Hamburgs Verhältnis zu Schleswig-Holstein ist gestört - das zeigt die Geschichte. Letztes Beispiel ist der Streit um die Windenergiemesse.
Hamburg/Kiel. Hammonia war noch nie kriegslüstern, denn bewaffnete Konflikte sind nicht gut fürs Geschäft. Aber auch wenn die allegorische Verkörperung der Freien und Hansestadt eine Frau ist, die statt eines Schwertes oder Speeres gern mit dem Merkurstab abgebildet wird, sollte man sie auf gar keinen Fall unterschätzen.
Hammonia zieht nur ungern ins Schlachtengetümmel, weiß ihre Interessen aber trotzdem hervorragend zu wahren. Aktuell ist dies - zum Beispiel beim Zank um eine Windenergiemesse zu beobachten. Hamburg will Husum den Wind aus den Segeln nehmen, indem die Stadt an der Elbe eine eigene Ausstellung plant, um der grauen Stadt am Meer den Garaus zu machen.
Wenn es um das Verhältnis zu ihren Nachbarn ging, ließen sich die Hamburger noch nie die Butter vom Brot nehmen. Gern setzten die Vertreter der Stadtrepublik in ihrer langen Geschichte auf Verhandlungen, aufs Reden, aufs Überreden, beriefen sich auf angeblich angestammte Rechte und präsentierten im richtigen Moment Schriftliches, das die eigenen Ansprüche aufs Schönste untermauerte.
Schauen wir zurück auf das Jahr 1189: Adolf III., Graf von Schauenburg und Holstein, versteht es vorzüglich, Hamburger Interessen durchzusetzen. Als er mit einem Kreuzfahrerheer Richtung Heiliges Land unterwegs ist, gelingt es ihm, eine Audienz bei Barbarossa zu bekommen. Der Kaiser zeigt sich von den Hamburger Ambitionen beeindruckt und verspricht einen Freibrief, in dem er den Hamburgern wichtige Privilegien erteilt. Das betrifft etwa die freie Schifffahrt bis zur Elbmündung und das Recht auf freien Warenverkehr in der gesamten Grafschaft Holstein.
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Der Freibrief ist eine enormer diplomatischer Erfolg, hat aber einen erheblichen Schönheitsfehler: Offenbar hat der Kaiser gerade nichts zum Schreiben dabei, denn Adolf III. bekommt nichts Schriftliches in die Hand. Das ist dumm, denn nur kurz nach dem für Hamburg so erfreulich verlaufenen Gespräch ertrinkt Barbarossa auf dem Marsch gen Jerusalem in einem Fluss.
Und das wird sich einige Jahrzehnte später rächen, als es zum Streit mit Bremen kommt. 1259 spielt der Bremer Erzbischof Stade gegen Hamburg aus. Jetzt wird der Freibrief dringend gebraucht, also entscheidet sich der Rat zu einer unkonventionellen Maßnahme: Für den gewaltigen Betrag von 10 400 Mark - was der heutigen Kaufkraft von etwa zwei Millionen Euro entspricht - lassen die Ratsherren das Dokument professionell fälschen, rückdatiert auf 1189. Das Siegel passt zwar überhaupt nicht zum Ausstellungsdatum, sieht aber wunderschön und sehr amtlich aus, sodass die Fälschung ihren Zweck bestens erfüllt. Erst im 19. Jahrhundert fliegt die Lüge auf, und inzwischen halten manche Historiker sogar Barbarossas mündliche Zusage für äußerst unwahrscheinlich. Doch selbst wenn sich Barbarossa und Adolf III. niemals begegnet sein sollten, war die Idee mit dem Freibrief genial.
Auch sonst überlassen die Hamburger im Streit mit ihren Nachbarn nichts dem Zufall. Zum Beispiel als sie im Clinch mit dem Harburger (!) Herzog Otto II. liegen, der gemeinsam mit den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg gegen Hamburg vor dem Reichskammergericht in Speyer klagt. Es geht um das sogenannte Stapelrecht: Soll auch weiterhin jedes vorbeifahrende Schiff gezwungen sein, in Hamburg festzumachen und dort seine Waren anzubieten? Für Harburg, Lüneburg, Stade und Buxtehude ist das ein großes Ärgernis, denn es verschafft Hamburg einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil. Doch wer hat die besseren Argumente?
Bei der Verhandlung am 3. Dezember 1567 gelingt den Hamburgern ein Überraschungscoup. Als Beweismittel bringt ein Diener eine ein Meter hohe und zwölf Meter lange Karte, die den Elbverlauf von Geestacht bis Buxtehude zeigt. Jede Flusswindung, jede Insel, jedes Dorf und - vor allem - alle Markierungen, die die Hamburger zur Sicherung des Schifffahrtsweges im Fluss verankert haben, sind darauf verzeichnet. Es ist eine unglaublich aufwendige Karte, die der Architekt und Kartograf Melchior Lorich 1567 innerhalb von nur acht Monaten für den Hamburger Rat in dreifacher Ausfertigung gemalt hat - natürlich ganz nach dessen Wünschen. Auch wenn die Karte keine Satellitenfotografie ist, beweist sie, dass Norder- und Süderelbe zwei Arme ein und desselben Flusses sind und es sich bei der für Hamburg so wichtigen Norderelbe keineswegs um einen unbedeutenden Nebenstrom handelt. Das stimmt zwar, aber das Reichskammergericht hätte es auch anders sehen können. So bestätigen die Richter das Stapelrecht - sehr zum Ärger von Harburg, Braunschweig und Lüneburg.
Wenn es um die Ausweitung der eigenen Interessen ging, setzten die sonst oft knauserigen Hamburger Handelsherren gern auf die Überzeugungskraft des Geldes. Das zeigt sich zum Beispiel Anfang des 14. Jahrhunderts: Die Alster steht ganz oben auf der Prioritätenliste des Rates. Da sie die Stadt nicht nur mit Trinkwasser versorgt, sondern auch die Mühlen antreibt und dem Binnenhafen Wasser zuführt, soll sie vorsichtshalber komplett unter Hamburger Kontrolle gebracht werden. Also handeln die Hamburger den Holsteiner Grafen zwischen 1306 und 1310 den kompletten Oberlauf ab. Insgesamt bezahlt die Stadt dafür 1050 Mark, was damals durchaus kein Schnäppchen ist. "Zielbewusste Gebietserweiterungsstaatskunst" nennt der Historiker Wilhelm Melhop diese für Hamburgs Vorankommen folgenreiche Entwicklung.
Manchmal werden Interessenkonflikte aber auch kriegerisch ausgetragen, wenn es zum Beispiel um so wichtige Angelegenheiten wie das Weiderecht von Hamburger Schweinen im Sachsenwald geht. Das steht denen seit 1420 zu, zumindest auf der Hälfte der Fläche. Aber wo die Grenze genau liegt, ist umstritten. Und so vertreiben die Soldaten des Herzogs von Sachsen-Lauenburg die Hamburger und Lübecker Schweine, was die Hanseaten als unglaublichen Affront werten. So kommt es 1671 zum Schweinekrieg. Hamburger und Lüneburger Soldaten eskortieren Hamburger und Lüneburger Schweinehirten in so großer Zahl, dass sich die herzoglichen Soldaten zurückziehen. Und so ist der Kampf vorbei, bevor er richtig angefangen hat. Schon die Zeitgenossen machen sich lustig über den Schweinekrieg im Sachsenwald.
Aber manchmal geht es auch um mehr, und dann kann Hammonia erst recht martialisch auftreten: Wenn man zum Beispiel gemeinsam mit den Lübeckern 1420 den Herzögen von Sachsen-Lauenburg das Handwerk legt, die von Bergedorf aus die Handelswege unsicher machen. Oder wenn man im 17. Jahrhundert schwer bewaffnete Konvoischiffe baut, die die eigenen Handelsschiffe begleiten, damit diese nicht von muselmanischen Piraten aufgebracht werden.
Trotzdem sind Krieg und Gewalt Hamburg eigentlich zuwider, viel lieber setzt man auf Cleverness und schweren Herzens auch auf Geld.
Manchmal werden die Dinge aber auch gar nicht in Hamburg entschieden, sondern in Berlin. So gibt es Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder Ärger zwischen Hamburg und den benachbarten preußischen Städten Altona, Wandsbek und Harburg. Man redet, verhandelt und formuliert "Denkschriften über die Erweiterung des Hamburgischen Gebiets", ohne große Erfolge. Schließlich machen die Nationalsozialisten kurzen Prozess, verabschieden am 1. April 1937 das Groß-Hamburg-Gesetz - und Hamburg schluckt die einst preußischen Städte Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek.
Dabei wird es wohl bleiben, und wenn es tatsächlich eines fernen Tages einmal einen Nordstaat geben sollte, dann steht Hammonia ganz gewiss an dessen Spitze - und beruft sich dabei vielleicht auf einen uralten Vertrag, der plötzlich im Staatsarchiv oder in den Kellergewölben des Museums für Hamburgische Geschichte auftaucht. Dort wird man dann in schnörkeliger Schrift auf uraltem Pergament genau nachlesen können, wie schon Kaiser Barbarossa noch kurz vor seinem Unfalltod in einem anatolischen Fluss entschieden hat, dass selbstverständlich nur Hamburg Hauptstadt eines solchen Nordstaates sein kann.