Echte Heavy-Metal-Fans kann so schnell nichts erschüttern. Eindrücke vom legendären Rockfestival Wacken Open Air.

Schmotz. Schlurch. Schwabber. Das ist der Anbeginn von Heavy Metal: Die Geräusche von Gummistiefeln im wadentiefen Modder begleiten die 75.000 zahlenden Besucher des 26. Wacken Open Airs überall hin. Auf die Campingplätze, auf das Bühnengelände und auf die Wasserwege dazwischen. Eigentlich ist es kein Wacken Open Air, sondern eine „Full Metal Cruise“, wie die Metal-Kreuzfahrten der Wacken-Veranstalter heißen. In anderen Jahren beneidet man die Polizisten um ihre Quads, mit denen sie über das Gelände düsen. Dieses Jahr hätte man lieber Jetskis. Eigentlich wünschte man sich sogar auf den „Full Metal Mountain“, einen weiteren Ableger der erfolgreichen Musik-Marke. Da flösse das Wasser wenigstens weg vom Zelt. Aber zetern und klagen hat keinen Sinn, die Metal-Jünger wissen, dass sie in der norddeutschen Tiefebene sind und bleiben werden.

Also huldigt man einem versteckten Heiligen: Der Heavy Metal wurde nicht in den 60er-Jahren erfunden, als die Kinks ihre Verstärker bis zum Anschlag aufrissen, sondern 1840, als Charles Goodyear das Hartgummi und damit die Grundlage des Gummistiefels entwickelte. Geiler Typ, dessen Erbe diese Ausgabe des Wacken Open Airs bestimmt. Entweder man hat Gummistiefel oder man wünscht sich welche.

Aber ob in Stiefeln, in mit Klebeband abgedichteten Turnschuhen, in Nato-Sandalen (Springerstiefel) oder barfuß: Die Metalheads lassen sich die Laune nicht durch stundenlanges Im-Stau-Stehen, abgesoffene Zelte und das holsteinische Binnenland-Wattenmeer verhageln. Solange das Bier ebenso in Strömen fließt wie die Regenschauer, bleibt der Metaller entspannt, arrangiert sich mit den Umständen und freut sich auf knapp 120 Bands aller Genres und Sparten.

Das können alte Indierock-Bands wie New Model Army sein oder Orgelgott Mambo Kurt am Mittwoch auf der Zeltbühne. Oder das Teutonen-Metal-Urviech Udo Dirkschneider, das sich am Donnerstag vom Musikkorps der Bundeswehr begleiten ließ. Diese Kapelle hatte wahrscheinlich die wenigsten Probleme bei der Anreise, auch wenn sich Backstage keine Panzer entdecken lassen. Möglicherweise haben sich die Herren auch einfach abwerfen lassen: Die Vaterlandsverteidiger kreisen nämlich ohnehin mehr oder minder durchgängig über dem Gelände. Hubschrauber-, Transportmaschinen- und Düsenjägerpiloten wollen halt auch mal gucken, was die Masse Metal-Mensch so treibt. Allerdings wären die Kollegen, die sich besser mit dem Fußboden als mit den luftigen Höhen auskennen, die hilfreichere Alternative gewesen. Kettenfahrzeuge wären in Anbetracht der Großwetterlage eine echte Maßnahme.

Die Organisatoren versuchen ihr Bestes, um mit Baggern, Rindenmulch und Sand der Lage Herr zu werden, aber selbst die bereits 2008 auf dem Gelände angelegte Drainage bewirkt nicht viel. Nicht nur die Fans bleiben stecken, auch Sanitäter, Bandshuttles, Gastronomen und die WC- und Duschencrews arbeiten im permanenten Ausnahmezustand. 5000 Mitarbeiter packen in Wacken an, wuchten 1000 Tonnen Bühnenmaterial aus 65 Sattelzügen und bauen eine Woche lang im Dauerregen das „Full Metal Village“ auf. Und wenn Sonntag alles am Ende ist, die Fans abreisen, bleiben sie und bauen weitere vier Tage ab und nehmen auch noch 600 Tonnen Müll mit.

Hamburg Airport wird zum Wacken Airport

Der Empfangsbereich für Wacken-Fans am Hamburg Airport: Am Morgen war es noch ruhig
Der Empfangsbereich für Wacken-Fans am Hamburg Airport: Am Morgen war es noch ruhig © HA | Hamburg Airport
Erwartet werden 4.000 bis 5.000 Gäste, die am Hamburg Airport ankommen. Dafür wurde erneut einen extra Empfangsbereich eingerichtet. Diese Gruppe aus Bulgarien freut es
Erwartet werden 4.000 bis 5.000 Gäste, die am Hamburg Airport ankommen. Dafür wurde erneut einen extra Empfangsbereich eingerichtet. Diese Gruppe aus Bulgarien freut es © HA | Hamburg Airport
Der Wackenstrandkorb wird dann auch gleich mal ausprobiert
Der Wackenstrandkorb wird dann auch gleich mal ausprobiert © HA | Hamburg Airport
Dieses Pärchen aus der Schweiz ist ebenfalls am Dienstag angekommen
Dieses Pärchen aus der Schweiz ist ebenfalls am Dienstag angekommen © HA | Hamburg Airport
Das Service-Personal des Flughafen hat extra seine Uniform gegen Festival-T-Shirts eingetauscht
Das Service-Personal des Flughafen hat extra seine Uniform gegen Festival-T-Shirts eingetauscht © HA | Hamburg Airport
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Damit nicht genug, die Damen und Herren sind auch noch flexibel. Der Shuttlebus von der Haltestelle Itzehoe zum Metal-Hauptbahnhof Wacken fährt Hunderte von Metalheads öfter als geplant und dazu kostenlos durch die Gegend, um mehr Menschen ohne den Boden umgrabende Autos zum Festival zu bringen. Das Wetter fordert viel von den Gästen. Und noch mehr von den Menschen, die arbeiten müssen. Die Crew ist ganz sicher Heavy Metal.

Selbst die lokale Fauna scheint gut eingestellt zu sein auf diese eine Woche im Jahr, in der statt ländlicher Ruhe metallischer Krach das kleine schleswig-holsteinische Dorf prägt, das plötzlich und unerwartet weltberühmt wurde: Eine Feldmaus-Großfamilie huscht durch ein Camp, sucht zwischen leeren Bierflaschen und Konservendosen nach Nahrung und findet sie en masse, dezent betrunkenen Metalheads sei Dank. Sie wird – anders, als man das möglicherweise erwarten würde – nicht geopfert oder rituell verzehrt, sondern angefeuert und fotografiert. „Nein, da lang! Nu guck doch, Mäuschen, da liegt ein halbes Stück Toastbrot, davon kannste tagelang leben! Yeah­,­ genau da! Wo ist eigentlich mein Bier?“

Nur wenige Zentimeter über der nassen Sohle sieht Wacken aus wie jedes Jahr. Zehntausende Hände bilden bei Savatage die Pommesgabel-Geste, wer Haare hat, schüttelt die durchnässte Mähne trocken. Wildfremde geben sich gegenseitig spontan Bier aus, fachsimpeln über wichtige Fragen des Lebens („Sind Gummistiefel Heavy Metal?“, „Wie lange kommt man damit durch, sich nicht zu waschen?“ und natürlich: „Wo kriegen wir das nächste Bier her?“) und lassen Petrus einen guten Mann sein.

Metal ist Liebe, Hingabe, Bewunderung. Ein Bündel positiver Emotionen

Und wenn die Mittelalter-Rocker In Extremo zwischen Flammenwand-Donner und Sackpfeifen-Attacken dann auch noch „Küss mich!“ singen, versinkt so manches Paar in zweisamer Innigkeit. Dann dreht man sich nicht in Wacken, sondern Wacken dreht sich um die Liebenden. Kein Wunder, zumindest nicht für die Eingeweihten: Schließlich ist Metal Liebe, Hingabe und Bewunderung. Ein Bündel positiver Emotionen, das so tiefer Bestandteil dieser sehr sichtbaren Subkultur ist wie schwarze Shirts und krachige Parolen in unleserlichen Schriftarten.

Liebe und unbedingte Hingabe zur Musik, die können auch brutal sein. Direkt in die Visage. Ein Keulenkuss. Ein Tritt dahin, wo es weh tut. So wie beim Hamburger Duo Mantar, das am Donnerstag, nur mit Gitarre und Schlagzeug, die Zeltbühne vor Mitternacht im Wortsinn auffegt. Brachiale, herausgeschriene Urgewalt, Schweiß, der in Bächen über Muskeln läuft, intensives Aufgehen im Lärm. Wunderbar, ganz wunderbar. Wer will, kann sich danach selber beim Metal-Karaoke mit Liveband am Rockstar-Dasein versuchen oder vielleicht doch lieber den Weg heim zum Zelt suchen. Der bleibt im Dunkeln, wo sich keine Tiefe einer Pfütze mehr erahnen lässt, das vielleicht größte Abenteuer unserer Zeit. Wer nicht ganz genau weiß, wo die Punkte c), d), z) und 443-q) sind, die den Weg von A nach B weisen, ist deutlich länger unterwegs, als er das ursprünglich geplant hatte.

Aber verzagen gehört nicht zum emotionalen Inventar des eingefleischten Metalheads. Die Ausdauer wird schließlich auch belohnt: Am Freitag geschieht das Wunder. Zuerst glauben alle, nur einen Wetterballon zu sehen oder ein Ufo, aber es ist tatsächlich die Sonne, und endlich ist auch der Himmel blau. Für ein halbes Stündchen nur, aber immerhin. Man nimmt mit, was man kriegen kann, und lechzt nach weiteren Auftritten dieses von allen ersehnten Special Guests.

Im einen Moment blinzelt man ungläubig in den hellen Ball am Himmel und im nächsten doch wieder auf den Festivalplaner. Auf zu den brasilianischen Tribal-Thrashern Sepultura, den norwegischen Knüppelwikingern Kvelertak, den schwedischen Neo-Progressive-Göttern Opeth. Bands aus aller Herren Länder für Fans aus aller Herren Länder. Man steht an einer Kreuzung, schaut, wann die Finnen-Metaller Stratovarius spielen, und in dem Moment wirft sich wenige Meter entfernt ein völlig schmerzfreier Fan mit freudigem „Yeeehaw“ in den Matsch und beginnt mit langsamen Schwimmbewegungen. Wahrscheinlich ein ehemaliger Soldat, der die legendäre und nur bedingt belegte Anweisung „Ab einer Wassertiefe von 80 Zentimetern hat der Soldat mit selbstständigen Schwimmbewegungen zu beginnen“ mehr beherzigt hat andere.

Der Drang, sich einfach gehen zu lassen und ebenfalls ein Bad in der Suhle nehmen, ist spürbar. Soll ja gesund sein.