Hamburg. Im Alten Land wächst schon knapp die Hälfte der Früchte unter Dächern. Trotzdem sinken wegen schlechten Wetters die Erträge.

Dicht an dicht stehen die Bäume in langen Reihen Spalier. Zwischen grünen Blättern leuchten die Kirschen – reif, rot und ordentlich rund. So sieht der Sommer aus, wenn man ihn malen würde. Pawel, Johanna und Patrik stehen seit dem frühen Morgen auf dem Obsthof Kotulla in Francop zwischen den mannshohen Bäumen. Die ersten Erntehelfer aus Polen sind in dieser Woche angekommen. Mit geschickten Handgriffen pflücken sie die knubbeligen Früchte von den Zweigen und legen sie in die Körbe. Kirschernte ist echte Handarbeit. „Die Frühsorten sind weg, jetzt geht es richtig los“, sagt Obstbauer Jon Kotulla und probiert ein besonders pralles Exemplar. „Hhm, gut“, sagt er. „Aromatisch, süß, fest, groß und ein grüner Stiel.“

Das sind die Kriterien, die eine Premium-Kirsche ausmachen. „Die Qualität ist besser als im vergangenen Jahr“, sagt der 34-Jährige. Das ist die gute Nachricht, die schlechte lautet: Es gibt insgesamt weniger Kirschen in diesem Jahr. Schuld ist das miese Wetter im ­April, als eisige Temperaturen, Nachtfrost und Regengüsse der Blütenpracht zu schaffen machten. Für das Niederelbe-Gebiet rechnet Martin Kockerols, als Berater beim Obstbauversuchsring in Jork für Steinobst zuständig, mit einem Viertel weniger Ernteertrag. Die Folge: Für gewöhnlich steigen dann die Preise Aktuell kostet ein Kilo Süßkirschen aus der Region zwischen sieben und neun Euro.

„Früher waren Kirschen ein Nebenprodukt“

Der Obsthof Kotulla gehört zu den großen Kirschproduzenten im Alten Land. Auf zwölf Hektar stehen Kirschbäume, insgesamt hat der Betrieb 31 Hektar. „Früher waren Kirschen eher ein Nebenprodukt, aber wir setzen schon seit 2004 verstärkt darauf“, sagt Jon Kotulla, der den Hof in vierter Generation mit seinem Vater Bernd und Mutter Ortilia bewirtschaftet. Stück für Stück hat die Familie den Betrieb modernisiert, um ihn für die Zukunft – und gegen schlechtes Wetter – zu sichern. Der Juniorchef, Cargohose, modische Brille, flotter Jeep, sagt:. „Wir konnten nicht mehr mitansehen, dass jedes Jahr über die Hälfte unserer Kirschen verregnete.“

Mit Leib und Seele dabei

Vor 16 Jahren war der Gärtnermeister mit Fachrichtung Obstbau in den Familienbetrieb eingestiegen und ist seitdem mit Leib und Seele dabei. „Da muss man auch, wenn man Arbeitstage von zehn bis zwölf Stunden durchhalten will. In der Erntezeit sogar noch mehr“, sagt Kotulla. Dazu gehört auch betriebswirtschaftliches Kalkül. Etwa 100.000 Euro kostet es, um auf einem Hektar leistungsfähige Kirschbäume zu pflanzen, Bewässerungsanlagen zu legen und Foliendächer gegen Regen zu bauen. Inzwischen stehen fast alle Kotulla-Bäume unter Dach. Das zahlt sich aus. „Trotz des Schlechtwetters rechne ich damit, dass wir in dieser Saison 70 Tonnen Kirschen ernten“, sagt Jon Kotulla. 2016 waren es 45 Tonnen.

Erntehelferin Johanna kommt aus
Polen und verdient Mindestlohn
Erntehelferin Johanna kommt aus Polen und verdient Mindestlohn © HA | Andreas Laible

Besonders die reifen Früchte sind kurz vor der Ernte sehr empfindlich und platzen bei Regen leicht auf. Um das zu verhindern, geht der Trend zum geschützten Anbau. „Im Nieder­elbe-Gebiet werden auf 500 Hektar Kirschen angebaut. Davon sind inzwischen 40 Prozent überdacht“, sagt Martin Kockerols vom Obstbauversuchsring in Jork. Nach Baden-Württemberg ist die Region die zweitgrößte Kirschanbaufläche in Deutschland und macht mit einem Jahresertrag von etwa 4000 Tonnen gut zehn Prozent der gesamtdeutschen Produktion aus. Etwa 200 Betriebe bauen Süßkirschen an, im Volksmund gern Knubberkirschen genannt. Los geht es Anfang Juni mit Sorten wie Earlise, Burlat oder Naprumi. „Mengenmäßig sind die wichtigsten Sorten Kordia und Regina“, sagt Kirschberater Kockerols. Sauerkirschen spielen mit einer Anbaufläche von zehn Hektar eine immer geringer werdende Rolle.

15 Kilo in der Stunde

Bei den Kotullas pflücken die Erntehelfer im Moment die Sorte Belise. 15 Kilo schafft jeder Pflücker durchschnittlich in der Stunde. „Es macht Spaß“, sagt Johanna, die zum ersten Mal auf dem Hof im Einsatz ist. Zu Hause in Walowice arbeitet die 26-Jährige als kaufmännische Angestellte. Für den Job in Deutschland mit Mindestlohn und freiem Logis hat sie Urlaub genommen. Gerade ist wieder ein Anhänger voll. Robert, der seit 15 Jahren als Erntehelfer arbeitet, holt die Pflückkörbe mit dem Trecker ab und bringt sie zur Lagerhalle. Dort kommen sie zunächst in einen großen Behälter mit Eiswasser, bevor sie vor der Weiterverarbeitung über Nacht ins Kühlhaus gebracht werden. So werden die empfindlichen Früchtchen auf die Verpackung vorbereitet.

30 Millimeter Durchmesser sind erwünscht

„Die Ansprüche an die Qualität sind sehr hoch“, sagt Kirschbauer Kotulla. Erst vor Kurzem hat er 400.000 Euro in eine neue Sortieranlage investiert. 60 Kirschen in der Sekunde laufen durch die riesige Maschine, 1,2 Tonnen in der Stunde. Jede Kirsche wird 30-mal fotografiert, genau vermessen, auf Farbe, Weichheit, Schale und Insekteneinstiche geprüft. Dann fallen sie in die jeweiligen Verpackungskörbe. „Früher war ein Durchmesser von 22 Millimetern normal, heute sind 26 schon klein“, sagt er, nimmt eine Kirsche vom Band und misst mit der Hand nach. „30 Millimeter, das ist eine sehr gute Größe.“ Der Ausschuss liegt bei zehn Prozent.

Kirschanbau ist eine aufwendige Sache, das macht sie teuer. Pro Kilo kalkuliert Jon Kotulla 65 Cent fürs Pflücken, 43 Cent für die Sortierung und zehn Cent für die Verpackung. Der Markt für die Saisonware ist hart umkämpft. Seit einigen Jahren drängen günstigere Kirschen aus Spanien und der Türkei in den deutschen Handel. Die Kotullas machen eine Mischkalkulation. Den Löwenanteil liefert der Betrieb an Fruchtgroßhändler. Für die Direktvermarktung ist Mutter Ortilia zuständig, die auf den Wochenmärkten in Harburg und Eidelstedt frische Kirschen für den Verzehr verkauft. Außerdem werden die Kotulla-Kirschen über den Lieferdienst Frischepost an Kunden in Hamburg ausgeliefert.

Die Zeit ist reif. Kirschliebhaber freuen sich schon auf die roten Früchtchen, warten ungeduldig auf ein größeres Angebot. Und wie ist das beim Kirschbauern? Hat man irgendwann nicht genug davon. „Ich liebe Kirschen. Das ist ein tolles Produkt“, sagt Jon Kotulla. Geschmack, Aussehen, Wertschöpfung, da stimme für ihn alles, schwärmt der Jungbauer. Und auch, dass es frische Kirschen nur acht Wochen lang gibt, findet er gut. In diesem Jahr ist das besonders wichtig. Ab Herbst braucht er Zeit für etwas anderes: Dann kommt ein kleiner Kotulla.