Altes Land. 2019 könnte die Frucht-Revolution auf den Markt kommen. Die Erntebilanz der 650 Anbaubetriebe an der Niederelbe fällt äußerst positiv aus.
Die Apfelbäume reihen sich vor dem Fenster von Joerg Hilbers bis zum Horizont. Irgendwo auf dem weitläufigen Gelände des Obstbauzentrums Esteburg in Jork-Moorende wachsen hinter einem Drahtzaun vielversprechende neue Apfelsorten. Rot durch und durch – rote Schale, klar, aber auch das Fruchtfleisch ist rot. Jetzt nach der Ernte werden die rot fleischigen Äpfel auf den Versammlungen der Obstbauern zum Probieren weitergereicht.
Frisch saftig schmeckt die eine Sorte, die andere hat mehr Aroma. „Erdbeerig“, benotet Hilbers. Zusammen mit der Obstbauversuchsanstalt arbeitet der stellvertretende Leiter des Obstbauversuchsrings an der Zukunft des Apfels. Probiert wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Äpfel stehen noch nicht zum Verkauf.
Die Aussichten sind für die neue Saison gut. Der Verkauf sei gut angelaufen. Frank Döscher, Geschäftsführer Vertrieb bei Elbe-Obst, erwartet nach zwei mageren Jahren bessere Erträge, die die 650 Anbaubetriebe im Alten Land und an der Niederelbe für Investitionen benötigten. Für Betriebe, denen ein Teil der Ernte verhagelte, sieht’s etwas schlechter aus.
Die sonnigen Wochen vor der Ernte zauberten Süße in die Äpfel. Das große Südtiroler Anbaugebiet und das Alte Land erreichten fast zeitgleich die europäischen Supermärkte. Österreich litt unter Frost im Frühjahr und holt sich vermehrt Altlandäpfel in die Regale.
350 000 Tonnen haben die Bauern dieses Jahr in die Scheuer gefahren oder ziemlich schnell zum Kunden transportieren lassen.
Beim Obst sieht es paradiesisch aus. Der Kunde hat die große Auswahl: Von allem gibt es ein „Überangebot“, weiß Obstexperte Hilbers. Der Obstkorb ist voll mit Beeren, Kirschen, Zitrusfrüchten, exotischen Angeboten und vielfältigen Äpfeln. In diesem Überangebot nimmt der Pro-Kopf-Verzehr des Apfels ab – von früher 21 auf mittlerweile 17 Kilo.
Zielgruppe ist die Jugend. Sie liebt’s süßer als ältere Jahrgänge – mit neuen Sorten wie den rotfleischigen könnten neue Käuferschichten gewonnen werden. Doch vor 2019 kommen die roten Dinger nicht in den Verkauf. Solange testen die Sortenforscher die neuen Äpfel und die Bäume in der Kinderstube des Obstbauzentrums. Mit jeder neuen Ernte wachsen die Erkenntnisse.
Neu am Markt ist ein besonders kleiner Apfel. „Rockit“ misst gerade mal fünf Zentimeter im Durchmesser, also kleiner als ein Tennisball. Rockit ist ein Apfel für andere Gelegenheiten – für den Appetit zwischendurch. Der Snackapfel konkurriert im Tankstellenregal um die Gunst der Kunden. Apfel statt Schokoriegel also.
Der Vertriebsweg ist ein anderer. Rockit ist in einer durchsichtigen Plastikröhre verpackt, könnte an der Hotelrezeption oder am Flughafen-Snack zum Reinbeißen animieren. Die erste Ernte ist im Alten Land gelaufen. Die Testverkäufe zeigen, der kleine Rote kommt besonders gut bei Kindern an, so Joerg Hilbers. Gezüchtet wurde der Apfel in Neuseeland, ist bereits in Asien ein großer Verkaufserfolg.
Die Ernte des kleinen Neulings dauert dreimal so lang wie bei größeren Äpfeln. Überdies zahlen die Bauern für Rockit eine Lizenzgebühr. Sie müssen sich zudem an den Marketingkosten beteiligen. Im Gegenzug winken höhere Preise an de Kasse. So ein Tube mit drei, vier Äpfeln kostet zwischen 2,49 und 2,99 Euro.
„Geschmack ist wandelbar“, weiß Frank Döscher. Die Einkäufer der Lebensmittelkonzerne fordern daher gelegentlich neue Geschmacksrichtungen ein. So kam vor zehn Jahren der Red Prince verstärkt in die Märkte. Der süßliche Apfel stammt vom Jonagold ab. Kanzi – eine Kreuzung aus Gala und Braeburn – ist jünger, die Anbauflächen nehmen noch zu.
Die Klassiker beherrschen ansonsten den Markt. Auf 90 Prozent der Fläche werden die beliebten Sorten Elstar, Jonagold, Jonagored, Boskoop, Gloster, Holsteiner Cox oder Braeburn angebaut. Mit 100 000 Tonnen ist der Elstar die stärkste Sorte. Für die Bauern eine verlässliche Kalkulationsbasis, so Hilbers.
Im Schnitt werden die Obstbäume nach 18 Jahren durch neue ersetzt. Bis die Neuanpflanzung sich rentiert, vergehen Jahre. Für die Obstbauern gilt, betriebswirtschaftlich die Balance zu halten, zwischen den stark gefragten Sorten und neuen.
Apfelfreundschaften münden schon mal in Familienfeiern
Geld gegen Ware – eine bloß nüchterne Beziehung zwischen Kunde und Erzeuger greift beim Apfel zu kurz. Wer zur Obstblüte durchs Alte Land radelt, den verbindet mehr zum großen Obstanbaugebiet vor den Toren Hamburgs. Apfelfreundschaften münden schon mal in Familienfeiern unter dem Apfelbaum. Zum Beispiel bei Ulrike Schuback.
„Obstparadies“ steht einladend am großen Parkplatz in Westerjork. Die Schubacks gehören zu den Betrieben, die ein ausgefeiltes Marketingkonzept entwickelt haben. Die Gäste frühstücken unterm Apfelbaum. Geheiratet wird auf dem Hof zur schönsten Jahreszeit. Gruppen erklärt Ulrike Schuback den Unterschied der Apfelsorten.
Wer will, erwirbt das Apfeldiplom. Schubacks – die Familiengeschichte reicht über 600 Jahrhunderte zurück – bewirtschaften noch viele Hektar selbst, andere Flächen sind verpachtet. Denn die Kundschaft auf dem Hof geht vor. Neben den gängigen Apfelsorten baut Ulrike Schuback noch alte Sorten zur Freude der Stammkunden an, etwa die Sternrenette, den purpurroten Cousinot, den Finkenwerder Herbstprinz oder den gelben Richard.
Allergiker bekommen auch den richtigen Apfel empfohlen. Altes schließt Neues nicht aus. Bäume für die rotfleischigen Sorten hat Schuback bereits geordert. Das könnte einen wunderbaren roten Apfelsaft geben. Zu verkosten im Hofcafé.