse“-Produktes (das indische Abhati bedeutet scheinen) soll es einem Mädchen in Indien ermöglicht werden, eine Woche lang die Schule zu besuchen. Bislang sind Duschgel, Lipgloss, Duftkerze und Öl im Internet sowie in Läden in den USA, in Australien und Neuseeland erhältlich. In Deutschland bisher noch nicht. Aber wer hat’s eingepackt? Natürlich die Hamburger!