Abkehr von G8: Rot-grüne Landesregierung gibt Druck von Eltern und Lehrern nach. Besonders leistungsfähige Schüler sollen aber auch künftig die Möglichkeit haben, das Abitur nach acht Jahren zu machen.
Hannover. In Hamburg wollen der Senat und die Parteien in der Bürgerschaft am Abitur nach acht Jahren Unterricht am Gymnasium nicht rütteln, obwohl eine große Mehrheit in der Bevölkerung für die Verlängerung der Schulzeit plädiert. Das Nachbarland Niedersachsen dagegen plant ein Jahrzehnt nach der Einführung, das sogenannte Turbo-Abitur (G8) wieder abzuschaffen. Vom Schuljahr 2015/16 an wird an niedersächsischen Gymnasien die Reifeprüfung wie bis zum Jahr 2004 nach neun statt acht Jahren abgelegt.
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) geizte am Mittwoch zwar noch mit Details und verwies auf die laufenden Beratungen einer Expertenkommission. Im Kern aber beugt sich die rot-grüne Landesregierung in Hannover dem massiven Druck von Schüler-, Eltern- und Lehrerverbänden: „Die Tür zum G9 ist offen“, sagte Heiligenstadt. Zuvor war auch die große Oppositionspartei CDU umgeschwenkt, die vor zehn Jahren die treibende Kraft bei der Schulzeitverkürzung gewesen war.
Besonders leistungsfähige Schüler sollen nach dem Willen der Kultusministerin aber auch künftig die Möglichkeit haben, das Abitur nach acht Jahren zu machen. Dafür wird es absehbar jedoch keine zweigleisige Lösung mit G8 und G9 an den rund 250 Gymnasien geben, sondern Förderstunden für leistungsstarke Jugendliche, damit sie in der Oberstufe eine Klasse überspringen können. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) versicherte: „Wir wollen, dass die Gymnasien auf Dauer gute Perspektiven in Niedersachsen haben.“
Der Philologenverband, die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer, begrüßte die Ankündigung der Ministerin und sprach sich dafür aus, mit der Kehrtwende nicht bis zum übernächsten Schuljahr zu warten. Der Vorsitzende des Verbandes, Horst Audritz, forderte zudem, die Zeit bis zum Abitur nicht nur für die neuen fünften, sondern auch für die bereits existierenden Gymnasialklassen sechs und sieben wieder auf neun Jahre zu verlängern: „Wenn man erkannt hat, dass G8 für die Schüler schädlich ist, macht es keinen Sinn, Zehntausende von Schülern nach diesem System weiterlernen zu lassen.“
Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen begrüßten die Reformankündigung, der schulpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Björn Försterling, kritisierte die angepeilte Umsetzung erst im Jahr 2015. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag in Hannover, Kai Seefried, äußerte die Befürchtung, die Rückkehr zum G9 sei nur ein Ablenkungsmanöver für eine geplante umfassende Schulreform: „Die Ministerin will, dass Gesamtschulen jede andere Schulform ersetzen können.“ Unterschiedlich reagierten die großen Wirtschaftsverbände: Der Metallarbeitgeberverband Niedersachsen nannte die Ankündigung „einen richtigen Schritt zu auf die breite Mehrheit aus Schülern, Eltern, Lehrern, Parteien und Wirtschaft“. Der Arbeitgeberverband ChemieNord dagegen bedauerte den Kurswechsel.