Hamburg. Der neu gewählte FDP-Bundestagsabgeordnete Kubicki über Chancen von Jamaika, umweltschädliche Elektro-Autos und seine Ambitionen.
Wolfgang Kubicki ist einer der Spitzenliberalen, die ein mögliches Jamaika-Bündnis im Bund auf den Weg bringen müssen. Was in Kiel gelang, steht in Berlin aber noch in den Sternen.
Herr Kubicki, Sie gelten als ein Jamaika-Barometer. Wo steht derzeit die Wahrscheinlichkeit für ein solches Bündnis im Bund?
Wolfgang Kubicki: Das kann ich schwer einschätzen, weil ich bislang nur flüchtige Begegnungen mit führenden Protagonisten von Union und Grünen hatte. Wir müssen aber allein wegen Deutschlands Rolle in Europa und der Welt Verantwortung übernehmen.
Bei den Verhandlungen in Kiel schätzten Sie die Chancen zunächst auf klar über 50 Prozent. Was sagt Ihr Bauchgefühl jetzt?
Kubicki: Ich kann es – im Gegensatz zu den Verhältnissen in Kiel damals – noch nicht sagen, weil ich viele der handelnden Personen nicht persönlich kenne. Ich empfehle allen, aus den Schützengräben des Wahlkampfs herauskommen. Wer dort verharrt, kann nicht aufeinander zugehen. Wir müssen alle rhetorisch abrüsten.
Lesen Sie hier das Interview mit Stanislaw Tillich
Was kann man aus Kiel nach Berlin mitnehmen?
Kubicki: Das waren andere und bessere Voraussetzungen. Die Beteiligten hatten über Jahre eine Arbeitsebene entwickelt, wir waren zwischen 2005 und 2009 mit den Grünen gemeinsam in der Opposition. Da haben sich persönliche und belastbare Beziehungen entwickelt. Dieses Grundvertrauen fehlt bislang auf der Bundesebene. In Schleswig-Holstein haben wir in den Verhandlungen festgestellt, dass unsere Ziele gar nicht so unterschiedlich sind, aber die Wege dorthin. Wir haben uns dann einiges offengehalten – keiner kann mit Gewissheit sagen, was in der Zukunft passiert.
Das gilt auch auf der Bundesebene ...
Kubicki: Ja, ein Beispiel: Noch vor zwei Jahren wollten wir mit der Dieseltechnologie unsere Klimaziele erreichen. Heute soll plötzlich das Elektroauto mit Lithiumbatterien das Nonplusultra sein – das ist so ziemlich das Umweltschädlichste, was man sich vorstellen kann! Keiner kann heute sagen, wie die enormen ökologischen Belastungen bei der Herstellung und der Entsorgung dieser Batterien gelöst werden sollen. Das wissen die Grünen auch nicht. Wir sollten technologieoffen sein, wie wir die Klimaziele erreichen. Zu diesen Zielen stehen wir alle. Aber Quoten, Subventionierung oder starre Vorgaben bringen uns nicht weiter.
Wer wird der Problemfall im Bündnis?
Kubicki: Die CSU weiß derzeit selbst nicht, wo sie hinwill, und muss erst einmal mit der Schwesterpartei eine gemeinsame Linie finden. Ich sehe auch bei den Grünen zwei Parteien, die sich gegenseitig belauern, die Realos und die Fundis. Seehofer will nach rechts gehen, einige Grüne nach links – aber das vergrößert die Distanz.
Die Union hat die FDP in der schwarz-gelben Koalition schlecht behandelt. Wirkt das nach?
Kubicki: Nein. Der Abstieg der FDP war damals vorhersehbar. Weder Christian Lindner noch ich haben Schmerzen aus der Vergangenheit. Wir gucken in die Zukunft: Wir brauchen ein modernes Deutschland. Wir müssen im Bereich Bildung und Digitalisierung endlich aufholen.
Darauf sollte man sich einigen können ...
Kubicki: Aber warum ist dann in den vergangenen Jahren so wenig passiert? Wir haben zehn Jahre verloren, das können wir uns nicht noch einmal leisten. Südkorea ist um ein Vielfaches schneller. Wie lange reden wir schon über die Sanierung der Schulen? Trotzdem verfallen die Gebäude weiter, und bei der digitalen Durchdringung der Schulen stehen wir bei zehn statt bei 100 Prozent.
Das Finanzministerium, auf das die FDP ein Auge geworfen hat, hat Herr Schäuble schon geräumt …
Kubicki: Ich kenne und schätze Wolfgang Schäuble. Er hat gute Arbeit geleistet und ist nun der, der mit kühler Sachlichkeit die Würde des Parlaments wahren wird. Aber das ist keine Vorprägung für Koalitionsverhandlungen. Da werden wir uns erst auf die Inhalte verständigen, bevor wir über Ressorts, Zuschnitte oder Personen reden. Die FDP wird jedenfalls nicht danach entscheiden, wer was werden möchte, sondern danach, wie wir liberale Politik durchsetzen.
Die „Rheinische Post“ will erfahren haben, dass FDP und Grüne die Posten schon verteilt haben sollen ...
Kubicki: Das sind Fake News. Es gab keine Gespräche. Ich rede bisher nur mit Robert Habeck – und dies nur über unsere Zusammenarbeit in Kiel.
Schließen Sie aus, dass Sie in eine Regierung eintreten? Sie waren nie Minister, auch um Ihren Beruf als Anwalt weiter auszuüben.
Kubicki: Ich bin mittlerweile 65 Jahre alt, ein Ministeramt entspricht nicht meiner Lebensplanung. Ich halte es auch nicht für erstrebenswert, Minister zu sein. Aber wir werden auch über diese Frage in den Spitzengremien entscheiden.
Die SPD kann sich eine Große Koalition ohne Merkel nun doch offenbar vorstellen …
Kubicki: Die Sozialdemokraten sind völlig orientierungslos geworden. Das grenzt an Realitätsverlust – so wie die Idee einer Minderheitsregierung. Das kann man in kleineren Ländern vielleicht machen, aber nicht in der viertstärksten Wirtschaftsnation der Welt. Ich finde ungeheuerlich, wie die SPD derzeit nur auf ihre eigenen Befindlichkeiten schaut und sich beleidigt in die Opposition zurückzieht. Wir könnten ja mit dem gleichen Argument sagen, wir gehen in die Opposition. Aber wenn das alle machen, bekommen wir ein Demokratieproblem.
Zwingen die Jamaika-Verhandlungen die Partner in Kiel auf Kurs?
Kubicki: Wir haben ein gemeinsames Programm, das arbeiten wir gut und gemeinsam ab. Bei der Bundestagswahl lagen in Schleswig-Holstein alle drei Partner deutlich über dem Bundesschnitt. Eine überwältigende Mehrheit der Unternehmer ist zufrieden, der Bauerntag hat Herrn Günther und Herrn Habeck gefeiert. Es funktioniert nicht nur, es läuft sogar deutlich besser, als wir erwartet hatten.