Kiel. Die Kreise Pinneberg, Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg brauchen mehr Wohnungen. Kiel freut die Entwicklung.
Boom in der Metropolregion: Das Bevölkerungswachstum in den Hamburger Randkreisen Pinneberg, Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg wird deutlich stärker ausfallen als bisher erwartet. Das geht aus einer neuen Prognose des Statistikamts Nord hervor, die die Entwicklung bis 2030 beschreibt. Folge: Im Hamburger Speckgürtel werden mehr Wohnungen entstehen müssen. Um das zu erreichen, hat die Landesregierung am vergangenen Dienstag eine Kehrtwende bei der finanziellen Förderung beschlossen. Und: Der Wohnungsbau wird sich ändern müssen. „Der Zuzug älterer Hamburger nimmt zu“, sagt Thomas Losse-Müller, der Chef der Kieler Staatskanzlei. „Mehr Einfamilienhäuser helfen da nicht. Wir brauchen Geschosswohnungsbau mit gutem Anschluss an die Infrastruktur.“
Im Auftrag der Staatskanzlei legt das Statistikamt alle fünf Jahre eine Bevölkerungsprognose für Schleswig-Holstein vor, die die kommenden 15 Jahre beschreibt. Vergleicht man das fünf Jahre alte Zahlenwerk mit der aktuellen Prognose, stellt man erhebliche Unterschiede fest. Während den Kreisen Segeberg und Herzogtum Lauenburg bis 2025 ein Einwohnerrückgang prognostiziert wurde, gehen die Experten nun von einem Wachstum aus. 3,6 Prozent sind es im Kreis Segeberg, 2,2 Prozent im Kreis Herzogtum Lauenburg. Noch stärker ist das prognostizierte Wachstum in den Kreisen Stormarn (6,4 Prozent) und Pinneberg (5,9). Nur die beiden Städte Flensburg (6,7) und Kiel (10,3) können mit einem noch stärkeren Bevölkerungswachstum rechnen.
Zweiter Trend ist zunehmende Alterung
Die Ursachen für diese Entwicklung sind relativ klar. „Es werden Flüchtlinge zu uns kommen, aber es gibt auch Zuwanderung aus den Ländern der Europäischen Union“, sagt Losse-Müller. Die gesamte Metropolregion werde wachsen, Hamburg sei da ein starker Magnet. Es werde deshalb in den Randkreisen auch Zuzüge aus der Hansestadt geben.
Im wachsenden Schleswig-Holstein wird man – wenn die Statistiker richtig liegen – noch mit einem zweiten Trend rechnen müssen: der zunehmenden Alterung. Die Zahl der Menschen, die 80 Jahre alt und älter sind, wird im Kreis Segeberg im Jahr 2030 um 71,5 Prozent über dem Wert von 2014 liegen. In Pinneberg beträgt die Zunahme 58,6 Prozent, in Stormarn 57,5 Prozent. Der Landesdurchschnitt liegt bei 53,6 Prozent. „Allein in den vier Hamburger Randkreisen werden im Jahr 2030 im Vergleich zu 2014 fast 32.000 hoch betagte Menschen mehr leben“, heißt es in der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung.
34 Millionen Euro stehen zur Verfügung
All diesen Entwicklungen will die Landesregierung mit einer korrigierten Wohnungsbaustrategie Rechnung tragen. „Wir haben gerade im Kabinett beschlossen, dass wir den sozialen Wohnungsbau direkt bezuschussen wollen“, sagte der Chef der Staatskanzlei. In der Vergangenheit habe man den Bau von Wohnungen über die Vergabe zinsgünstiger Kredite gefördert. Bei den jetzt geltenden niedrigen Zinsen helfe das momentan niemandem. 34 Millionen Euro stehen nun bereit – allerdings vorerst nur für die Jahre 2017 und 2018. Geplant ist, einen Investitionszuschuss von 250 Euro pro Quadratmeter anzubieten.
Außerdem können die Kommunen gerade im Hamburger Rand darauf setzen, dass die engen Fesseln der Landesplanung gelockert werden. Denn für die Orte in Schleswig-Holstein, die nicht als Siedlungsschwerpunkte gelten, gibt es eine Obergrenze für den Wohnungsbau. „Diesen wohnbaulichen Entwicklungsrahmen wollen wir im kommenden Jahr ändern“, sagte Thomas Losse-Müller. Damit soll mehr Wohnungsbau als bisher möglich sein.
Unternehmen brauchen günstige Grundstücke
Doch das allein wird nicht helfen. Die Kommunen entscheiden nach wie vor selbst, ob sie Baugebiete ausweisen und wie groß sie sind. Einige haben sich entschieden, nicht wachsen zu wollen. „Da werden wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen“, sagte der Staatskanzleichef. „Aber wenn alle ihre Hausaufgaben machen, schaffen wir es, die Wohnungen zu bauen, die wir brauchen.“
Und das ist nicht gerade wenig. Die Fachleute nehmen an, dass bis 2030 in Schleswig-Holstein rund 100.000 Wohnungen gebaut werden müssen. Fast die Hälfte davon soll im Hamburger Umland entstehen: 16.500 im Kreis Pinneberg, je 12.000 in den Kreisen Segeberg und Stormarn, 7300 im Kreis Herzogtum Lauenburg. Ist das zu schaffen?
Andreas Breitner, Chef des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), ist skeptisch: „Das ist eine Herkulesaufgabe.“ Mit dem jetzigen Bautempo sei es jedenfalls nicht zu schaffen. „2015 wurden in Schleswig-Holstein 700 Sozialwohnungen gebaut, aber wir brauchen 4000 im Jahr.“
Vor allem benötigten die Wohnungsbauunternehmen nun günstige Grundstücke. „In Lübeck werden stadteigene Baugrundstücke zu einem reduzierten Preis an die Firmen verkauft“, sagte Breitner. „Das sollten andere Kommunen auch tun.“
Auch im Umland in die Höhe bauen
Breitner plädiert dafür, auch im Umland in die Höhe zu bauen. „Für ältere, alleinstehende Menschen brauchen wir kleine, barrierefreie Wohnungen in der Nähe der Stadtzentren“, sagte Breitner. „Das Problem lässt sich am besten mit vier- oder fünfgeschossigen Gebäuden lösen.“
Wo auch immer gebaut wird: In Kiel freut man sich über den Bevölkerungswachstum. „Der Zuzug wird dem Land guttun“, sagte Thomas Losse-Müller, der Chef der Staatskanzlei. „Unsere Infrastruktur – Straßen, Krankenhäuser, Geschäfte – kann ihn verkraften.“ Und außerdem: „Ältere Menschen bringen Kaufkraft mit.“