Robert Habeck: Die Robbenpopulation in der Nordsee ist wieder stabil. Gesamtbilanz des Artenschutzberichts aber negativ. „Ihr Leben und ihr Sterben gehört zur Natur“, sagte Habeck.
Kiel. Den Seehunden geht es wieder gut – auch dank der Seehundjäger. Sie töten kranke Tiere. Für diese Arbeit werden sie oft kritisiert. Robert Habeck (Grüne), Schleswig-Holsteins Umweltminister, nahm sie jetzt in Schutz. „Die ehrenamtlichen Seehundjäger kümmern sich mit großem Engagement um die Seehunde“, sagte er bei der Vorstellung des Jagd- und Artenschutzberichts. „Diese Arbeit verdient Respekt.“ Die Seehundpopulation in der Nordsee ist stabil. Daran hat auch der Influenzavirus nichts geändert, der im Herbst grassierte. Im schleswig-holsteinischen Teil des Wattenmeers starben rund 1600 der 13.000 Seehunde.
„Ihr Leben und ihr Sterben gehört zur Natur“, sagte Habeck. Auf den meisten der 150 Seiten des Jagd- und Artenschutzberichts geht es allerdings um Phänomene, die eindeutig nicht zur Natur gehören. Zum Beispiel um das langsame Verschwinden der Wildkaninchen. Mittlerweile sind sie in einigen Gebieten des Landes schon ausgestorben, etwa in Teilen der Kreise Herzogtum Lauenburg, Stormarn und Plön. Gradmesser für diese Entwicklung sind unter anderem die Jagdstrecken, also die Menge an Tieren, die die Jäger erlegt haben. 1983 wurden in ganz Schleswig-Holstein noch etwa 120.000 Wildkaninchen geschossen. Im Jahr 2003 waren es dann nur noch 20.800, im vergangenen Jahr sogar nur noch 11.000 Tiere.
Dieser dramatische Rückgang hat offenbar mehrere Ursachen. Zum einen werden immer mehr Flächen landwirtschaftlich genutzt. Zugleich wächst die Zahl der natürlichen Feinde (Fuchs, Hauskatzen, Greifvögel). Infektionskrankheiten wie die Chinaseuche belasten die Wildkaninchen zusätzlich. Dennoch besteht durchaus noch Hoffnung, dass sich die Bestände wieder erholen.
Bei den Wildbienen, zu denen auch die Hummeln gehören, sieht das anders aus. Von den insgesamt 296 Arten, die in Schleswig-Holstein vorkommen, sind 163 in ihrem Bestand gefährdet und 70 bereits ausgestorben. Weil die Menschen Straßen und Häuser bauen, Parkplätze asphaltieren, weil sie also Natur zerstören, fehlen den Bienen die Nistplätze und die Nahrungsquellen. Blütenarme, ausgeräumte Landschaften haben für die Wildbienen Wüstencharakter – sie können dort nicht überleben. „Hier zeigt sich das Problem des Artenverlusts wie unter einem Brennglas“, sagte der Umweltminister.
Wildkaninchenhilfe ist schwierig, Wildbienenhilfe allerdings nicht. Jeder, der einen Garten hat, kann dafür sorgen, dass es dort genug blühende Pflanzen gibt. Sie sollten möglichst während der gesamten Vegetationsperiode Pollen liefern. Zu den geeigneten heimischen Pflanzen zählen Rotklee, Weißklee, Wiesen-Salbei und Wilde Möhre.
Dass Tierschutz offenbar auch etwas mit der Attraktivität des Tieres zu tun hat, zeigt das Beispiel des Seeadlers. Eine fleißige Projektgruppe kümmert sich seit Jahren um die einzelnen Horste dieses allein schon wegen seiner Größe auffälligen Vogels. Mit Erfolg: 83 Seeadlerreviere waren in diesem Jahr besetzt. 1990 waren es weniger als zehn. Die meisten Paare (20) brüteten im Kreis Plön. Im Kreis Segeberg waren es sieben Paare, in Stormarn zwei und in Pinneberg eins. Wie sehr die Zivilisation auch die Seeadler in Gefahr bringt, zeigen die Analysen der Totfunde. Von Januar 2013 bis August 2014 wurden 18 tote oder schwer verletzte Tiere gefunden. Drei waren mit Windanlagenflügeln kollidiert, zwei hatten Stromleitungen berührt. Einer starb durch eine Kollision mit einem Zug, einer wurde mit Sportmunition beschossen, zwei weitere starben an einer Vergiftung. Bei allen anderen konnte die Todesursache nicht ermittelt werden.
Die Gesamtbilanz des Artenschutzberichts ist negativ. Der Artenverlust setzt sich fort, und er vollzieht sich oft im Verborgenen. „Man sieht nicht, was man verliert“, sagte Robert Habeck. Bei den Wildbienen ist das gewiss so. Selbst bei den Säugetieren sind Veränderungen oft nicht wahrnehmbar. Nur 59 Säugetierarten sind in Schleswig-Holstein heimisch. Seit 2001 ist eine ausgestorben: das Große Mausohr, eine Fledermausart. Zwei sind hinzugekommen: der Biber und die Hausratte, die zum Beispiel im Süden des Kreises Herzogtum Lauenburg festgestellt wurde. 14 der 59 Säugetierarten gelten als stark gefährdet oder sind schon vom Aussterben bedroht.
Trotz vieler Bemühungen hat sich auch die Lage der Igel verschlechtert. Igel werden jetzt in einer Vorstufe für die Rote Liste der bedrohten Arten geführt. Die Vorstufe umfasst Arten, die in den kommenden Jahren Probleme bekommen werden, wenn die derzeit bestehenden Beeinträchtigungen nicht abgestellt werden können.
Für den Umweltminister Habeck ist der Artenschutzbericht ein „Kompendium des Niedergangs“. Er zeige eindrücklich, wie die Natur unter der Intensivierung der Landwirtschaft und unter dem Bau von Straßen und Gewerbegebieten leide. „Die übergeordneten Probleme sind enorm“, sagte er. Es sei eine Mammutaufgabe, dem Druck der Zivilisation standzuhalten.