Sandesneben. Die Pastoren Mátéfy und Rost sind die ersten homosexuellen Eheleute, die gemeinsam eine Pfarrei der Nordkirche führen.

Es begab sich am 24. Juni 1314, als Bischof Marquard von Ratzeburg die St. Marien-Kirche in Sandesneben einweihte. Auf einer Urkunde, die man im 17. Jahrhundert luftdicht verschlossen im Altar fand, wurde dieses Datum der Nachwelt überliefert.

Für den Gottesdienst gut 700 Jahre später an selber Stelle wird auch in ein paar Jahrhunderten niemand nach einem vergilbten Dokument fahnden müssen. Welche Suchmaschine im Internet dann auch gebräuchlich sein wird, für den 8. Mai 2016 wird sie liefern: Pröpstin Frauke Eiben begrüßte am Sonntagnachmittag Stephan Rost, 38, und Ciprian Mátéfy, 33, offiziell als Pastoren der schleswig-holsteinischen Gemeinde Sandesneben. Damit führt zum ersten Mal in der Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche ein homosexuelles Paar gemeinsam eine Pfarrei. Rost und Mátéfy haben 2014 geheiratet.

Ganz bewusst verzichtete die Pröpstin im Gottesdienst auf eine historische Einordnung: „Das mache ich bei heterosexuellen Paaren ja auch nicht“, sagte sie nach der Zeremonie. Pastor Rost sagte in seiner ebenso klugen wie charmanten Predigt, wie wichtig Offenheit für den Glauben sei. Diese Offenheit müsse von beiden Seiten kommen; wer wollte, konnte dies als Fußnote fürs Private begreifen.

Theologische Popstars einer Schwulenbewegung wollen beide ohnehin nicht sein. Interviewwünsche lehnen sie so freundlich wie bestimmt ab, viel wichtiger sei ihnen das Kennenlernen der Gemeinde. Und die ist mit über 4000 Gläubigen, verteilt auf neun Dörfer, wahrlich groß genug.

Ihr gemeinsamer Amtsantritt bleibt indes ein veritables Politikum. Das Parlament der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), die Synode, hatte zwar bereits 2011 offiziell die Pfarrhäuser für Homo-Ehen geöffnet. In Sachsen, wo die beiden zunächst arbeiteten – Rost in Börln in der Nähe von Leipzig, Mátéfy in Dresden – spielte die Frage, ob schwule Pfarrer gemeinsam im Pfarrhaus leben dürfen, dennoch eine entscheidende Rolle bei der Bischofswahl 2015. Nach sechs Wahlgängen setzte sich schließlich Carsten Rentzing als Bischof der Landeskirche Sachsen mit einer Stimme Vorsprung durch. Er hatte sich zuvor sehr klar in Sachen Homosexualität geäußert: „Sie entspricht nicht dem Willen Gottes.“ Bei seine Amtseinführung protestierten mehrere Pfarrer mit Regenbogen-Beffchen, der Farbe der Schwulen- und Lesben-Bewegung.

Für Rost und Mátéfy war die Wahl Rentzings wohl das letzte Signal, Sachsen zu verlassen. Über die Brücke, die ihnen gebaut wurde – sie hätten eine gemeinsame Pfarrei übernehmen können, wenn der Kirchenvorstand der betreffenden Gemeinde einstimmig zugestimmt hätte –, mochten sie nicht gehen. „Man ist immer abhängig von dem persönlichen Wohlergehen vieler Beteiligter“, sagt Mátéfy. In seiner Dresdner Gemeinde im Stadtviertel Johannstadt, einem sozialen Brennpunkt, löste sein Abschied Bestürzung aus. „Er war genau der Pfarrer, auf den wir lange gewartet haben“, klagt Ralf Reinsperger, Kirchenvorstand der Dresdner Gemeinde. Mátéfy habe den „Nerv der Leute getroffen“, seinetwegen seien auch Jüngere öfter in den Gottesdienst gekommen: „Manchmal gab es nach seinen Predigten spontanen Beifall.“

Stattdessen darf sich jetzt Maren Meineke freuen. „Für uns sind die beiden ein Glücksfall“, sagt das Mitglied des Sandesnebener Kirchengemeinderates. Meineke, mit ihrer Familie Inhaberin von fünf Edeka-Märkten in Sandesneben und Umgebung, hat in ihrem Berufsleben schon viele Bewerbungsgespräche geführt. Selten sei sie sich so sicher gewesen wie bei der Vorstellungsrunde der Pastoren im Kirchenrat: „Die beiden haben menschlich wie fachlich einen Top-Eindruck gemacht.“ Zudem hätten beide Pfarrer auch dank ihrer Auslandserfahrung die gewünschte Expertise in Sachen Flüchtlingsarbeit. Beide studierten in Rumänien, Rost legte sein Vikariat in Rom ab.

Und die Gemeinde? Als Meineke ihre Mutter zum neuen Pastorenpaar fragte, sagte die nur: „Ob mich mal ein schwuler oder nicht schwuler Pastor beerdigt, ist doch nun völlig egal.“ So entspannt sehen das indes nicht alle, auch Maren Meineke ist sicher, dass „darüber hinter vorgehaltener Hand schon getuschelt wird.“

Auch in hohen Kirchenkreisen im Norden ist das Ja zur Homo-Ehe im Pfarramt keineswegs unumstritten. Kirche müsse „Nein sagen lernen, auch wenn die Gesellschaft Druck ausübt“, sagt der ehemalige Lübecker Bischof Ulrich Wilckens. Der habilitierte Theologe ist überzeugt, dass Homosexualität mit dem Neuen Testament nicht vereinbar sei: „Homosexuellen Menschen muss die Kirche raten, bindungslos zu leben.“

Pröpstin Eiben entgegnet: „Ich sehe die Bibel immer im gesellschaftlichen Kontext – und der verändert sich. Ich finde, wir sollten uns an der Haltung Jesu orientieren, gerade wenn es um moralische Verbote geht. Gerechtigkeit, Freiheit, Verantwortung und Nächstenliebe, das sind seine Werte.“ Eiben hält es für einen „Skandal, dass Sexualität und gleichgeschlechtliche Liebe immer noch mit Sünde verbunden werden. Wir sollten von Sünde reden, wenn Waffen in Krisenregionen exportiert werden oder Menschen auf der Flucht sterben.“

Bei Kaffee und Kuchen waren nach dem Gottesdienst im reetdachgedeckten Gemeindesaal theologische Diskussionen indes kein Thema. „Die beiden sind sehr nett und sprechen auch so deutlich“, sagte eine ältere Dame. Und freute sich über das Marzipanherz. Die hatten die Pfarrer am Ausgang allen Frauen spendiert. War ja Muttertag.