Heftige Auseinandersetzung im Niedersächsischen Landtag über Noten und Sitzenbleiben. Opposition greift Ministerin an. Für zusätzlichen Zündstoff sorgt eine Umfrage des Norddeutschen Rundfunks.

Hannover. Alter Konflikt in neuer Kulisse: Erbittert hat der Niedersächsische Landtag am Mittwoch über die von der rot-grünen Mehrheit geplante umfassende Schulgesetznovelle gestritten. Es war der erste Sitzungstag im neuen provisorischen Plenarsaal, in dem die 137 Abgeordneten bis ins Jahr 2017 eng zusammenrücken – in der Schulpolitik aber trennen sie unverändert Welten.

Für zusätzlichen Zündstoff sorgt eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Umfrage des Norddeutschen Rundfunks. In gleich mehreren zentralen Reformpunkten nämlich steht danach die rot-grüne Schulpolitik im Widerspruch zu dem, was eine breite Mehrheit der Menschen wünscht. So sprachen sich 79 Prozent der Befragten in Niedersachsen für die Beibehaltung von Schulnoten an den Grundschulen aus, und 70 Prozent wollen, das es weiter bei einer Schullaufbahnempfehlung am Ende der Grundschule bleibt. Aber die von der rot-grünen Mehrheit angeschobene Novelle des Schulgesetzes enthält noch weitere Punkte, die die Opposition attackiert. Nachdem bereits die Gründung neuer Gesamtschulen erleichtert worden ist, soll sie künftig eine ersetzende Schule werden, könnte also bestehende Schulen ablösen. Der CDU-Abgeordnete Kai Seefried warnte: „Sie wollen die Einheitsschule auf den Weg bringen, Sie stehen für eine Politik gegen das Gymnasium.“ Der SPD-Abgeordnete Claus Peter Poppe reagierte mit dem Vorwurf, hier würden künstlich Krisenszenarien an die Wand gemalt. Mit kleineren Klassen und mehr Geld werde ganz im Gegenteil die Attraktivität der Gymnasien gestärkt. CDU-Oppositionsführer Björn Thümler dagegen erinnerte Ministerpräsident Stephan Weil an sein früheres Versprechen, von ihm hätten die Gymnasien nichts zu befürchten: „Jetzt legen Sie die Axt an das Gymnasium und die Oberschulen.“ Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) erinnerte daran, dass die CDU das Abitur nach nur acht Gymnasialjahren eingeführt habe, und die rot-grüne Landesregierung entspreche mit der Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren dem Willen einer breiten Mehrheit der Eltern: „Bleiben Sie in ihrer Meckerecke, wir machen moderne Politik mit einem Bildungschancengesetz.“ Heiligenstadt weiter: „Sie gehen in die Schützengräben der Strukturdebatte zurück.“

Tatsächlich leistet sich Niedersachsen als einziges norddeutsches Bundesland ein Nebeneinander von fünf Schulformen für die Sekundarstufe eins mit den Klassen fünf bis zehn: Haupt-, Real- und Oberschulen, Gymnasien und Gesamtschulen. Angesichts der rückläufigen Schülerzahl ist absehbar, dass es nicht ohne Schulschließungen abgehen wird. Ministerpräsident Weil und Kultusministerin Heiligenstadt aber verweisen dazu lediglich auf die Verantwortung der kommunalen Schulträger für die Schließung von Schulen oder die Schaffung neuer Gesamtschulen. Nach Weils Einschätzung gibt es letztlich immer eine „Abstimmung mit den Füßen“ durch die Entscheidung der Eltern.

Absehbar ist, dass die Debatten über die Schulgesetznovelle die Fronten weiter verhärten. Schließlich gibt es noch andere Streitthemen wie die Abschaffung des Sitzenbleibens und den geplanten Verzicht auf die Möglichkeit, Kinder vom Gymnasium auch zwangsweise auf andere Schulformen zu verweisen. Der FDP-Landtagsabgeordnete und schulpolitische Sprecher Björn Försterling erwartet „ein Jahr der Unruhe“ und beklagt, mit immer neuen Ankündigungen würden die Schulen verunsichert. In wenigen Wochen will die Landesregierung ihren Entwurf für die Gesetzesnovelle vorlegen, die zum Schuljahr 2015/2016 greifen soll.

Unverändert schwelt zudem der Konflikt der Landesregierung mit den Gymnasiallehrern, die seit Beginn des neuen Schuljahres 24,5 Stunden Unterrichtsverpflichtung haben, eine Stunde mehr als bislang. Der Philologenverband geht dagegen gerichtlich vor, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft droht mit Streiks an den Schulen.

Auf der anderen Seite ist unbestritten, dass die rot-grüne Koalition deutlich mehr Geld in die Bildungspolitik steckt durch Erhalt aller Lehrerstellen trotz sinkender Schülerzahlen und Ausbau der Ganztagsschulen sowie mehr Geld auch für die Inklusion, also die gemeinsame Beschulung behinderter und nicht behinderter Kinder. Zudem beginnt in wenigen Wochen das neue Semester an den Hochschulen in Niedersachsen erstmals ohne die bislang fälligen Studiengebühren von 500 Euro.