Heide . Zur Premiere des Kinofilms mit vielen YouTube-Stars kommen trotz schlechten Wetters 5000 Fans in die Dithmarscher Kreisstadt.
„Bitte, bitte, bitte! Komm hierher!“ Die Fans brüllen so laut, dass die Glocke der nahegelegenen Kirche klein beigibt. Normalerweise gibt sie hier den Ton an, aber gegen diese frenetische Begeisterung kann sie nicht anschlagen. „Melina, ich liebe dich!“ ruft ein Mädchen und hält eine Pizzaschachtel hoch. Melina mag Pizza, da wird sie sicher kommen, um zu probieren. Ein Stück Pizza gegen ein Stück Nähe. „Kannst du auf meinem Skateboard unterschreiben, Bibi? Mit Lippenstift?“ Klar, kann sie das. Hier und heute ist nichts unmöglich. „Torge, ich will ein Kind von dir!“ Naja, alles ist vielleicht doch nicht möglich ...
Wir sind in Heide, und Heide brennt. An anderen, normaleren Tagen rühmt sich die Stadt damit, über den größten unbebauten Marktplatz Deutschlands zu verfügen. Seit über 500 Jahren findet dort der Wochenmarkt statt, doch heute geht es nicht um Traditionen, heute ist die Zukunft zu Besuch. Die bekanntesten YouTuber Deutschlands sind auf dem Marktplatz, um die Premiere ihres gemeinsamen Films „Kartoffelsalat“ zu feiern. Und – Überraschung – diese Komödie läuft keineswegs im Internet, sondern ab Donnerstag im Kino. Wir erleben also eine Symbiose: Altes Medium trifft neues Medium und zusammen sind sie stark. Den Teaser zum Film „Kartoffelsalat“ hatten 48 Stunden nach seinem Hochladen auf YouTube und Facebook bereits mehr als 1,3 Millionen Menschen angesehen, was ihm den Titel als „erfolgreichster deutschsprachiger Teaser-Start aller Zeiten“ einbringt. Davon kann man sich noch nichts kaufen, aber es beruhigt die Filmemacher ungemein.
„Obwohl wir überhaupt kein Geld für Werbung oder Marketing ausgeben können, haben die Leute von unserem Film erfahren“, sagt Michael David Pate und schaut fast ungläubig auf den Andrang am roten Teppich. Der 35-jährige Regisseur ergänzt, dass es eigentlich auch sonst kaum Budget gab. Überstunden bei den Dreharbeiten wurden mit Bier bezahlt, der Imbiss vor Ort spendierte mal 60 Döner, als das Catering knapp wurde, die Pizzeria sprang ebenfalls ein, das ganze Dorf half mit. Auch Geld für eine Premiere in Berlin oder Hamburg fehlte. Zu hoch waren die Summen, die die Veranstalter für die nötigen Sicherheitsvorkehrungen veranschlagten. „YouTube-Stars sind die Rockstars von heute. Wenn die kommen, muss man mit Massenaufläufen rechnen“, sagt Pate.
Die Stadt Heide hingegen freute sich über die Premieren-Anfrage. Endlich mal was los in der Bude, und so schlimm könne es ja nun nicht werden. Wie viele Leute verirren sich schon nach Dithmarschen?
Eben doch ein paar. Knapp 5000 Fans sind erschienen, um trotz Regens jeden Auftritt auf dem roten Teppich und auf der Bühne zu bejubeln und zu knipsen, was das Smartphone hergibt. Der Rummel überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass sich hier die Größten einer noch jungen Szene treffen: Freshtorge, Melina, Beauty-Bloggerin Bibi und ihr Freund Julian, Lifestyle-Bloggerin Dagi Bee, Comedians wie Y-Titty, die Außenseiter sowie viele andere YouTuber spielen im Kinofilm „Kartoffelsalat“ mit. Zusammen bringen sie es auf 22 Millionen Fans, und die folgen ihren Stars nicht nur im Netz, sondern bis ins tiefste Norddeutschland.
Es sind keine Stars, wie wir sie früher kannten: unnahbar, geheimnisvoll, reich. Die Stars von heute wohnen in der WG gleich nebenan, sie erzählen ihren Zuschauern fast alles, leben vom Austausch mit ihnen und müssen meistens zwei Jobs gleichzeitig wuppen: den, den sie gelernt haben, und den, den sie kreiert haben.
Torge Oelrich war zum Beispiel gelernter Erzieher, als er 2009 unter dem Namen Freshtorge mit dem Hochladen seiner selbst gedrehten Sketchvideos begann. Besonders witzig spielt der 26-Jährige seine Rolle als Sandra, einem nervigen Schulmädchen. Inzwischen hat Freshtorges Kanal 1,3 Millionen Abonnenten, damit gehört er zu den erfolgreichsten YouTubern Deutschlands. Dennoch: Torge Oelrich will weiter als Erzieher an der Grundschule in seinem Heimatort Wesselburen arbeiten. Bei den Dreharbeiten bedeutete das für ihn Stress pur. Nach seinem Schul-Alltag hetzte er zum Drehort, der Friedrich-Hebbel-Schule, wo er selbst 2006 seinen Realschulabschluss gemacht hat. „Anscheinend hat mich der Direktor nicht in zu schlechter Erinnerung,“ sagt Freshtorge. „Jedenfalls war er gleich einverstanden, als ich ihm erklärte, was für einen Quatsch ich in seiner Schule anstellen wollte.“
Der Quatsch ist eine solide Teenager-Zombie-Komödie mit einem Hauch „Moral von der Geschichte“. An diesem Premierentag läuft sie im Lichtblick Theater in allen vier Sälen von 10 bis 23 Uhr. Der Inhalt ist schnell erzählt: Der Schüler Leo Weiß (gespielt von Freshtorge) ist ein Außenseiter. Er wechselt auf eine andere Schule, aber auch dort wird er gleich wieder gemobbt. Als jedoch ein gefährliches Virus ausbricht, der die Menschen zu Zombies macht, kann Leo alle retten und steigt zum Helden auf.
Mobbing sei eines der größten Probleme der Jugendlichen heutzutage, findet Freshtorge. Durch die sozialen Medien habe es zugenommen, „denn eine mündliche Beleidigung ist irgendwann vergessen, ein Post bleibt für die Ewigkeit“, sagt Freshtorge. Als Pädagoge weiß er, dass es nichts bringt, mit dem erhobenen Zeigefinger darauf hinzuweisen, aber in homöopatischen Dosen unter ganz viel Klamauk gemischt komme es vielleicht an.
Der Humor des Films soll sowohl die jungen Zielgruppe als auch die Elterngeneration ansprechen. Wer „Die nackte Kanone“ gut fand, wird bei „Kartoffelsalat“ lachen. Und wer „Breaking Bad“ kennt, kann sich am stummen Philosophielehrer Salamanda erfreuen. Wahrhaft komisch sind selbstironische Auftritte wie die von GSZS-Star Wolfgang Bahro und Jenny Elvers, die ihre Alkoholsucht aufs Korn nimmt, womit wir bei den Wortspielen wären, die genau wie die bildlichen Metaphern extrem häufig vorkommen.
Und dann, neben all den jungen Leuten, tänzelt einer über den roten Teppich, der seit Jahrzehnten sein Publikum unterhält: Otto Waalkes. An diesem Sonntag in Heide und im Film wirkt das ein bisschen so, als hätte sich ein alter Hase in eine Kükenfarm verirrt. Aber von Verirrung kann keine Rede sein, er hat den Weg gezielt gesucht. Otto bot Freshtorge im Vorfeld seine Hilfe an, er wurde zum Co-Produzenten, denn er weiß um das Potenzial der YouTuber: „Das sind die Stars von heute! Sie haben Millionen Fans, die ihre Videos angucken und stundenlang ausharren, um ihre Stars live zu sehen.“
Waalkes Mitwirken gibt Selbstvertrauen. „Er war einer der Ersten, der uns nicht belächelt hat, sondern uns Vertrauen schenkt“, sagt Freshtorge. Otto habe verstanden, was YouTube ausmache, und jetzt müsste doch endlich mal die Fernsehlandschaft nachziehen. „Wenn die Sender uns jetzt nicht ernst nehmen, dann ist wirklich alles zu spät. Die suchen verzweifelt ihre Zielgruppe, aber die ist hier bei uns.“ Auf YouTube – und auf dem Marktplatz in Heide.