Hafencity . Protestanten in Hamburg verlieren in einem Jahr 12.000 Mitglieder, ein bundesweiter Rekord. Zuwachs bei den Katholiken.

Jeden Sonntagmorgen läuten die Glocken, aber nur wenige Menschen kommen in die Kirche: In keinem Bundesland ist das Interesse am evangelischen Gottesdienst so gering wie in Hamburg. Da wird regelmäßig in Gemeindebriefen, im Internet und in Zeitungen für eine Veranstaltung geworben, die so sicher wie das Amen in der Kirche stattfindet. Aber gerade einmal zwei Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder in Hamburg nehmen daran teil.

Das jedenfalls geht aus einer neuen Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Jahr 2014 hervor. Pro Sonntag besuchen durchschnittlich 10.358 Hamburger einen evangelischen Gottesdienst – rund 60 Teilnehmer je Feier. Zum Vergleich: Bei den Katholiken liegt der Anteil derer, die eine Heilige Messe besuchen, bei rund zehn Prozent. Die Protestanten lassen sich offenbar nur schwer am Sonntagmorgen in die Gotteshäuser locken. Gerade die Vormittagstermine werden als ungünstig empfunden.

Dabei befinden sich die Hamburger in bester Gesellschaft, denn bei den schleswig-holsteinischen Protestanten ist das Interesse mit 2,1 Prozent ähnlich gering ausgeprägt wie in Hamburg. Nur bei den Bremern (2,4) und bei den Niedersachsen (drei Prozent) ist der Zulauf ein wenig stärker als im Norden.

Wie Susanne Gerbsch, Sprecherin von Bischöfin Kirsten Fehrs, dem Abendblatt sagte, hat „schlechter Gottesdienstbesuch in Hamburg leider eine jahrhundertealte Tradition“. Schon 1910 sei Hamburg als „unkirchlichste Stadt des Reichs“ bezeichnet worden. Selbst im Kriegsjahr 1940 besuchten gerade mal 0,5 Prozent der Gemeindemitglieder einen Gottesdienst.

Statistik erfasst nur Sonntagsgottesdienste

Bei der offiziellen EKD-Statistik wurden allerdings nur die traditionellen Sonntagsgottesdienste erfasst – und nicht die neu etablierten Formen. So verzeichnen die Veranstalter in Hamburg seit Jahren ein steigendes Interesse an Fahrrad- und Motorradgottesdiensten, an christlichen Feiern auf Barkassen und beim Hafengeburtstag. Auch Abendgottesdienste finden zunehmend Beachtung. Und sogar Taufgottesdienste unter freiem Himmel erfreuen sich großer Beliebtheit. Im Jahr 2011 wurden in einem einzigen evangelischen Gottesdienst mit rund 6000 Besuchern 243 Kinder in der Elbe getauft.

Dazu kommen die vielen Konzerte in den Gotteshäusern, die das evangelische Kirchenvolk mobilisieren. Sie üben offenbar eine größere Strahlkraft aus als der 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntag. Laut EKD-Statistik besuchen zwischen 40 und 60 Prozent der Hamburger evangelischen Kirchenmitglieder eine kirchenmusikalische Veranstaltung. Das gilt bundesweit als ausgezeichneter Wert. „Hamburg ist nach wie vor Hauptstadt der Kirchenmusik. Übrigens auch, was moderne Musik wie Gospels betrifft“, sagt Kirchensprecherin Susanne Gerbsch.

Doch die EKD-Statistik bringt für Hamburgs Kirchenleute auch schlechte Nachrichten: Im Jahr 2014 sind 2,4 Prozent der Mitglieder in der Hansestadt aus der Kirche ausgetreten – insgesamt 12.027 Protestanten. Das ist bundesweit die höchste Rate. Zum Vergleich: Im Saarland mit dem niedrigsten Wert waren es nur 0,8 Prozent. Wie aus der Erhebung hervorgeht, sank der evangelische Bevölkerungsanteil in Hamburg von 2004 bis 2014 um 4,3 Prozent. Höher fiel der Abwärtstrend nur in Schleswig-Holstein aus – mit einem Rückgang um 7,1 Prozent.

Katholische Erzbistum registriert Zuwächse

Während der Protestantismus im Norden Mitglieder verliert, registriert das katholische Erzbistum nach Abendblatt-Informationen leichte Zuwächse. Die Zahl der Kirchenmitglieder stieg von 392.181 Katholiken im Jahr 2004 auf 399.943 (2014). Das ist ein Anstieg um zwei Prozent.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland zählte zum Stichtag 31. Dezember 2014 rund 2,1 Millionen Mitglieder; in Hamburg knapp 492.000. Das sind 27,9 Prozent der Bevölkerung. Vor zehn Jahren waren es noch 32,2 Prozent. Die Gründe für den Hamburger Negativrekord sind nach Kirchenangaben nicht bekannt. Wer austrete, müsse keinen Grund angeben, sagt Susanne Gerbsch. „Daher können wir diese Zahl nicht Beweggründen zuordnen.“ Jeder Austritt schmerze, weil die Kirche auch eine Solidargemeinschaft sei, die in die Gesellschaft hineinwirke, betont sie. „Insgesamt lässt sich in Deutschland seit Jahren eine große Institutionenmüdigkeit feststellen.“ Sie betreffe Parteien, Gewerkschaften, Vereine – und auch die Kirchen, sagt Susanne Gerbsch.

Für die Mitarbeiter in der Bischofskanzlei sagt der Blick auf Mitgliederzahlen allein nicht alles aus. Es gebe viele Menschen, die nicht getauft seien und sich dennoch im Rahmen der Kirche engagieren – nicht zuletzt bei der Flüchtlingshilfe, hieß es.

Dass die Katholiken dagegen zulegen, führt Erzbistumssprecher Manfred Nielen auf den verstärkten Zuzug von Katholiken ins Erzbistum Hamburg zurück. So sei der Anteil von Katholiken, die aus dem Ausland zuziehen, von 17,3 Prozent im Jahr 2004 auf 19,9 Prozent (2014) gestiegen.

Wie in Hamburg ist der Protestantismus im gesamten Norden von einem Rückgang betroffen. Lag der Anteil der evangelischen Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung in Niedersachsen im Jahr 2004 noch bei 52 Prozent, so sind es zehn Jahre später nur 46,9 Prozent. Dennoch befinden sich im Norden mit Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen nach wie vor die protestantischen Hochburgen Deutschlands.