Grebin. Das nördlichste Bundesland entwickelt sich zur Weinregion. Die Anbaufläche steigt deutlich. Das Abendblatt besuchte einen Pionier.
Als rote Feuerkugel steht die Sonne an diesem Vormittag am Himmel über Grebin. Sahara-Staub und Ruß von den Waldbränden in Portugal und Spanien trüben die Atmosphäre und verleihen der schleswig-holsteinischen Landidylle im Kreis Plön zusätzlichen Charme. Auf einem Hügel thront das Wahrzeichen des Orts, die 1851 erbaute Mühle. Dahinter schwingt sich die aus der Eiszeit stammende Moräne zum Schierensee hinunter, verziert mit Dutzenden Reihen von Weinreben. Zwischen ihnen wuseln zwölf Arbeiter. In leicht gebückter Haltung schneiden sie die hüfthoch hängenden Trauben ab und packen sie in den Eimer. Wenn der voll ist, leeren sie ihn in einen quadratischen, großen, grünen Kunststoffbehälter, den ein Trecker später auf den einige Kilometer entfernten Hof Altmühlen fährt.
Es ist Weinlese in Schleswig-Holstein, und der Herr über die Weinberge in Grebin heißt Steffen James Montigny. Er war 2009 der erste Winzer, der die Reben im Land zwischen den Meeren pflanzte. Möglich wurde das durch seine Heimat Rheinland-Pfalz. Das Bundesland gab Pflanzrechte für zehn Hektar in den Norden ab, zwei davon sicherte sich der heute 57-Jährige. Bald wird er sein kleines Traubenreich ausdehnen. Montigny: „2019 werden wir unser Weinanbaugebiet hier um 1,5 Hektar ausweiten.“
Großes Wachstumspotenzial
Das gestattet die neue, 2016 in Kraft getretene Version des Weingesetzes. Jedes Flächenland darf zum einen fünf Hektar zusätzlich ausweisen. Für die großen Anbauländer im Süden der Bundesrepublik ist das nahezu unbedeutend, für Schleswig-Holstein verheißt allein das schon großes Wachstumspotenzial. Hinzu kommt, dass die in Deutschland bestehende Fläche pro Jahr um 0,3 Prozent vergrößert werden kann – das Nordland kriegt davon überdurchschnittlich viel ab. Laut schleswig-holsteinischem Verbraucherschutzministerium, das für den Weinanbau zuständig ist, bekamen Antragsteller im vergangenen Jahr 15,3 Hektar zugewiesen. In diesem Jahr folgten weitere 4,2 Hektar. Damit verdreifacht sich die Anbaufläche.
Weinanbau rückt näher an Hamburg heran
Der Weinanbau rückt auch näher an Hamburg heran. Denn ein Trio gründete vor Kurzem das erste Weingut im Kreis Stormarn. Anfang 2016 bewarben sich Jörn Andresen, Leon Zijlstra und Sven Dohrendorf bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung um Pflanzrechte. „Wir stellten uns die Frage: Wieso sollte Weinanbau nicht auch hier gehen?“, sagt der Garten- und Landschaftsbauer Andresen. Zijlstra hatte als Student der Internationalen Weinwirtschaft eine Arbeit über den Weinanbau in Schleswig-Holstein geschrieben. Die Arbeit diente als Grundlage für das Konzept – und mit dem konnte das Trio bei der Behörde offenbar punkten.
Ende April pflanzten sie in Delingsdorf mit vielen fleißigen Helfern 5400 Weinstöcke der Sorten Solaris, Riesel und Johanniter auf einer Fläche von 1,3 Hektar. Die Böden seien perfekt geeignet, sehr humusreich und speicherten hervorragend Wasser und Nährstoffe. Die ersten Trauben wuchsen bereits, wurden aber gekappt. Das Wachstum soll in den Stock und nicht in die Früchte gehen, sagte Andresen und hat nach einem halben Jahr Erfahrung festgestellt: „Es ist viel Handarbeit.“
Auskömmliche Ernte soll 2019 erfolgen
Im nächsten Jahr könnte die Produktion mit einer kleinen Menge Federweißer beginnen. Die erste auskömmliche Ernte soll 2019 erfolgen. Ein Jahr später kämen die Flaschen mit dem Weißwein unter dem Namen Schatoh Feldmark in den Handel. Die Betreiber, aus deren Kreis der Weinhändler Dohrendorf mittlerweile ausgeschert ist, werden die Anbaufläche ebenfalls vergrößern. Im nächsten Jahr sollen 0,35 Hektar hinzukommen. Und 2019 wird die Fläche mit weiteren 1,65 Hektar in Bargteheide verdoppelt. Denn insgesamt erhielten die Neu-Winzer von der Bundesanstalt den Zuschlag für 3,3 Hektar.
Rege Nachfrage
Der größte Betrieb des Landes liegt in Malente-Malkwitz. Auf dem Ingenhof bewirtschaftet Chefin Melanie Engel drei Hektar. Sie will die Anbaufläche ebenfalls deutlich vergrößern. Um vier Hektar darf sie in den nächsten drei Jahren erweitern, der erste Hektar soll im nächsten Jahr angepflanzt werden. Die Landesliste der Winzer ist noch recht übersichtlich. Weine auf den Markt bringen bereits das Gut Deutsch-Nienhof in Westensee bei Rendsburg, das Weingut Waalem auf Föhr und zwei Sylter Anbieter. Durch die neue Vergabe kommen sechs Betriebe hinzu.
Die Grebiner Weine des vergangenen Jahres sind unter der Marke „So mookt wi dat“ in diesem April in die Märkte von Famila, Markant und Citti gekommen. Rund 9000 Flaschen zum Verkaufspreis von 15 Euro gingen in die Verkaufsstellen der zu Bartels-Langness gehörenden Ketten. Die Handelsfirma aus Kiel ist die Eigentümerin des Weinberges, hatte zusammen mit dem Weinhändler Schneekloth die Idee für die Ansiedlung und gewann Montigny als Winzer und Geschäftsführer. Trotz des hohen Preises sei der Weinanbau „aus kaufmännischer Sicht kein lohnendes Geschäft“, sagt der 57-Jährige ohne konkret zu werden. Dabei erfreuen sich die Tropfen aus Schleswig-Holstein einer regen Nachfrage, sodass nicht mehr viele Flaschen erhältlich seien. An einer zu geringen Erntemenge liegt dies aber nicht. 2016 war der Traubenertrag so hoch wie nie zuvor.
Lese begann schon vor vier Wochen
Die Lese in diesem Jahr begann schon vor vier Wochen, als die weiße Sorte Solaris von den Weinstöcken geschnitten wurde. Nun sind die roten Regent-Früchte an der Reihe. Mit ungefähr 6000 Litern Wein rechnet Montigny für dieses Jahr insgesamt. „Das sind rund 30 Prozent weniger als 2016.“ Das hört sich nach einem deutlichen Einbruch und einem unzufriedenem Winzer an. Doch das Gegenteil ist der Fall. Montigny ist über die Erntemenge froh. Denn am 19. April kam relativ spät im Frühjahr noch einmal der Frost zurück, als das erste Grün an den Rebstöcken schon spross. Minus 3,7 Grad Celsius zeigte das Thermometer. „Die Pflanze geht dann davon aus, dass Winter ist und ist in einer Schockstarre gefangen.“ Bis sie wieder signifikant wächst, vergeht ein Monat.
Der Sommer war für die Trauben derweil ganz in Ordnung. Viel Licht und Temperaturen von 20 bis 22 Grad Celsius seien für die Pflanzen gute Bedingungen. „Weintrauben brauchen weder Hitze noch dauerhaft Sonnenschein. Sie reifen auch bei milden Temperaturen, wie wir sie dieses Jahr in Schleswig-Holstein hatten“, sagt Montigny. Überhaupt machten das hellere Licht, der frühere Sonnenauf- und spätere Sonnenuntergang Standortnachteile im Vergleich zum Süden teilweise wett. Perspektivisch werde der Norden durch die höheren Temperaturen vom Klimawandel profitieren, während es in südeuropäischen Staaten oder in Kalifornien zu heiß und vor allem zu trocken für den Anbau werden dürfte. In Nordeuropa kennzeichnend würden aber immer die höheren Schwankungen bei der Erntemenge bleiben.
Wenig Regen und viel Sonnenschein helfen
Die letzten Wochen vor der Lese helfen wenig Regen und viel Sonnenschein. „Je länger eine Traube am Stock hängt, desto mehr Aroma hat sie“, sagt Montigny. In die Frucht werde dann „Zucker eingebaut“. Das Mostgewicht könne um ein Grad Öchsle pro Tag zunehmen. 85 bis 90 Grad Öchsle werden angestrebt. 100 Tage nach der Blüte sind die Früchte reif. Wer nur die Tafeltrauben aus den Supermärkten kennt, wird übrigens von der Größe überrascht sein. Die Keltertraube ist wesentlich kleiner, hat dafür aber mehr Aroma und Farbstoffe.
An die Ertragsstärke seines Weingutes in Bretzenheim bei Bad Kreuznach wird Montigny in Grebin wohl nie herankommen. Dort bewirtschaftet er 38 Hektar. Als maximal mögliche Menge in Deutschland gelten 10.500 Liter pro Hektar. Montigny erzielt im Süden 6500 Liter, im Norden wäre er schon mit 4000 zufrieden. Gespannt ist er auf das nächste Jahr, denn dann seien alle Reben erstmals auf einem Niveau. Die Qualität werde dabei mit dem Älterwerden der Weinstöcke grundsätzlich besser. Das ist dem Winzer trotz Ausweitung der Anbaufläche wichtig: „Wir wollen hier nicht nur in die Menge gehen, sondern vor allem auch die Qualität steigern.“
Vier Stunden brauchen die Erntehelfer, um an diesem Tag die Trauben abzuschneiden. Am Abend geht es dann per Kühllaster in das 650 Kilometer entfernte Bretzenheim. Dort werden sie bearbeitet, in Eichenfässern gelagert und abgefüllt. Eine Produktion vor Ort rentiere sich erst ab einer Fläche von fünf Hektar, sagt Montigny, schließt das aber künftig nicht aus. Denn eins freut ihn besonders: „Die Grebiner sagen, dass sie in einem Weinanbaugebiet leben. Wir haben etwas für die Regionalität getan.“